Kommentar

Burka-Debatte: Ein Verbot ist keine Lösung

81 Prozent der Deutschen lehnen Vollverschleierung wie Burka oder Niqab in der Öffentlichkeit ab. Jeder Zweite befürwortet sogar ein generelles Verbot. Dieses wäre jedoch mit dem liberalen Rechtsstaat unvereinbar. Ein Kommentar.

Das Unbehagen, das viele gegenüber Niqab und Burka teilen, ist allzu verständlich. Beide Kleidungsstücke sind Ausdruck einer islamistischen Ideologie, unter der Frauen unterdrückt und ihrer Freiheiten beraubt werden. Beide sind patriarchale Herrschaftsinstrumente, die dem Wesen einer offenen Gesellschaft entgegenstehen und daher kritisiert und abgelehnt werden sollten. Doch ist dies ein hinreichender Grund, die religiös begründete Vollverschleierung zu verbieten? Um diese Frage zu klären, ist zunächst eine kurze Auseinandersetzung mit einem wichtigen Prinzip des modernen Rechtsstaates notwendig – nämlich mit der Liberalität.

Liberalität als Prinzip des modernen Rechtsstaates

Es war eine der größten politischen Errungenschaften der Aufklärungsbewegung, dass nicht die Freiheit des Individuums rechtfertigungspflichtig ist, sondern gesellschaftliche Restriktionen. Demnach sollten mündige Bürgerinnen und Bürger tun und lassen dürfen, was sie wollen, solange sie damit nicht die Rechte anderer verletzen. Sogar irrationale und schädliche Handlungen sind keine Angelegenheit des Staates, sofern sie nur die eigene Person betreffen. Denn jeder Mensch ist der einzige souveräne Herrscher über sich selbst und über seinen Körper. 

Gefährlicher Extremsport und extreme Formen der Body-Modification sind beispielsweise erlaubt und es gibt keine vernünftigen Gründe dieses Verhalten zu sanktionieren. Für die rechtliche Beurteilung solcher Handlungen ist es nämlich schlicht irrelevant, ob andere Personen sie als "irrational" oder "unsittlich" bewerten. Andernfalls würde die Gesellschaft in eine paternalistische Verbotskultur abgleiten.

Dieses freiheitliche Prinzip des liberalen Rechtsstaates sollte auch bei der Debatte um ein mögliches Verbot der Vollverschleierung beachtet werden. Der Schutz der Frau vor ihrer eigenen, irrationalen Entscheidung für ein patriarchales Herrschaftsinstrument ist – wie dargelegt wurde – kein plausibles Argument. Befürworter eines Verbotes müssten zeigen, dass eine Frau, die Burka oder Niqab trägt, Rechtsgüter anderer verletzt. Solche gibt es aber nicht.

Vermummung im öffentlichen Raum

Man könnte nun berechtigterweise einwenden, dass ein gesellschaftliches Interesse an der Identifizierungsmöglichkeit von Menschen im öffentlichen Raum besteht. Ein solches Interesse betrifft allerdings nicht nur die religiös begründete Vollverschleierung, sondern Vermummungen jeder Art. Und tatsächlich ist ein Vermummungsverbot an bestimmten Orten und Situationen erforderlich – nämlich überall dort, wo eine Identifizierung aus pragmatischen Gründen notwendig erscheint. Davon sind nicht nur öffentliche Ämter, sondern auch der Bildungssektor sowie Pass- und Verkehrskontrollen betroffen.

Ein allgemeines Vermmungsverbot im öffentlichen Raum wäre dagegen nur schwer umzusetzen und würde die Behörden vor Probleme stellen. Denn letzlich wäre es vom Ermessensspielraum der Beamten abhängig, ob eine Sanktionierung möglich ist oder nicht. Zur Verdeutlichung ein Fallbeispiel: Eine prominente Person möchte in der Öffentlichkeit unerkannt bleiben und trägt deswegen eine Kombination von Sonnenbrille, Hut und Schal. Dies könnte bereits als Vermummung gewertet werden, die eine Identifizierung erschwert. Sollte hier wirklich ein Verbot greifen?

Burka und Niqab – Verfassungsfeindliche Symbole?

Ein weiterer gewichtiger aber – bei genauerem Hinsehen – unzureichender Einwand der Verbotsbefürworter: Burka und Niqab seien verfassungsfeindliche Symbole, die mit der Gleichberechtigung der Geschlechter unvereinbar sind. Diesbezüglich verweist der Jurist Heinrich Schmitz auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts: "Selbst wenn die Trägerin mit der Burka einen Angriff auf die gesellschaftliche Stellung der Frau dokumentieren will, ist ihr das als Ausdruck der Meinungsfreiheit erlaubt. Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen sind ebenso erlaubt wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern. (BVerfG, Urteil v. 24.05.2005, Az. 1 BvR 1072/01)", so Schmitz in einem lesenswerten Kommentar beim Tagesspiegel

Verschleierungszwang

Doch was ist mit Frauen, die zum Tragen von Burka und Niqab gezwungen werden? Der Verschleierungszwang ist bereits verboten und erfüllt nach geltendem Recht den Straftatbestand der Nötigung. Ein Verbot der Verschleierung würde diesen Frauen nicht wirklich helfen. Vielmehr würden sie für ein Verhalten bestraft werden, zu dem sie von ihren Männern gezwungen wurden. 

Fazit

Ein spezifisches Verbot religiös motivierter Vollverschleierung ist mit dem liberalen Rechtsstaat unvereinbar. Denn die gewichtigsten Gründe gegen Burka und Niqab sind bei genauerer Betrachtung nicht ausreichend, um ein Verbot zu legitimieren. Ein Vermummungsverbot wäre zwar denkbar, findet jedoch aus pragmatischen Gründen seine Grenzen und sollte daher auf bestimmte Orte und Situationen beschränkt bleiben. Denn in einer modernen Gesellschaft sollte folgende Maxime gelten: Im Zweifel für die Freiheit.