Staatsleistungen an die Kirchen bis 2019 ablösen

Im Jahr 2019 steht das unrühmliche 100-jährige Jubiläum der Missachtung des Verfassungsauftrags zur Ablösung der Staatsleistungen an – wenn der neu gewählte Bundestag und die 14 betroffenen Länder nicht geeignete Schritte in die Wege leiten.

Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 und das Grundgesetz (GG) von 1949 verlangen ein Rahmengesetz zur Ablösung der historisch bedingten, direkten Staatsleistungen der Länder an die Kirchen. Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) hat die Positionen der Parteien ausgewertet und stellt fest: erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es bei Bund und Ländern deutliche parlamentarische Mehrheiten für die Ablösung der Staatsleistungen bei allen Parteien außer der CDU/CSU. Den Gesetzgebern bei Bund und Ländern wird eine rechtspolitische Ablöse-Initiative mit einem Vorgehen in drei Schritten empfohlen:

  1. Fakten zusammentragen und Transparenz schaffen: Die erforderlichen Informationen in den 14 Ländern zu den Staatsleistungen (z.B. Rechtsgrund, bisherige Zahlungen) sammeln.
  2. Rechtsrahmen setzen durch Grundsätzegesetz: Die Ablösungsgrundsätze in einem Bundesgesetz festschreiben.
  3. Ablösegesetze der Bundesländer: Ablösungsgrundsätze landesrechtlich ausfüllen und umsetzen.

Die Details der drei Schritte sind im Haupttext genannt. Die Parteipositionen hat Johann-Albrecht Haupt (ifw-Beirat) ausgewertet. Weitere Bewertungen stammen von Ingrid Matthäus-Maier (ifw-Beirat), Gerhard Czermak (ifw-Direktorium), Jacqueline Neumann (ifw-Direktorium) und Carsten Frerk (Informationsportal Staatsleistungen).

Rechtsnorm

Die Staatsleistungen und die vermögensrechtliche Stellung der Religionsgesellschaften sind in Artikel 138 WRV/Artikel 140 GG geregelt. Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut (hier kommt es nur auf Absatz 1 an):

Abs. 1 Die auf Gesetz, Vertrag oder auf besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.

Abs. 2 Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.

Demnach hat der Bundestag mit der Verabschiedung eines Grundsätzegesetzes die Erfüllung des Verfassungsauftrags zur Ablösung der Staatsleistung einzuleiten. Dieser Rahmen muss die betroffenen 14 Bundesländer veranlassen, im Wege der Landesgesetzgebung die Staatsleistungen abzulösen und damit die Zahlungen an die Kirchen zu beenden.

Sachverhalt

Vor knapp 100 Jahren wurde mit dem Ende des Kaiserreiches im Zuge der Trennung von Staat und Kirche im Jahr 1919 in der Weimarer Reichsverfassung in Artikel 138 das Reich auf die Regelung der Grundsätze zur Ablösung der auf damals bestehenden Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen verpflichtet. Hierzu wäre ein Rahmengesetz zur Ablösung der historisch bedingten, direkten Staatsleistungen der Länder an die beiden großen Kirchen erforderlich gewesen. Dieser Verfassungsauftrag wurde nicht umgesetzt

Vor knapp 70 Jahren wurde der Artikel 138 WRV im Jahr 1949 dann durch Artikel 140 GG in das Grundgesetz inkorporiert. Der Verfassungsauftrag wurde weiterhin und bis heute nicht umgesetzt. Dieses anhaltende Unterlassen des Bundesgesetzgebers ist nicht verfassungskonform.

Die deutschen Länder – mit Ausnahme der Hansestädte Bremen und Hamburg – zahlen an die beiden großen Kirchen seit 1919 jährlich stetig wachsende Beträge. Über den Umfang der Staatsleistungen seit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung liegen belastbare Daten erst für die Zeit nach 1945 vor, und auch das nur für die positiven Staatsleistungen, nicht für die nur schwer bezifferbaren Steuer- und sonstigen Abgabenbefreiungen und -erleichterungen, die als negative Staatsleistungen bezeichnet werden.

