USA

Supreme Court vor erneuter Grundsatzentscheidung in der Abtreibungsfrage

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Das Gebäude des Supreme Court, des Obersten Gerichtshofs der USA, in Washington D.C.
Supreme Court, Washington D.C.

Im Oktober wird sich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten wieder einmal mit der Frage befassen, wie stark einzelne Bundesstaaten das Recht auf eine Abtreibung einschränken dürfen. Republikanisch regierte Bundesstaaten träumen bereits vom Ende der historischen Entscheidung "Roe vs. Wade".

Die US-amerikanische Rechtsprechung basiert primär auf Präzedenzfällen. Einmal getroffene Grundsatzentscheidungen des Obersten Gerichtshofs (im folgenden "SCOTUS" genannt, kurz für Supreme Court Of The United States) werden als Grundlage für künftige Dispute herangezogen.

Planned Parenthood vs. Casey: Eine kurze Geschichte der Abtreibungsgesetzgebung

Im Jahr 1973 fällte der SCOTUS eine solche Grundsatzentscheidung. Im Prozess Roe vs. Wade, der mittlerweile weltbekannt ist, urteilte das Gericht, dass kein Bundesstaat ein Gesetz erlassen darf, das Abtreibungen im ersten Schwangerschaftstrimester verbietet. Abtreibungen in einem Stadium der Schwangerschaft, in dem der Fötus noch nicht eigenständig lebensfähig ist, dürfen weder verboten noch reguliert werden. Solche Maßnahmen der Bundesstaaten verletzen im 14. Zusatzartikel der US-Verfassung garantierte Grundrechte, befand das Gericht, und etablierte damit ein Grundrecht auf Schwangerschaftsabbrüche.

Nicht weniger wichtig in dieser Frage, dennoch weitaus unbekannter, ist die Entscheidung des SCOTUS in der Verhandlung Planned Parenthood vs. Casey aus dem Jahr 1992. Zwar bestätigten die Richter:innen darin das grundlegende Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, sie ersetzten jedoch das in Roe vs. Wade etablierte Trimestermodell durch eine Fundamentalanalyse der "fötalen Lebensfähigkeit" (englisch: "fetal viability"). Das Gericht entschied grundsätzlich, dass Bundesstaaten Abtreibungen ab dem Punkt regulieren dürfen, ab dem der Fötus "lebensfähig" ist. Durch medizinische Fortschritte in den 20 Jahren zwischen 1973 und 1992 reduzierte sich die Zeit, in der ein Fotus als "nicht lebensfähig" gilt, von 28 auf 23 beziehungsweise 24 Wochen.

Mississippi fordert Neubewertung des Konzepts der "Lebensfähigkeit"

Ins Rollen gebracht wurde die erneute Aufnahme der Abtreibungsfrage durch den Bundesstaat Mississippi. Dieser erließ im Jahr 2018 ein Gesetz, welches Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Ausnahmen im Falle von Inzest oder Vergewaltigungen enthält das Gesetz nicht.

Jackson Women's Health Organization, die einzige Abtreibungsklinik in Mississippi, klagte gegen eben jenes Gesetz. Ein Berufungsgericht setzte dessen Anwendung bis auf weiteres aus, was den Bundesstaat schließlich zur Anrufung des Supreme Court veranlasste: "Es ist längst überfällig, dass das Oberste Gericht einen erneuten Blick auf die Grenzziehung der fötalen Lebensfähigkeit wirft", schreibt Mississippis Generalstaatsanwältin, Lynn Fitch. Mississippi hinterfragt also, ob die "fötale Lebensfähigkeit" überhaupt als Argument gegen Anti-Abtreibungs-Gesetze verwendet werden kann.

Das Fragezeichen hinter Amy Coney Barrett

Konservative Kräfte in den Vereinigten Staaten sehen bereits mit großer Vorfreude die Grundfesten von Roe vs. Wade erodieren, was nicht zuletzt mit der aktuellen Besetzung des Supreme Court zu tun hat: Ganze drei konservative Verfassungsrichter:innen konnte Donald Trump in seiner Amtszeit ernennen, die eher liberal gesinnten Richter:innen sind numehr drei zu sechs in der Unterzahl.

Besonders spannend ist die Frage, wie sich die neueste Verfassungsrichterin, Amy Coney Barrett, positionieren wird. Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh, die ebenfalls von Trump eingesetzt wurden, zeigten sich in einer früheren Entscheidung bereits willig, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nahezu vollständig einzuschränken. Barrett ist bekennende Katholikin und steht in Verbindung mit der beinahe sektenhaft anmutenden katholischen Vereinigung People of Praise. Bislang gelang es den Medien nicht, sie auf eine eindeutige Positionierung in Sachen Abtreibung festzunageln.

Die Bereitschaft des SCOTUS, sich Mississippis Klage anzunehmen, ist Wasser auf die Mühlen der konservativ-evangelikal regierten Bundesstaaten. So hat Arkansas vor zwei Wochen ein Gesetz erlassen, das Abtreibungen beinahe vollständig verbietet – dieses wurde jedoch zügig von einem Bundesrichter blockiert. Die Frauenrechtsorganisation Planned Parenthood kommt in einem aktuellen Report zu dem Ergebnis, dass 2021 im gleichen Zeitraum dreimal mehr Gesetze und Verordnungen erlassen wurden, die den Zugang zu Abtreibungen zu erschweren oder ganz zu verbieten versuchen, als noch 2019.

"Elf Bundesstaaten, darunter Mississippi, haben Triggergesetze verabschiedet, die sofort in Kraft treten und Abtreibungen verbieten, wenn das Oberste Gericht Roe vs. Wade zurücknimmt", sagt Nancy Northup, Präsidentin der Nichtregierungsorganisation Center for Reproductive Rights. Die NGO ist eine der wenigen global agierenden Organisationen zur Stärkung universeller reproduktiver Rechte.

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