Nach Nazis, Sünden und "bösen Mächten" wurde von russischer Seite in der Ukraine ein weiterer Kriegsgrund gefunden: Satanismus. Was nach verzweifeltem wirren Gefasel klingt, verfolgt eine Strategie: Damit sollen religionsübergreifend Soldaten und Rekruten angesprochen werden.
Seit über acht Monaten versucht Russland nun, in einem imperialistischen Angriffskrieg die Ukrainer zu bezwingen. Wladimir Putin wäre nicht der erste größenwahnsinnige Kriegstreiber in der Geschichte, der sich mit seiner "Blitzkrieg"-Strategie verrechnet hätte. Je länger die "militärische Spezialoperation" sich hinzieht, je mehr Rückschläge kaschiert, je mehr Soldaten rekrutiert werden müssen, desto dramatischere Rechtfertigungen braucht es dafür. Angefangen hatte alles mit dem "Naziregime" in Kiew, von dem Putin die Ukrainer befreien wollte. Dann ergänzte Patriarch Kyrill I., Oberhaupt der eng mit dem russischen Präsidenten verbundenen russisch-orthodoxen Kirche, "böse Mächte", die am Werk seien und deutete die Invasion zum Kampf gegen die Sünde und um das Fortbestehen der menschlichen Zivilisation um. Schuld an der Gefährdung von letzterem seien übrigens der Westen mit seiner Ideologie des Säkularismus – und die Globalisierung, wie der Kirchen-Chef jüngst erläuterte. Bei dieser Gelegenheit erneuerte er auch seine Behauptung von nichts Geringerem als dem "epochalen Kampf zwischen Gut und Böse".
Ende Oktober kam ein weiterer Rechtfertigungsgrund hinzu: Satanismus. Davon müsse die Ukraine nun befreit werden, da offenbar keine Nazis zu finden waren. Urheber dieser neusten Begründung ist diesmal Ramsan Kadyrow, der für seine Brutalität berüchtigte Tschetschenen-Anführer. "Wir werden diese Dämonen nicht gefangen nehmen, wir werden sie verbrennen", zitierte ihn der Tagesspiegel. Aleksey Pavlov, stellvertretender Sekretär des russischen Sicherheitsrates, stieg in das neue Narrativ der "Desatanisierung" ein: "Hunderte von Sekten" würden in der Ukraine operieren, ukrainische Behörden versuchten, das Land in "eine totalitäre Hypersekte" zu verwandeln. Die Krönung war eine weitere Aussage Kadyrows – der Krieg gegen die Ukraine sei nichts anderes als ein "Dschihad" – ein Begriff, der landläufig als "Heiliger Krieg" aufgefasst wird. Da sind wir also nun angekommen.
Neu seien solche Satanismusvorwürfe nicht. Der Tagesspiegel zitiert in einem weiteren Artikel die Theologin Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS): "Das Thema Satanismus wurde in den vergangenen Jahren immer wieder aufgegriffen und den Menschen von der orthodoxen Kirche in Russland gezielt als Bedrohung aus dem Westen verkauft."
Die Verwendung auch eines islamischen Begriffs in diesem Kontext scheint nun kein Zufall zu sein. Laut dem US-amerikanischen Institute For The Study Of War versuchten russische Offizielle zunehmend, "Russlands Krieg in der Ukraine rhetorisch an religiösen Konzepten auszurichten, die angeblich sowohl Christen als auch Muslimen zugänglich" seien. Damit sollten wahrscheinlich religiöse Minderheiten in den russischen Streitkräften und auch potentielle Rekruten aus ersteren angesprochen werden. Kamen die religiösen Rechtfertigungen bislang vor allem von christlicher Seite, sei dies nun wahrscheinlich ein Versuch, religiöse Gräben zu überwinden.