Im Jahre 2017 beträgt der Gesamtbetrag der Länderzahlungen an die Kirchen 524 Millionen Euro, bei großen Unterschieden zwischen den Bundesländern. Seit Bestehen der Bundesrepublik sind bereits 17,3 Milliarden Euro Staatsleistungen an die Kirchen geflossen. Dazu kommen die von der DDR von 1949 bis 1989 gezahlten 629 Millionen Mark (Umrechnung in Euro nicht möglich).

Für den Zeitraum von 1949 bis heute sind von der Humanistischen Union die Zahlen aus den Haushaltsplänen der Länder zusammengetragen und publiziert worden, nachdem sich zuvor die Regierungen des Bundes und der Länder sowie die Kirchen unisono geweigert oder für außerstande erklärt hatten, die Zahlen zu ermitteln und zu übermitteln. Die Aufschlüsselung der gegenwärtigen Zahlungen (2017) von Staatsleistungen von Baden-Württemberg bis Schleswig-Holstein an die evangelische und die katholische Kirche ist auf dem Informationsportal Staatsleistungen in einer tabellarischen Übersicht abrufbar.

Mehrheit der Parteien für die Ablösung der Staatsleistungen seit der Bundestagswahl 2017

Heute sprechen sich bis auf die CDU/CSU alle im Bundestag vertretenen Parteien für die Erfüllung des Verfassungsauftrags zur Ablösung der Staatsleistungen aus. Damit gibt es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik in dieser Frage eine deutliche parlamentarisch-demokratische Mehrheit, welche auch in der Praxis des Parlaments zur Geltung gebracht werden kann.

Hierzu die ehemalige Bundestagsabgeordnete und finanzpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Ingrid Matthäus-Maier (ifw):

"Offenbar aus Angst vor einem Konflikt mit den finanziellen Interessen der Kirchen haben es die Parteien seit Bestehen der Bundesrepublik vermieden, den klaren Verfassungsbefehl zur Ablösung der Staatsleistungen umzusetzen, ja sie wollen nicht einmal öffentlich und verbindlich darüber reden. Alle Parteien sind aber heutzutage soweit, dass sie ihre Pro- und Kontra-Positionen formuliert haben. Der Steuerzahler sollte jetzt konkrete Schritte der Fraktionen von SPD, AfD, FDP, Linke und Grünen erwarten dürfen, dass die parlamentarische Mehrheit ihre Position zur Ablösung der Staatsleistungen in die Tat umsetzt."

Der Blick auf die Interessen des Steuerzahlers zeigt: Die Staatsleistungen werden aus dem allgemeinen Steueraufkommen bestritten. Damit werden sie auch von 45 Prozent der Bevölkerung getragen, die den beiden christlichen Kirchen nicht angehören (siehe aktuelle Daten der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland – fowid). Dabei läuft die Frontlinie nicht zwischen Kirchenmitgliedern und Nicht-Kirchenmitgliedern. Denn auch maßgebliche Vertreter der katholischen Kirche wie Kardinal Reinhard Marx, derzeitiger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und der evangelischen Kirche wie Bischof Heinrich Bedford-Strohm, derzeitiger Ratsvorsitzender der EKD, haben schon vor Jahren ihre Bereitschaft zu Ablöse-Gesprächen erklärt. Diese Aussagen können von den verantwortlichen Politikern beim Wort genommen werden.

Um die Bereitschaft zum Handeln in den Regierungen und Parlamenten von Bund und Ländern abzuschrecken, werden von den Verteidigern der Staatsleistungen gewaltige Summen einer Ablösungsentschädigung in den Raum gestellt. So kursiert das 20- oder gar 40-fache der jährlichen laufenden Zahlungen, die von den Länderhaushalten nicht zu bewältigen seien.

