Wohlverdiente Klatsche für Gesetzgeber

Radikaler Bruch mit verlogener Lebensschutzfreundlichkeit

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Pressekonferenz des Vereins "Sterbehilfe Deutschland" zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Diese Klatsche hat eine extrem restriktive Politik selbst bewirkt: Der gekippte Strafrechtsparagraf 217 habe laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht nur das Persönlichkeitsrecht von Sterbewilligen und das Berufsrecht von Ärzt*innen verletzt. Sondern unzulässig eingeschränkt habe er auch die Grundrechte von Vereinigungen, die organisierte Suizidhilfe anbieten.  

Gerade deren "Geschäfte mit dem Tod" zu stoppen, hatte die große Mehrheit der Bundestagsabgeordneten bei der fraktionsübergreifenden Verabschiedung als das Ziel ihres Verbotsgesetzes bezeichnet. Katrin Griese (SPD), Michael Brandt (CDU) und Ex-Gesundheitsminister Hermann Gröhe, die Initiatoren des § 217 StGB, saßen im Karlsruher Gerichtssaal in den ersten Reihen. Nachdem der Vorsitzenden Prof. Voßkuhle im Urteil des achtköpfigen Zweiten Senats die Worte "verfassungswidrig" und "nichtig" ausgesprochen hatte, herrschte bei ihnen das blanke Entsetzen. Freuen mochte sich hingegen die auch dort sitzende Katja Keul (Grüne), die in ihrer Partei eine absolute Minderheitenposition vertreten hatte, nämlich die, dass es eines Gesetzes gar nicht bedurfte, da keine ersichtlichen Gefahren der Verleitung zum Suizid bestanden hätten.

Genau diese Situation vor Dezember 2015 ist nun am 26. Februar 2020 wieder eingetreten. Es gibt gar keine Regelung – außer der seit eh und je, dass die Hilfe zur Selbsttötung bei einem nicht nachhaltig frei entscheidungsfähigen Suizidenten ein strafbares Tötungsdelikt darstellt. Das ist zum Beispiel aufgrund von Intoxikation, vorübergehender Depression oder momentaner Verzweiflungssituation der Fall.

Klagelieder der Suizidgegner*innen

Die leidenschaftlichen Befürworter des § 217 StGB können nunmehr in den Medien nur noch ihr Erschrecken, ihre tiefe Besorgnis und ihre Überraschung zum Ausdruck bringen, dass die "Türen zur Tötung" wieder geöffnet sind.

Kerstin Griese, parlamentarische Staatssekretärin im Bundessozialministerium und außerdem Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche, zeigt sich sehr enttäuscht, "dass das Urteil Auswirkungen hat in dem Umgang mit alten, kranken, schwachen oder sterbenden Menschen". Zu deren Schutz sei die geschäftsmäßige Suizidhilfe damals bewusst unter Strafe gestellt worden. Besonders irritiere sie nun an der Aufhebung des Verbots, "dass das Gericht gesagt hat, es gilt für alle Menschen in allen Lebensphasen" – also auch für Menschen, die gesund wären oder die psychisch leiden.  

Es übersteigt offenbar den geistig-moralischen Horizont von Griese, dass damit niemand mehr übrigbleibt, bei dem oder der sie einen Suizid überhaupt für akzeptabel hält. Allenfalls als seltenes Abwehrrecht, als Schutz vor unerträglicher und nicht linderbarer Qual am Lebensende sollte eine Realisierung noch möglich sein? Aber auch das ja nicht, wie die Haltung von Gesundheitsminister Jens Spahn zeigt, selbst in extremen Notfällen den Zugang zu Natrium-Pentobarbital zu verweigern – entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes von 2017.

Wenn die Politik so agiert, muss sie sich wahrlich nicht wundern, dass das Bundesverfassungsgericht nun mit einer solchen "Rechtskultur" der verlogenen Lebensschutzfreundlichkeit radikal gebrochen hat. Es hat nunmehr ein Anspruchsrecht auf Verwirklichung normiert: Suizid mit Hilfe Dritter human realisieren zu können, wird als Besiegelung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit der Menschenwürde ausgelegt. Die Bedenkenträger und vermeintlichen Lebensschützer, die eine Normalisierung des Suizids für das schlimmste aller Übel halten, dürfen ja weiter jammern und einen Tabubruch beklagen.

