Kolumne: Sitte & Anstand

Wie ein singender Prediger die Krise für seinen Aufstieg nutzt

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Screenshot des Videos "Raise a Hallajujah"
Screenshot des Videos "Raise a Hallajujah"

Krise als Chance! Immer wird so viel gemeckert, dabei bietet die Covid-19-Pandemie durchaus auch Gelegenheiten. Im Land der ungeahnten Möglichkeiten hat es noch immer jemanden gegeben, der Unbill in Gold verwandeln kann, und Unbill gab es ja reichlich in letzter Zeit: Trump, Covid, Rassismus, religiöser Wahn – es wäre doch gelacht, wenn sich aus all dem emotional aufgeladenen Heckmeck kein Profit schlagen ließe!

Auftritt Sean Feucht, der die Amerikaner allenfalls vor die schwierige Frage stellt, wie sein Nachname auszusprechen sei ("Void"), und aber ansonsten mit großer Selbstverständlichkeit seine Bekanntheit vervielfacht hat in den letzten Monaten:

Feucht stammt aus dem geschäftstüchtigen Umfeld der Bethel Church in Kalifornien, einer Art Kirche, bei der man sich für teures Geld Richtung Himmel hochleveln kann, und wo die Eleven durchaus schon versucht haben sollen, den Geist Verstorbener aus Gräbern zu saugen oder durch Wände zu gehen.

Sean Feucht als nicht weiter beachtenswerter Musiker weiß also, was alles möglich ist hienieden, und er folgt der verheerenden Spur der Nachrichten, um ihre Scheinwerfer auf sich und seine Musik zu lenken. Seine Lieder loben den lieben Gott, sie klingen ein bisschen, wie wenn Matthias Schweighöfer ein paar U2-Songs der mittleren Phase nachklimpern würde, und dass Sean mit seinen schulterlangen Locken aussieht wie ein Renaissance-Jesus, wird auf Fotos geradezu zelebriert.

Als musikalische Ein-Mann-AfD reitet er die Wellen medialer Erregbarkeit in erregbaren Zeiten wie diesen: Während die Veranstaltungsbranche aufgrund der Pandemie am Boden ist, tourt Feucht durch die USA, sammelt die Menschen um sich, singt ihnen was vor und lässt sie singen. Mögliche Infektionen bekümmern ihn nicht, da vor dem Virus sicher sei, wer sich in die Hände des Herrgotts begebe. Er, der blonde Jesus, tritt gezielt dort auf, wo nach dem Tod George Floyds die "Black Lives Matter"-Proteste ausbrachen, und da Konzerte eigentlich nicht zulässig sind, widmet er sie zu "Protesten" um. Wenn der Rolling Stone ihn bespöttelt als "Jesus Christ, Superspreader?", dann übernimmt er den Slogan mit Begeisterung und lässt ihn auf T-Shirts drucken.

Wie weit kann man gehen? Sean Feucht hat jetzt unverdrossen angekündigt, in Los Angeles ein großes Silvesterkonzert geben zu wollen, im Auge der Pandemie, vor Tausenden. Was könnte es für den Herrgott Schöneres geben? Denn ganz egal, was alles im Argen liegt ist und worunter wir auf diesem Planeten leiden – Trump, Covid-19, Rassismus, Wahnwitz aller Schattierungen –, immer muss doch Zeit sein, um demjenigen unfehlbaren Wesen zu huldigen, das diese Welt so liebevoll für uns eingerichtet hat.

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