Woher diese Zahlen kommen, bleibt im Dunkeln. Insgesamt sind sämtliche Behauptungen zur Berechnung dieser enormen Entschädigungshöhe aus der Luft gegriffen. Sie berücksichtigen zudem nicht, dass die Staatsleistungen, obwohl die Verfassung seit knapp 100 Jahren die Ablösung verlangt, seit Jahrzehnten ohne Sachgrund bezahlt werden. Auch Kardinal Marx und Bischof Bedford-Strohm haben in dieser Frage bislang keine Aufklärung geschaffen. Allein seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes sind den Kirchen 17,3 Milliarden Euro zugeflossen; und mit jedem Jahr der Nichtablösung wird es mehr. Die Überlegung, dass die erfolgten Zahlungen bereits überreichlich die etwa erforderliche Ablösungsentschädigung darstellen, liegt nahe. Dass diese Überlegung seitens der begünstigten kirchlichen Transferempfänger und ihrer politischen Vertreter zurückgewiesen wird, verwundert nicht. Jedoch wäre mit großen finanziellen Schwierigkeiten der Kirchen nicht zu rechnen, da die Staatsleistungen erklärtermaßen nur wenige Prozent (2 bis 3 Prozent) der laufenden Einnahmen der Kirchen bilden.

Der Bund und die Länder müssen die Initiative ergreifen

Deutschland ist ein Verfassungsstaat. In einem solchen sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Bund und die Länder ein Verfassungsgebot verwirklichen. Für den steuerzahlenden Bürger ist es praktisch nicht möglich, diese Frage gerichtlich klären zu lassen. Eine Verfassungsbeschwerde hat kaum Aussichten auf Erfolg, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts generell niemand einen einklagbaren Anspruch darauf hat, dass seine Steuergelder in einer bestimmten Art verwendet oder nicht verwendet werden.

Es bleibt daher im Wesentlichen nur der durch öffentlichen Diskurs entstehende politische Reformdruck, dem – wie dargestellt – die politischen Mehrheiten sowohl im Bundestag und in den meisten Landtagen Rechnung tragen könnten.

Der Bund zahlt selbst keine Staatsleistungen. Er hat jedoch laut Verfassung die Grundsätze aufzustellen, nach welchen die Länder die Ablösung der Staatsleistungen zu bewerkstelligen haben. Die Initiative zu einem solchen Gesetz könnte über den Bundesrat auch von den Ländern ausgehen. Aus dem Bundesstaatsverhältnis ergibt sich überdies ein Anspruch der Länder darauf, dass der Bund seine Pflicht zum Erlass eines Grundsätzegesetzes nach Art. 138 Abs. S. 2 WRV erfüllt. Die Länder können die Verfassungswidrigkeit des Unterlassens im Bund-Länder-Streit verfassungsgerichtlich feststellen lassen. Die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hat im Jahr 2014 auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion dargelegt, dass sie keinen Handlungsbedarf für ein Grundsätzegesetz sähe, da die Länder auch ohne ein solches Gesetz mit den Kirchen Ablösungsvereinbarungen schließen könnten. Diese Auffassung des Bundes ist mit dem Verfassungswortlaut von Art. 138 WRV allerdings schwerlich zu vereinbaren; sie könnte dazu führen, dass die Kirchen durch Verweigerung einer entsprechenden Vereinbarung die Ablösung der Staatsleistungen dauerhaft verhindern können.

Gerhard Czermak (ifw) bringt den rechtsstaatlichen Handlungsbedarf für eine Ablöse-Initiative auf den Punkt:

"Es gibt heute weder eine Legitimation, noch einen rechtlichen Grund zur weiteren Erbringung von historischen Staatsleistungen, noch eine Befugnis, gleichgeartete Leistungen zugunsten speziell der Kirchen oder auch einzelner anderer Religionsgemeinschaften gleichheitswidrig neu zu begründen. Steuerzahler, die die weitere Zahlung von historischen Staatsleistungen als Symptom für den Willen zum Rechtsbruch zu Gunsten der Kirchen auffassen, haben guten Grund dazu."

Drei Schritte zur Ablösung der Staatleistungen

1.Fakten zusammentragen und Transparenz schaffen:

Zur Vorbereitung der Entscheidungen sollten die Gesetzgeber in Bund und Ländern Fakten zusammentragen und Transparenz schaffen, vor allem über den  im Jahr 1919 bestehenden Rechtsgrund, die seinerzeitige Höhe der abzulösenden Staatsleistungen sowie über die seither von den Ländern geleisteten Zahlungen an die Kirchen, und zwar unter Berücksichtigung der seither eingetretenen Veränderungen der Bevölkerung in konfessioneller Hinsicht, der Rechtslage und der heutigen Einnahme- und Vermögenssituation der Kirchen.

