Interview mit Mina Ahadi

"Das Mullah-Regime ist eine Schande und gehört abgeschafft"

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Mina Ahadi

Seit mehreren Tagen protestieren tausende Menschen gegen die iranische Regierung. Der hpd sprach mit der Menschenrechtlerin Mina Ahadi über die aktuelle Situation. Die gebürtige Iranerin ist heute Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime und eine entschiedene Kritikerin des Mullah-Regimes.

hpd: Im Iran ist es am dritten Tag in Folge zu Protesten in zahlreichen Städten gekommen. Welche Motivation steht dahinter?

Mina Ahadi: Internationale Medien berichteten, dass die Menschen zunächst gegen Arbeitslosigkeit, Korruption und gestiegene Preise auf die Straßen in Mashhad im Nordosten des Irans gegangen sind. Mehr als 12 Prozent der iranischen Bevölkerung haben keinen Job, was in den letzten Monaten zu großem Unmut geführt hat. Erst vor Kurzem wurde im Parlament ein Budgetprogramm vorgelegt, in dem die Finanzierung regierungstreuer Institutionen geplant ist. Ein großer Teil des Geldes wird in religiöse Organisationen gesteckt. Das verstärkt natürlich das Ungerechtigkeitsgefühl vieler Menschen, vor allem wenn sie selbst unter der finanziellen Situation leiden müssen. 

Nachdem sich die Proteste insbesondere mithilfe der sozialen Medien auf weitere Städte und sogar Teheran ausgeweitet hatten, wurde jedoch immer deutlicher, dass es vielen Menschen um mehr geht. Nicht nur die soziale Ungerechtigkeit, sondern eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit dem politischen System hat sie auf die Straße getrieben. Die Parolen der Demonstranten sprechen eine klare Sprache: "Wir wollen keine Islamische Republik" oder "Nieder mit Rouhani".

Wie schätzen Sie diesen Protest ein?

Vielleicht erleben wir gerade den Anfang einer Revolution. Viele Iraner stellen sich diesmal gegen die religiösen Hardliner aber auch gegen Konservative und Reformer. Sie haben erkannt, dass der Iran keine Zukunft mit einem politischen System haben kann, in dem Freiheit und Fortschritt nicht vorgesehen sind. 

Ich selbst hoffe, dass nun das Ende des faschistischen Mullah-Regimes bevorsteht. Es ist eine Schande und gehört abgeschafft.

Können Sie einschätzen wer sich an den Protesten beteiligt? 

Im Iran gibt es keine Oppositionspartei, die offiziell arbeiten kann. Manche Medien berichten von der Beteiligung von Monarchisten und der Volksmudschahedin. Ich denke jedoch, dass die aktuellen Demonstrationen von Leuten getragen wird, die schlicht bessere Lebensverhältnisse einfordern und progressivere Positionen vertreten. Freiheit, Säkularität und soziale Gerechtigkeit sind Forderungen, die vor allem auch von Linken im Iran offen artikuliert werden.

Viele Frauen wenden sich zudem gegen die Geschlechterapartheid. So ging kurz vor den Demonstrationen ein Bild durch die Welt, auf dem eine Frau ihr Kopftuch abnimmt und wie eine Fahne nach oben streckt. Es ist nun zu einem Symbol der Proteste gegen die islamische Regierung geworden, die zunehmend durch den alltäglichen Widerstand verunsichert ist. 

Offenbar wirken solche Protestformen: Erst vor kurzem wurden der Verschleierungszwang für Frauen im Iran gelockert. Es wurde angekündigt, dass künftig in der Hauptstadt Teheran keine Frauen mehr festgenommen werden, die gegen die Kleidungsvorschriften verstoßen. 

Welche Reaktion erhoffen Sie sich aus Deutschland?

Bisher hat sich weder die Bundeskanzlerin noch das auswärtige Amt zu den Entwicklungen im Iran deutlich geäußert. Ich hoffe jedoch, dass die Bundesregierung so schnell wie möglich Stellung gegen das klerikale Regime bezieht und die fortschrittlichen Kräfte nicht im Stich lässt. Eine Fortsetzung der Appeasementpolitik hilft in dieser Situation niemandem, außer dem Regime.

Wir alle sollten diesen Aufstand ernst nehmen. Durch Aufmerksamkeit und öffentlichen Druck muss sich die iranische Regierung vorsichtiger verhalten, was die Leute vor Ort schützt. Außerdem könnten die Proteste zu einem Machtverlust des politischen Islam im Nahen Osten führen und auch dessen Einfluss in Europa verringern.