Tagebuch einer Ungläubigen – "Katholikentag Leipzig 2016" – Tag 2

Dialog mit leeren Stühlen

LEIPZIG. (hpd) Der 100. Katholikentag in Leipzig hat sich den Dialog mit den Ungläubigen auf die Fahnen geschrieben. In ihrem Katholikentags-Tagebuch berichtet Daniela Wakonigg, wie dieser Dialog aussieht.

Neugierig starte ich am Donnerstag meine Erkundungen auf dem Katholikentag. Erstmals, so die Ankündigung des Veranstalters, gäbe es bei diesem Katholikentag auch den Themenbereich "Leben mit und ohne Gott", der sich den Dialog mit Konfessionslosen zum Ziel gesetzt habe. Ich bin gespannt.

Ich beginne meinen Weg am Augustusplatz und bin gleich überrascht, wie wenig hier los ist. Vor zwei Monaten war ich während der Buchmesse in Leipzig. Damals gab es hier mehr Publikumsverkehr als heute. Ich gehe Richtung Innenstadt, vorbei am Begegnungs-Café, das sich in der Grimmaischen Straße so breit macht, dass es eigentlich unmöglich ist, ihm nicht zu begegnen. Angeblich will man hier mit den mehrheitlich ungläubigen Einheimischen in Kontakt kommen. Allerdings sitzen auf den wenigen belegten Plätzen eigentlich nur Menschen mit einem verräterischen grünen Katholikentagsschal um den Hals.

Ich gehe weiter zum Markt. Dort findet gerade die Veranstaltung "Teilhabe ist Menschenrecht – Herausforderungen für die Willkommensgesellschaft" statt. Eine der politischen Veranstaltungen also, mit der die Katholikentagsveranstalter die massive öffentliche Förderung rechtfertigen, da sie doch angeblich gesellschaftlich relevante Diskussionen anstoßen. Publikum gibt es bei der Veranstaltung allerdings kaum. Die Diskussion, die die katholische Kirche hier angestoßen will, scheint weder das Gros der Katholikentagsbesucher, noch den Otto-Normal-Leipziger wirklich zu interessieren.

Noch leerer als bei der Veranstaltung ist es in dem Hinterhof, den ich vom Markt aus durch einen Bogengang erreiche. In einem der kleinen Gebäude hier soll sich die Ausstellung "Wer(s) glaubt, wird selig. Woran glauben eigentlich Atheisten?" befinden. Außer mir und drei einsamen jungen Frauen, die das Gebäude für den Katholikentag ehrenamtlich bewachen, befindet sich niemand in dem Wohnzimmer-großen Raum, in dem lediglich zwei Vitrinen stehen. Die geplante Video-Installation fällt wegen technischer Probleme aus und so sind die Gegenstände in den Vitrinen alles, was von der "theatralen Installation" des Labors für kontrafaktisches Denken in Berlin zu sehen ist. Dort befinden sich laut Beschriftung der Vitrinen Gegenstände, die man von Ungläubigen eingesammelt hat und an die diese angeblich glauben – was auch immer damit gemeint sein mag. Herzchen, afrikanische Göttermasken, Glücksengelchen, kurz: jede Menge Klimbim.

Ich frage mich, was mir diese Ausstellung sagen möchte. Jemand, der an Glücksengelchen und die Kraft afrikanischer Masken glaubt, ist nach meiner Auffassung kein Atheist, sondern jemand, der an irgendetwas merkwürdig Diffuses glaubt. Thema verfehlt, sechs, setzen!

Was auch immer diese Ausstellung zum Ausdruck bringen möchte, es scheinen sich nicht viele Katholikentagsbesucher dafür zu interessieren. Während meines rund einstündigen Aufenthalts kommt jedenfalls nur eine Dame mit grünem Schal vorbei, der die Ausstellung ebenso wenig verrät wie mir.

Aber gut. Vielleicht wird mich ja die Top-Veranstaltung des angepriesenen Themenbereichs "Leben mit und ohne Gott" überzeugen können. Die findet am Nachmittag in der Kongresshalle am Zoo statt und trägt den Titel "Ich glaub' nichts, mir fehlt nichts". Rund 800 Menschen sind in den Großen Saal des Veranstaltungsgebäudes geströmt, um die Podiumsdiskussion zu verfolgen. Es ist eine der gut besuchten Veranstaltungen des Katholikentags. Wahrscheinlich, weil auf dem Podium ein Polit-Promi bewundert werden kann: Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen.

Der Einstieg der Veranstaltung enthüllt nicht nur zu meiner großen Überraschung, dass es bei dieser Podiumsdiskussion nicht um Atheisten gehen soll. An denen könne man zwar gut seine eigenen Argumente schärfen, warum man selbst Christ sei, aber die seien halt auch immer gleich so aggressiv in ihrem Nicht-Glauben. Der ja eigentlich gar kein Nicht-Glaube sei, denn schließlich würden die ja auch an etwas glauben, nämlich dass es Gott nicht gibt. Und dann gäbe es da auch noch die Humanisten. Aber die hätten ja den Menschen zu ihrem Gott erhoben. Erstaunliche Aussagen.