Hierzu können der Bundestag und die Landtage ihre wissenschaftlichen Dienste beauftragen. Eine Option wäre auch die Einrichtung von unabhängigen Kommissionen auf Bundesebene wie in den Ländern.

Da sich die aus der Trennung von Staat und Kirche ergebende Ablösungsforderung nur auf solche kirchlichen Rechtsansprüche beziehen kann, die bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung (14. August 1919) Bestand hatten, wie sich aus Art. 138 Abs. 1 WRV ergibt, sind die in den später geschlossenen Staatskirchenverträgen der Länder getroffenen Vereinbarungen höchst fragwürdig. Die Vereinbarung von Staatsleistungen über den Zustand von 1919 hinaus ist unzulässig, da nach Art. 140 GG/138 Abs. 1 WRV die im Jahre 1919 bestehenden Rechtsverpflichtungen des Staates gegenüber den Kirchen abgelöst und gerade nicht aufgestockt werden sollten. Die beteiligten politischen Akteure sollten insgesamt den Umstand berücksichtigen, dass infolge der Untätigkeit von Bund und Ländern den Kirchen seit knapp einhundert Jahren bereits beträchtliche Zahlungen aus den öffentlichen Haushalten zugeflossen sind.

Hierzu Johann-Albrecht Haupt (ifw):

"Die Kirchen haben bis zum Jahr 1919 Immobilien und Vermögen vielfach aufgrund von Umständen erworben, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten fraglich sind. Die Kirchen sollten im Rahmen der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Ablöse-Höhe zu einer Stellungnahme aufgefordert werden, mit welcher ethischen Begründung sie nach Jahrhunderten für den Vermögensverlust noch heute vom Steuerzahler einen Ausgleich verlangen. Am Ende ist es Aufgabe des Gesetzgebers, festzulegen, ob und wie viel heute noch zu entschädigen ist."

2.Rechtsrahmen setzen durch Grundsätzegesetz des Bundes: 

Zunächst hat der Bund ein Grundsätzegesetz zu erlassen, welches nicht nur Fristen und Modalitäten für das Tätigwerden der Länder enthalten sollte, sondern sich auch zu der Frage verhalten muss, ob und ggf. in welchem Umfang die bisher gezahlten Staatsleistungen der Länder angerechnet werden können oder müssen. Der ausdrücklichen Zustimmung der Kirchen bedarf das Grundsätzegesetz nicht, denn das Erfordernis der kirchlichen Zustimmung würde im Verweigerungsfall die Verwirklichung des bundesverfassungsrechtlichen Ablösungsbefehls auf Dauer unmöglich machen. Das gilt auch mit Blick auf Artikel 18 des Reichskonkordats von 1933 (eines von den Nationalsozialisten geschlossenen völkerrechtlichen Vertrags Deutschlands mit der Römisch-Katholischen Kirche), da diese Norm mit Art. 140 GG/138 Abs. 1 WRV nicht vereinbar war und nicht vereinbar ist. Einen Entwurf für ein "Gesetz über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen" hat Johann-Albrecht Haupt (ifw) für die Humanistische Union bereits im Jahr 2011 verfasst. Diesem sollte nun endlich Leben eingehaucht werden.

3. Ablösegesetze der Bundesländer:

Die Staatsleistungen werden nach Art. 138 WRV auf der Basis des erwähnten Grundsätzegesetzes des Bundes "durch die Ländergesetzgebung" abgelöst, also durch je eigene Landesgesetze, für die das Einvernehmen mit den Kirchen aus den genannten Gründen ebenfalls nicht erforderlich ist, über deren Inhalt aber natürlich zuvor mit den Kirchen eine ausführliche Erörterung stattfinden sollte. Sollten sich die Länder der (unzutreffenden) Auffassung der Bundesregierung von 2014 anschliessen, auch ohne ein Grundsätzegesetz bestehe die Möglichkeit, die Staatsleistungen umzugestalten und aufzuheben, so wäre das aber nur im Wege der Vereinbarung mit den Kirchen möglich.

