Die katholische Kirche in Polen ist LGBT-feindlich und unterstützt das weitgehende Abtreibungsverbot. Kein Wunder, dass ihr die Schäfchen scharenweise davonlaufen. Nicht nur die Kirchenaustritte häufen sich, auch die junge Generation kehrt dem Kreuz den Rücken. In der Stadt Krakau hat sich laut einer aktuellen Befragung fast die Hälfte der Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen vom katholischen Katechismus-Unterricht abgemeldet, Tendenz steigend.
So verzeichnet eine der befragten Schulen in Krakau eine Abmeldequote von 60 Prozent, vor vier Jahren waren es noch 6 Prozent gewesen. Eine andere Schule meldete für denselben Zeitraum einen Anstieg von 31 auf 51 Prozent. Auch die absoluten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. So verzeichnet eine der Schulen seit 2017 einen Anstieg von 26 auf 169 Abmeldungen, eine andere von 20 auf 128. Ein vergleichbarer Trend zeigt sich in anderen Großstädten. Als Spitzenreiter gilt Łódź, wo allein seit September 12.000 SchülerInnen den Religionsunterricht abgewählt haben, so die Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Lediglich die Provinz und kleinere Städte verzeichnen geringere Werte, so meldet etwa der 57.000-Einwohner-Ort Zgierz eine moderate Abmeldequote von rund 20 Prozent.
Der konfessionelle Religionsunterricht in Polen wird durch die öffentliche Hand finanziert, doch die katholische Kirche bestimmt die Lehrpläne und ernennt Lehrkräfte. Vor wenigen Wochen sorgte ein Priester für Schlagzeilen, weil er im Unterricht Homosexualität als "illness" bezeichnet und Elektroschocks sowie chirurgische Eingriffe als "Therapie" empfohlen hatte. Immerhin musste sich der Gottesmann dafür öffentlich entschuldigen – vielleicht ein weiteres Anzeichen, dass sich in die Stimmung wendet. Zwar gilt Polen mit 88 Prozent Katholiken als das "katholischste Land Europas", doch gerade bei der jüngeren Bevölkerung bröckelt die Kirchenbindung zusehends. Vor kurzem hatten in einer Umfrage erstmals mehr Befragte den Einfluss der katholischen Kirche auf das öffentliche Leben negativ bewertet. Unter den 18- bis 29-Jährigen bewerteten nur 9 Prozent die Kirche positiv, aber 47 Prozent negativ.
Die aktuelle Befragung wurde von Mitgliedern der Polnischen Linken durchgeführt. Sie werten das Ergebnis als Reaktion darauf, dass die Kirche das rigide Abtreibungsverbot unterstützt. Eine nochmalige Verschärfung dieser Vorschrift hatte zu massiven Protesten geführt. Ein weiterer Grund sei die Haltung der Kirche gegenüber LGTBI-Personen. "Junge Menschen, die die Werte von Diversität vertreten, wollen die Indoktrination und Drangsalierung der LGBT-Community in diesen Schulstunden nicht länger hinnehmen", resümiert Linken-Vertreterin Magda Dropek gegenüber der Tageszeitung Gaztea Wyborcza. Die Linke ist die größte Oppositionspartei in dem klerikal-konservativ regierten Land.
Indes präsentiert sich die Regierung treu an der Seite des Altars. Präsident Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei PiS ("Recht und Gesetz"), stilisierte in einer Ansprache die katholische Kirche sogar zur "einzigen Quelle des in Polen verbindlichen Moralsystems" hoch. Ohne sie falle das Land dem Nihilismus anheim.
Nicht mit Weltuntergangsfantasien, sondern mit einer neuen Vorschrift will Bildungsminister Przemysław Czarnek dem Schwund in den Religionsklassen begegnen. Derzeit können SchülerInnen sowohl den konfessionellen Religionsunterricht als auch das Fach Ethik belegen, wobei sie die Wahl haben: entweder beides, eines oder auch keines der Fächer. Diese Option Komplettabwahl soll nach Czarneks Plan wegfallen.