KÖLN. (hpd/bvkj) Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte ist empört über den Vorstoß der Berliner Rechtswissenschaftlerin Tatjana Hörnle, die die Legalisierung der Klitorisvorhautbeschneidung und anderer Formen der Genitalverstümmelung rechtfertigt. Hörnle wird ihre These auf dem 70. Deutschen Juristentag (16. bis 19. September 2014 in Hannover) vertreten.
Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, sagte dazu: "Hörnle argumentiert, wenn die Vorhaut der Jungen amputiert werden dürfe, müsse auch die Beschneidung der Klitorisvorhaut erlaubt sein. Eine solche Argumentation, bei der frei nach dem Motto 'Gleiches Recht für alle' körperliche Gewalt an Mädchen durch Gewalt an Jungen gerechtfertigt wird, ist an Zynismus kaum noch zu überbieten."
Kinder haben verfassungsmäßig garantierte Rechte, zu diesen Rechten gehört das Recht auf Schutz vor Gewalt. "Die Resolution der Vereinten Nationen erlaubt keine Art von Beschneidungen an Mädchen und Frauen. Ist ein Arzt an einem solchen Eingriff beteiligt, so kann dieser auch standesrechtlich belangt werden."
Hartmann fordert von seinen KollegInnen: "Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Jungen und Mädchen gleichermaßen vor Genitalverstümmelung geschützt werden. Weder Tradition noch Religion dürfen dazu führen, dass an den Genitalien von minderjährigen nicht einwilligungsfähigen Mädchen oder Jungen ohne medizinische Indikation herumgeschnitten wird."
"Menschenrechtsverletzungen bleiben Menschenrechtsverletzungen, auch wenn sie aus rituellen Gründen begangen werden" fuhr er fort, "es ist Zeit, dass das 2012 erlassene 'Beschneidungsgesetz' novelliert wird. Der Gesetzgeber muss dafür sorgen, dass rituelle Verstümmelungen uneingeschränkt weder an Mädchen, noch an Jungen vorgenommen werden dürfen."
Bereits in den Diskussionen um das "Beschneidungsgesetz" wurde häufig erwähnt, dass eine Zulassung der Beschneidung von Jungen zwangsläufig dazu führen wird, dass über kurz oder lang die Beschneidung von Mädchen gefordert werden wird.
14 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Frau Hörnle hat völlig Recht: Als Rechtswissenschaftlerin weiß sie um Art. 3 Abs. 2 GG, nach dem die Geschlechter gleichgestellt sind.
Dr. W. Hartmann am Permanenter Link
Wir Kinder- und Jugendärzte hoffen und wünschen uns, dass dieser Vorstoß auch so gemeint ist. Dann ziehen wir an einem Strang!
Dr. W. Hartmann, Präsident BVKJ
Silvia am Permanenter Link
Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Wenn man die Beschneidung von Jungs und Mädchen gleichstellen will, dann müsste man dem Jungen Penis und Hoden ohne Narkose entfernen.
Elisabeth am Permanenter Link
Silvia, es geht um FGM Typ Ia (Klitorisvorhautamputation) und FGM Typ IV Subtyp Einritzen oder Einstechen (pinprick, ritual nick). Beides wird der sogenannten milden Sunna zugeordnet (und muss m. E.
Sie sprachen ja von FGM Typ III (Infibulation), der sog. pharaonischen Beschneidung.
Holger Fehmel am Permanenter Link
Tötet nicht den Boten ! Frau Hörnle denkt nur konsequent und folgerichtig weiter, was der Gesetzgeber mit der Einführung von 1631 d BGB und der bewusst vagen Formulierung von § 226 b StGB verbockt hat .
Heiner Endemann am Permanenter Link
Ich finde die Idee der Kollegin Hörnle bestechend logisch und vor allem: ausgesprochen pfiffig. Da hätte man als Jurist selbst (und vorher) mal drauf kommen können.
Ich denke, am Ende der angestoßenen Diskussion werden wir ihr dankbar sein, auch wenn ich befürchte, dass sie zwischendurch sehr angefeindet werden wird. Hier sind wir dann gefragt.
Kris Günther am Permanenter Link
Ich möchte drauf hinweisen dass an Intersexuellen Kinder immer noch rum geschnibbelt wird obwohl es medizinisch nicht indiziert ist und dieses wird auch noch von den "Gesundheitskassen" bezahlt.