Standpunkte der Parteien im Deutschen Bundestag zur Ablösung der Staatsleistungen mit ifw-Kommentar

CDU/CSU: "Einer bundesweiten Regelung, Staatsleistungen abzulösen, stehen die vollkommen unterschiedlichen Gegebenheiten in den Bundesländern entgegen. Innerhalb der bestehenden Spielräume wurden in einigen Bundesländern aber bereits einzelne Staatsleistungen einvernehmlich mit den Kirchen abgelöst. Gelegentlich aufkommende Forderungen, bereits erbrachte Zahlungen als ausreichende "Tilgung" und damit als Ablösung zu betrachten, gehen in die Irre. Die bisher erbrachten Leistungen sind zum Beispiel als Entschädigungen für entstandene Nutzungsmöglichkeiten enteigneten Eigentums zu verstehen. Sie können daher nicht als Ablösesumme aufgefasst werden."

ifw-Kommentar:

Zu Satz 1: In Kenntnis der "unterschiedlichen Gegebenheiten" in den Ländern hat bereits vor knapp 100 Jahren die Verfassung von 1919 das Reich (und damit auch den Bund als dessen Rechtsnachfolger) auf die Regelung der Grundsätze beschränkt, aber dazu auch verpflichtet.

Zu Satz 2: Bisher wurden nur einige Baulasten von relativ geringer finanzieller Bedeutung abgelöst, zumal kommunale Baulasten, deren Charakter als Staatsleistungen bei historischer Auslegung zumindest zweifelhaft ist, da die Kommunen nach der Weimarer Staatsrechtslehre nicht als Träger unmittelbarer oder mittelbarer Staatsverwaltung galten. Bei den Staatsleistungen im Kernbereich wurde bisher nichts abgelöst.

Zu Satz 3 und 5: Die Forderung, gezahlte Staatsleistungen als Tilgung anzusehen, bezieht sich darauf, dass die Zahlungen der Länder über einen Zeitraum von nahezu 100 Jahren weit über die Verpflichtung aus dem Jahre 1919 zur übergangsweisen Sicherung der kirchlichen finanziellen Situation hinausgehen und dem Ablöseauftrag des Art. 140 GG/138 Abs. 1 WRV mit Sicherheit widersprechen.

Zu Satz 4: Für die Deutung der gezahlten Staatsleistungen als "Entschädigung für entstandene Nutzungsmöglichkeiten" – gemeint ist wohl: "für entgangene Nutzungsmöglichkeiten" – fehlt jeder Nachweis. Nach dem Verfassungswortlaut müsste es sich um Leistungen zur Bedienung von alten Rechtsverpflichtungen handeln. Für die behaupteten staatlichen Rechtsverpflichtungen waren und sind die Beteiligten aber nachweispflichtig; daran jedoch fehlt es.

Haushaltsrechtlich nicht vertretbar ist es zudem, wenn der Staat jedes Jahr Millionenbeträge ausgibt, ohne zu wissen, ob er hierzu rechtlich verpflichtet ist.

Damit ist diese rechtliche Begründung der Parteiposition brüchig, zeichnet ein Zerrbild der heutigen Rechtswirklichkeit und ignoriert geradeheraus einen Verfassungsauftrag in unserem Rechtsstaat. Es wäre eine Grundgesetzänderung erforderlich, um diese Parteiposition beizubehalten. Oder diese Parteiposition bedarf der Anpassung, um grundgesetzkonform zu sein.

SPD: "Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen zu den grundgesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen für die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen. Dennoch bedürfen die zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Kirchen vertraglich und rechtsgültig vereinbarten Staatsleistungen in einzelnen Bereichen durchaus einer Prüfung. SPD-Expertinnen und Experten aus Bundestagsfraktion und Partei sind daher schon geraume Zeit in entsprechenden Fachgesprächen mit Kirchenvertreterinnen und -vertretern sowie der Wissenschaft zu diesen Themen. Dies ist ein langwieriger Diskussionsprozess, der Bund, Länder und Kommunen einbezieht und einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens erfordert."

ifw-Kommentar:

Diese vage Antwort wirft Fragen zu Ziel, Prozess, Finanzierung und Frist auf. Sie macht vor allem Klarstellungen darüber erforderlich, was bisher unternommen worden ist.