Allerdings steht – dann ja auch ihnen – laut Urteil ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Neuregelung der Suizidhilfe zur Verfügung. Der Gesetzgeber müsse aber jedenfalls sicherstellen, "dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt".

Pressekonferenz mit Kusch und Prof. Hecker

Freuen darf sich der Vorsitzende des Vereins Sterbehilfe Deutschland, Roger Kusch, der auch eine verfassungsrechtliche Beschwerde eingereicht hatte. Der Erfolg sei, so Kusch auf seiner unmittelbar nach der Urteilsverkündung anberaumten Pressekonferenz, "nach so langer Wartezeit ein wunderbarer Tag". Und zwar sowohl für unseren Verein, für die Vereinsmitglieder als auch für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, "die heute aufatmen können, dass wir wieder in einem säkularen Rechtsstaat gelandet sind". Endlich sei man befreit worden vom Druck von Kirchen und anderen Leuten, "die glauben, das ganze Volk und die ganze Gesellschaft beeinflussen zu müssen". Nun könne sein Verein auch in Deutschland zu der Praxis zurückkehren, die bis zur Einführung des jetzt für nichtig erklärten Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches möglich gewesen sei.

"Wir können wieder genauso Sterbehilfe leisten wie bis zum November 2015", sagte Kusch. Und das sei für die kranken Mitglieder des Vereins und für Menschen, die sich darüber Gedanken machen, wie sie auf ihre eigene Krankheit reagieren, ob Suizidüberlegungen eine Rolle spielen. Die Erfahrung, dass oftmals allein das Wissen um die Möglichkeit der Sterbehilfe einen entlastenden und damit lebensfördernden Aspekt habe, wäre in der Urteilsbegründung erwähnt worden. Dafür sei man dankbar. Der erzielte Erfolg in diesem Ausmaß sei jemandem geschuldet, der auf dem Podium neben ihm sitze, nämlich seinem Prozessbevollmächtigten Prof. Dr. Bernd Hecker.

Dieser hatte in einem beispiellosen Verfahren 2018 bewirken können, dass einer der Richter des Zweiten Senats, Peter Müller, Ex-Ministerpräsident des Saarlandes, von seinen sieben Mitrichter*innen wegen Befangenheit ausgeschlossen wurde, über die Verfassungsmäßigkeit des § 217 mit zu urteilen.

Palliativstiftung: "entgrenztes" Bundesverfassungsgericht

Nach mühevoller Recherche von Kusch und Hecker war zur Begründung des Befangenheitsantrags gegen Müller unter anderem dessen Kanzelrede angeführt worden, die er am 9. Dezember 2001 in der evangelischen Christuskirche in Dormagen hielt. Darin hatte sich Richter Müller, damals als Ministerpräsident, zum Grundsatz der "Nichtverfügbarkeit des Lebens" bekannt und "aktive Sterbehilfe" in jeder Form abgelehnt – ganz im Sinne der Hospiz- und Palliativverbände. Man mag sich nicht ausmalen, wie die Beteiligung von ihm als Richter auf das jetzt einstimmig erzielte Urteil ausgewirkt hätte.

Hecker betonte auf der Pressekonferenz zudem den einmaligen Vorgang, dass das Bundesverfassungsgericht aus materiellen Gründen Beschwerden zur Verfassungswidrigkeit bestätigt, zumal einen Strafrechtsparagrafen betreffend, der mit großer Mehrheit erst 2015 vom Bundestag eingeführt wurde. Hecker ist Professor an der Universität Tübingen. Es klang an, dass ihm viele gutmeinende Kolleg*innen dringend von seinem doch aussichtslosen Engagement und dem Tabubruch zugunsten der "aktiven Sterbehilfe" abgeraten hätten.

Und so kommt jetzt auch die wohl schärfste Fundamentalkritik vom Stiftungsrat der Deutschen Palliativ-Stiftung, Carsten Schütz: "Wenn ein entgrenztes Gericht selbst in so fundamentalen gesellschaftlichen Fragen wie dem Sterben die eindeutige Mehrheitsentscheidung des Parlaments nicht mehr achtet, hat es offensichtlich jeden demokratischen Respekt verloren."

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