Martin am Permanenter Link
Es darf keine Genitalverstümmelung geben, aber es darf auch keine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechtes geben. Wenn Jungen legal verstümmelt werden dürfen, dann bitte auch Mädchen!
Elisabeth am Permanenter Link
Völlig korrekt, aus gutem Grund sind über § 226a StGB erfolgreich ALLE Formen der FGM sind verboten und nicht nur die "ganz schlimmen".
Die WHO-Kriterien enthalten FGM Typ I, II, III und IV.
ALLE vier Typen der FGM müssen illegal bleiben.
Jede Form der rituellen Beschneidung schadet immer dem Kindeswohl.
Karsten Mende am Permanenter Link
Ich befürchte, dass dieser Vorstoß eher darauf zielt, die Bagatellisierung der Beschneidung bei Jungen zu verfestigen, und ich möchte begründen warum.
Die von Fr. Dr. Hörnle zum Vergleich genannten Taten bei Mädchen sind ja praktisch kaum von nennenswerter Zahl. Die praktizierten Beschneidungen von Mädchen können aber unmöglich für diese Überlegungen der Legalisierung in Betracht gezogen werden (das hoffe ich jedenfalls). Wieso sollte also der rechtliche Rahmen in diesem Zusammenhang zu einem grundsätzlichen Verbot jeglicher Genitalverstümmelungen führen, wenn sich dieses Verbot praktisch nicht im Ansatz umsetzen lässt? Eine rechtliche Angleichung, wie von Hörnle gedacht, würde letztlich dazu führen rechtliche Konflikte hinsichtlich der Beschneidung von Jungen zu unterbinden, während die wirklich praktizierten Beschneidungen von Mädchen weiterhin (zu Recht) verboten bleiben.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Zitat: „Diese "Behandlungen" werden in Kulturkreisen begangen, in denen es einen regelrechten Paradigmenwechsel geben müsste, ehe man von dieser "Tradition" ablässt.
Karsten Mende am Permanenter Link
Alles gut und schön. "Müsste..., müsste..., müsste...". Ich bin ja ganz Ihrer Meinung.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Zitat: „Das Problem ist jedoch, dass hier Kulturkreise betroffen sind, die zum Einen gegenüber dem deutschen Gesetzgeber einen Sonderstatus für sich beanspruchen können und zum Anderen auf den deutschen Gesetzgeber ke
emannzer am Permanenter Link
Körperliche Unversertheit. So gesehen bekommt der Vorstoß von einer Tatjana Hörnle angesichts des aktuell anstehenden Juristentages eine völlig neue Dimension.
a) Bei der Auslegung von § 226a StGB ist zu beachten, dass nicht alle Veränderungen an weiblichen Genitalien unter „verstümmeln“ zu fassen sind. Dies ist nicht der Fall, wenn der Eingriff mit der Beschneidung von Jungen vergleichbar ist (etwa wenn nur
Vorhaut der Klitoris betroffen ist, ohne Amputationen und weitere Verletzungen).
b) Zu empfehlen sind folgende Änderungen: Erstens sollte der Strafrahmen des § 226a StGB dem in § 226 StGB angeglichen werden. Zweitens ist der Tatbestand geschlechtsneutral zu fassen, indem die Worte „einer weiblichen Person“ durch „eines Menschen“ ersetzt werden.
Vor allem der letze Satz hat es in sich. Wenn das so durchkäme, dürfte der politische und gesellschaftliche Impact wohl gewaltig werden - und die Diskussion um das Thema Beschneidung von Jungs wohl in den Kontext ziehen, vor dem er eigentlich steht: Körperverletzung von Schutzbefohlenen.
Denn ich denke nicht, dass der "Heilige Gral" weibliche Unversehrtheit dann noch so ohne weiteres zu beschützen wäre. Zusätzlich würde es einer Debatte gut tun, welxhe die bisher weibliche Beschneidung mit 'Kastration' (aka pharaonische Beschneidung) gleichsetzt.
Beides (Vorhaut und Schamlippenreduzierung) bei Kindern ist: Körperverletzung. Insofern begrüße ich (was zynisch klingen mag) sogar Hörnles Vorschlag: Denn dann käme wohl endlich mal Bewegung in die Diskussion.
Zumal erwachsene Frauen heute > 2.000,- Euro dafür bezahlen, dass ihnen die Labien reduziert werden.
Bei Jungs macht man das umsonst: Parlamentarisch abgesegnet in einer Pauser zur Diskussion um die erste Griechenlandhilfe.