Zu Satz 1 und 2: Wenn die SPD eine Prüfung der "rechtsgültig vereinbarten Staatsleistungen" für geboten hält, stellt sich die Frage, warum sie sich einer solchen Prüfung im Bundestag bisher widersetzt hat. Wenn sich also die bisherige Position der SPD in dieser Frage offenbar verändert hat, so gibt es nun eine Stimmenmehrheit im Bundestag wie auch in den meisten Landtagen für einen Prüfauftrag.

Zu Satz 3 und 4: Von den behaupteten Fachgesprächen von Vertretern der Partei und/oder der Bundestagsfraktion ist bisher nichts Substantielles öffentlich oder auch nur parteiöffentlich bekannt geworden. Auch ist nicht bekannt, wer wen beauftragt hat, solche Gespräche zu führen, mit welchen Kirchenvertretern oder Wissenschaftlern solche Gespräche geführt wurden und welchen Stand diese Gespräche gegebenenfalls erreicht haben. Das wäre aber schon im Blick auf den von der SPD für notwendig gehaltenen breiten Konsens erforderlich. Der zitierte "langwierige Diskussionsprozess" wirkt mit Blick darauf, dass seit der Erteilung des Verfassungsauftrags knapp 99 Jahre und seit Inkrafttreten des Grundgesetzes nahezu 70 Jahre vergangen sind, als kuriose und schlechte Ausrede.

AfD: Bei KORSO Deutschland erfolgte keine Antwort auf den Wahlprüfstein. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 heißt es: "Die Bezahlung von Kirchenrepräsentanten wie Bischöfen etc. aus allgemeinen Steuermitteln ist abzuschaffen".

ifw-Kommentar:

Sollte die AfD mit dieser Forderung meinen, dass aus allgemeinen Steuermitteln auch die Zahlung von Staatsleistungen an die Kirchen abgeschafft werden soll, so ist diese Forderung berechtigt.

Die direkten Staatsleistungen sind zwar nur ein kleiner, ziemlich untergeordneter Teilbereich des Gesamtkomplexes der Kirchenfinanzierung. Davon machen jedoch Gehälter, Gehaltszuschüsse und Pensionen für Seelsorgegeistliche, Bischöfe, Generalvikare, Bischofssekretäre etc. einen großen Teil aus (siehe: https://weltanschauungsrecht.de/Staatsleistungen), auch wenn die Bezahlung heutzutage organisatorisch-buchhalterisch verlagert ist. In den Bundesländern sind alle Staatsleistungen mit Anpassungsklauseln an die staatliche Beamtenbesoldung versehen – steigt die Beamtenbesoldung, steigen die Staatsleistungen. Das verweist darauf, dass es sich weiterhin (indirekt) um die staatliche Besoldung von Kirchenbeamten handelt.

FDP: "Den grundgesetzlichen Auftrag zur Ablösung der Staatsleistungen nehmen wir ernst und verlieren ihn bei allen verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten nicht aus den Augen. Dabei sind wir der Überzeugung, dass die Ablösung nur im Konsens mit den Religionsgemeinschaften gelingen kann."

ifw-Kommentar:

Die FDP war in den Jahren 1972 bis 1974 mit ihren Forderungen zur Beendigung der Staatsleistungen schon sehr viel konkreter. Seitdem hat sie aber nichts Greifbares zur Realisierung unternommen. Es ist nicht bekannt, dass und wie sie sich um den jetzt von ihr für erforderlich gehaltenen "Konsens mit den Religionsgemeinschaften" bemüht, geschweige denn die Ablösung einleitet. Siehe hierzu den Kommentar zur SPD.

Weiterführend ist, was der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP und heutige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki 2016 in seinem Beitrag "Den Verfassungsauftrag endlich erfüllen" formulierte: "Gleichwohl wäre es – gerade im Sinne der Steuerzahler – sachgerecht, wenn sich die betroffenen Länder mit dem Bund auf eine solche Regelung einigen könnten. Dann könnte dieses Kapitel endlich geschlossen werden."