Statt also mit jenen Ungläubigen zu sprechen, die zu dem Thema, warum sie nicht glauben und warum ihnen trotzdem nichts fehlt, etwas sagen können und wollen, möchte man sich lieber mit der gerade im Osten weit verbreiteten Gruppe der sogenannten "religiös Indifferenten" beschäftigen. Also jenen Menschen, die zumeist ohne Religion aufgewachsen sind, denen Religion völlig egal ist und die auch kein Interesse daran verspüren, sich über Religion zu unterhalten. Insbesondere Letzteres ist für die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion natürlich eher hinderlich. Aber selbstverständlich wissen die katholischen Veranstalter Rat. Da ein religiös Indifferenter, der über den Glauben sprechen will, per definitionem nicht mehr religiös indifferent ist, stellt man einfach einen leeren Stuhl auf das Podium, der eben jene religiös Indifferenten symbolisieren soll.

Dialog mit Ungläubigen auf katholisch. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Nach einer Einführung in die Materie durch den christlichen Religionssoziologen Eberhard Tiefensee, nehmen auf den Sitzen neben dem leeren Stuhl Platz eine evangelische Pfarrerin, ein katholischer Funktionär, der engagierte Protestant Bodo Ramelow und eine konfessionslose Politikwissenschaftlerin, die sich vordringlich mit Trauerritualen bei der Bundeswehr beschäftigt. Dass man bei dieser Zusammensetzung des Podiums keine Antwort auf die Frage findet, was religiös Indifferente bewegt, dürfte nicht weiter verwundern.

Ganz ohne Feigenblatt aus der in Deutschland recht lebendigen säkularen Szene will man bei der Podiumsdiskussion dann aber doch nicht dastehen. In einem "Seitenblick" darf Konny G. Neumann, Präsident des Bundesverbandes Jugendweihe Deutschland, etwas über die Jugendweihe erzählen. Man gibt ihm dafür fünf Minuten in der insgesamt anderthalbstündigen Veranstaltung.

Als sich der Saal leert, bringen in der Reihe hinter mir zwei Katholikentagsbesucherinnen ihr Erstaunen über diese Podiumsdiskussion zum Ausdruck. Eigentlich hatten sie damit gerechnet, dass hier auch mit Ungläubigen gesprochen würde. Man wolle schließlich wissen, "wie die denken und warum die den Glauben so gar nicht brauchen". Offenbar ist das Dialoginteresse an der Basis größer als bei den Veranstaltern des Katholikentags.

Nach dieser verstörend hohlen Veranstaltung bin ich froh, als ich am Abend gehaltvolle Kost bei den Säkularen Tagen bekomme. Der Historiker Rolf Bergmeier widerlegt die Legende vom christlichen Abendland und zeigt auf, was unseren heutigen Kulturkreis tatsächlich prägt: Neben der griechisch-römischen Tradition vor allem die importierten Erkenntnisse des arabischen Kulturkreises, in dem Kunst und Wissenschaften blühten, während die Kirche Europa über viele Jahrhunderte ins finstere Mittelalter stürzte. Erst durch Renaissance und Aufklärung befreite sich auch Europa langsam von der Kirche und wandte sich den Wissenschaften zu. Nach Bergmeiers interessanter Reise durch die europäische Kulturgeschichte stellt Erfolgsautor und Stand-up-Comedian Philipp Möller seine Vision vom Leben des durch und durch aufgeklärten Liebespaars Hugo und Lisa vor. Ein Leben ohne Glauben an eine metaphysische Instanz, zeigt Möller, ist alles andere als trist. Dem Empfinden von Liebe tut es keinen Abbruch zu wissen, dass das Gefühl letztlich durch einen Hormoncocktail entsteht.

In der Pause erfahre ich, dass der Veranstalter des Katholikentags dem "11. Gebot" heute in der Innenstadt einen Platzverweis erteilt hat. Mit den erstaunlichen Worten: "Die katholische Kirche möchte das auf ihrem Grund und Boden nicht haben." Das ZdK glaubt nämlich, dass es für die Dauer des Katholikentags das Hausrecht für die Innenstadt von Leipzig hat. Ob diese Auffassung stimmt, klären gerade Juristen.

Dialog mit Ungläubigen, insbesondere dann, wenn sie die Frechheit besitzen, sich kritisch zu äußern, scheint kein besonderes Talent der Katholikentagsveranstalter zu sein.

Wie Dialog mit Gottlosen geht, zeigt an diesem Abend eine Protestantin. Nicht irgendeine Protestantin, sondern die Präsidentin des Evangelischen Kirchentags 2017, Christina Aus der Au Heymann. Sie hat sich an diesem Abend unter das Publikum der Säkularen Tage gemischt und verrät in feucht-fröhlicher Runde nach der Veranstaltung ihr Erstaunen darüber, dass hier nicht reines Christen-Bashing, sondern eine fundierte Auseinandersetzung mit vielen Themen stattfindet. In dieser illustren Runde erprobt die evangelische Kirchentagspräsidentin ein bewährtes Mittel des Dialogs: Sie spricht nicht mit leeren Stühlen, sondern mit Menschen. Ob sich dieser heiße Tipp auch noch zu den Katholikentagsveranstaltern herumsprechen wird, ist fraglich.