Kommentar zum Berliner Kopftuchurteil

Mehr Fragen als Antworten

bag_01.jpg

Vor der Berufungsverhandlung
Vor der Berufungsverhandlung

bag_02.jpg

Berufungsverhandlung im Rechtsstreit einer Bewerberin gegen das Land Berlin wegen Diskriminierung aufgrund der Religion.
Berufungsverhandlung

bag_03.jpg

Begegnung der Anwälte vor Verhandlungsbeginn
Begegnung der Anwälte vor Verhandlungsbeginn

bag_04.jpg

"Kopftuch bleibt tabu"? - am 9. 2. 2017 sprach der Landesgericht Berlin einer "Bewerberin mit Kopftuch" als Lehrerin eine Entschädigung zu
"Kopftuch bleibt tabu"?

bag_05.jpg

Verhandlungspause
Verhandlungspause

bag_06.jpg

Diskussion der Parteien zur Frage einer Annäherung
Die Anwälte

Gestern fällte eine Richterin am Landesarbeitsgericht Berlin ein erstaunliches Urteil: Eine Bewerberin, die sich auf eine Stelle als Grundschullehrerin bewarb und aufgrund des Berliner Neutralitätsgesetzes wegen ihres muslimischen Kopftuchs abgelehnt wurde, fühlte sich diskriminiert und klagte. Die Richterin gab der Klägerin Recht und teilte im gleichen Atemzuge mit, dass das Berliner Neutralitätsgesetz nicht zu beanstanden sei.

Dieses Urteil sollte möglicherweise beide Seiten zufriedenstellen. Es hat allerdings das genaue Gegenteil erreicht.

Die Klägerin, Frau E. Ö., wollte an einer Schule in Berlin unterrichten und dabei ihr muslimisches Kopftuch tragen. Sie wurde abgelehnt. Im gestrigen Berufsverfahren wurde unter "Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls" eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern (8.680,00 Euro) festgesetzt. Die Entscheidung begründete die Richterin damit, dass von der Bewerberin "keine konkrete Gefährdung des Schulfriedens" ausgegangen sei.

Nun stellt allerdings das Neutralitätsgesetz nicht die Bedingung, dass von demjenigen, der religiöse Symbole trägt, eine Gefahr für Leib und Leben anderer Menschen ausgehen muss, um das staatliche Neutralitätsgebot durchsetzen zu können. Deshalb ist die Begründung des Urteils zumindest fragwürdig.

Fritz Felgentreu kann als einer der Väter des Berliner Neutralitätsgesetzes angesehen werden. Er kommentierte das Urteil gestern bei Facebook: "Ein juristischer Erfolg des politischen Islams in Berlin: in den Folgen schädlich, in der Sache inkonsequent." Er versteht die Intention des Urteils ebenfalls nicht. "Das Landesarbeitsgericht hat 'Zweifel' daran, dass das Berliner Neutralitätsgesetz dem Grundgesetz entspricht, und verlangt zugleich, es im Sinne der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 'auszulegen' - und zwar so, wie das LAG diese Rechtsprechung versteht, also anders als der Senat. Das ergibt keinen Sinn. Das Neutralitätsgesetz kann gar nicht so 'ausgelegt' werden, wie das LAG die Rechtsprechung auffasst."

Laut einer dpa-Meldung, die von vielen Medien verbreitet wird, hat Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) das Kopftuch-Urteil des Landesarbeitsgerichts begrüßt. Es sei "ein guter Tag für die Antidiskriminierung in Berlin". Für ihn sein klar, dass das Urteil "der Anfang vom Ende des Neutralitätsgesetzes" sei.

Im Gegensatz dazu fordert Fritz Felgentreu, dass der Senat gegen "dieses unglückliche Urteil" unbedingt in die Revision gehen sollte. Denn seiner Meinung nach hätte "das Gericht feststellen müssen, dass es das Neutralitätsgesetz für verfassungswidrig hält, und hätte es dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen, damit wir darüber Klarheit erhalten". Doch das wollte die Vorsitzende Richterin Renate Schaude ganz offenbar vermeiden.


Für den hpd war Evelin Frerk bei der Verhandlung dabei. Auf der Folgeseite können Sie Ausschnitte aus ihrer Verhandlungs-Mitschrift lesen.