DIE LINKE: "DIE LINKE tritt für die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen und damit für die Einlösung des Verfassungsauftrages von 1919 ein. 2015 haben wir mit einem entsprechenden Antrag im Bundestag keine Mehrheit gefunden (Deutscher Bundestag Drucksache 18/4842 Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 vom 6.5.2015)."

ifw-Kommentar:

Das ist richtig. Die LINKE ist bisher die einzige Partei, die sich nachweislich für die Verwirklichung des Verfassungsauftrags zur Ablösung der Staatsleistungen einsetzt. Auch wenn sie in Thüringen, dem Bundesland, in dem sie den Regierungschef stellt, hierzu bislang mit keiner Initiative bekannt geworden ist. Im Jahr 2012 hat die Linke einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen in den Bundestrag eingebracht (Drs. 17/8791); dieser wurde im Juni 2013 von allen anderen Fraktionen des Bundestages abgelehnt. Ein weiterer Vorstoß der LINKEN vom 6. Mai 2015, wenigstens beim Bundesfinanzministerium eine Kommission zur Evaluierung der Staatsleistungen einzurichten (Drs. 18/4842), wurde im März 2017 bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abgelehnt. Die Positionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD haben sich inzwischen geändert.

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: "Wir wollen den seit 1919 nicht umgesetzten Verfassungsauftrag endlich entschlossen umsetzen. Dazu fordern wir, dass durch die Bundesregierung unverzüglich eine Expertenkommission eingesetzt wird, die eine Gesamtübersicht über die Staatsleistungen anfertigt und Vorschläge für eine entsprechende Ablösungs-Gesetzgebung unterbreitet. Außerdem fordern wir den Bund und die Länder auf, in konkrete Gespräche einzutreten. Parallel dazu sollte ein Dialog mit der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland begonnen werden, um möglichst zügig die erstrebten Ablösungen der Staatsleistungen umsetzen zu können. Zusätzlich und unabhängig davon wollen wir auf Vertrag beruhende Ablösungen vorantreiben und die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür schaffen. Hier sind die Länder zuständig."

ifw-Kommentar: 

Genau das könnte säkulare Rechtspolitik sein. Allerdings sind bislang weder auf Bundes- noch auf Länderebene parlamentarische Initiativen von Bündnis 90/Die Grünen zur Umsetzung dieser Position bekannt geworden. Nicht einmal dem Vorschlag einer Evaluierungskommission zum Thema Ablösung der Staatsleistungen (siehe bei der Partei DIE LINKE) haben die Grünen zugestimmt, oder einen vergleichbaren Vorschlag eingebracht. Eine solche Expertenkommission müsste nach einer umfassenden Bestandsaufnahme zudem berücksichtigen, dass sich die religionssoziologische Situation grundlegend verändert hat und dieser Wandel auch normative Auswirkungen auf etwaige staatliche Verpflichtungen haben kann. Ein ergänzender Hinweis: Neben dem Dialog mit der Bischofskonferenz und dem Rat der EKD auf Bundesebene sind vor allem Gespräche der Landesregierungen mit den Landeskirchen und Diözesen anzustreben, zu denen die Landesparlamente ihre Regierungen auffordern sollten. Derzeit sind die Grünen in sieben Ländern an der Regierung beteiligt und in 14 Landesparlamenten vertreten, sodass sowohl der Weg über den Bundesrat zur Verabschiedung eines Grundsätzegesetzes offensteht, als auch der von der Bundesregierung ebenfalls als gangbar betrachtete Weg über Ablösegesetze der Bundesländer auch ohne ein Rahmengesetz des Bundes.


Anmerkung:

Die Parteien sind in der Reihenfolge ihrer Fraktionsgröße im Deutschen Bundestag genannt. Die vorgenannten Standpunkte stammen aus den Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2017 vom KORSO – Koordinierungsrat säkularer Organisationen und im Fall der AfD aus dem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017, Kapitel Steuern und Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, S. 50.

Das ifw hat Aussagen aus den Antworten der Parteien ausgewählt. Die Kriterien lagen bei der Auswahl der Zitate auf der Kernaussage zur Position in Bezug auf die Ablösung der Staatsleistungen und der rechtlichen Begründung.

Erstveröffentlichung: Institut für Weltanschauungsrecht