Am vergangenen Freitag haben Reformmuslime aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eine "Freiburger Deklaration" veröffentlicht: Sie werben damit für eine tiefgreifende Reform im Islam, für einen menschenrechtlich orientierten humanistischen Islam. Die Reformmuslime möchten "Menschen erreichen, die einen zeitgemäßen am Humanismus orientierten Glauben leben möchten."
Am Anfang der Deklaration wird die Vision einer "Islamreform" genannt, die Vision von einem Islamverständnis, das eine Gemeinschaft hervorbringt, die sich als integralen Bestandteil der europäischen Geschichte sieht, die "Frieden, Toleranz und Nächstenliebe predigt und lebt, die Gleichberechtigung predigt und lebt, die Respekt vor anderen Religionen und anders denkenden Menschen predigt und lebt." In der Deklaration wird betont, dass die von den Verfassern gewünschte islamische Gemeinschaft "den Glauben als eine persönliche Angelegenheit zwischen Gott und dem Einzelnen" verstehen und in der Lage sein soll, den Glauben immer wieder kritisch zu hinterfragen.
In der Freiburger Deklaration werden als "Fundament" der in der demokratischen Gesellschaft vorhandenen "Freiheiten … die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte" bezeichnet: "Demokratie und Menschenrechte stellen für uns die Grundlage für das friedliche Miteinander aller Menschen in unserer Gesellschaft dar." Die Deklaration erwähnt Artikel 30 der Menschenrechte (Auslegungsregel) als für die Reformmuslime "über jedem Anspruch, der möglicherweise aus einer islamischen Rechtsprechung erwachsen könnte" stehend. Eine deutliche Absage an jegliche Scharia-Vorstellungen!
Die Freiburger Deklaration erwähnt eine Reihe von Positionen, für die die Reformmuslime einstehen: von der Gleichberechtigung von Mann und Frau, dem Verbot von Kinderehen, der Ablehnung von Körperstrafen und Todesstrafe, über die Teilnahmepflicht von Kindern am Schulunterricht "ohne Freistellungen aus islamischen Gründen", eine angst- und gewaltfreie Erziehung (ohne Drohungen mit der "Hölle") bis hin zum "staatlichen Gebot zur religiös-weltanschaulichen Neutralität" - befürwortet wird, dass "Staatsdiener" – genannt werden insbesondere Lehrerinnen und Richterinnen – auf das Tragen von religiös begründeter Kleidung verzichten.
Für die "Vertretung der Muslime gegenüber dem Staat streben wir die Bildung eines Rates an, der sich aus Mitgliedern konservativer Verbände sowie Mitgliedern eines reformierten liberalen Islams zusammensetzt", heißt es in der Freiburger Resolution. Eine richtige und gleichzeitig hochaktuelle, politisch dringende Forderung: keine Ausgrenzung des konservativen Islams, aber eine Einbindung in Strukturen, in denen dessen Vertreter und die Vertreter des liberalen Islams kooperieren. Bislang kooperieren bekanntlich Staat und Behörden in Deutschland fast ausschließlich nur mit den Vertretern des konservativen Islams, darunter DITIB und teilweise ähnlich obskuren Vereinigungen. Ein "Weiter so" darf es nicht geben.
Mit der Freiburger Deklaration ist eine weitere liberal-muslimische Gruppe an die Öffentlichkeit getreten – deren Mitglieder sich zudem als säkulare Musliminnen und Muslime bezeichnen. Eine erfreuliche Entwicklung, die nicht nur dem Islamismus entgegenwirkt, sondern hoffentlich auch positive Auswirkungen auf einen traditionellen und rückständigen Volksislam hat, der von einer Minderheit der MuslimInnen in Deutschland (organisiert bei DITIB, Milli Görüs, dem Zentralrat der Muslime und anderen) gepflegt wird.
Die UnterzeichnerInnen der Deklaration bieten die Gewähr für ein hohes Niveau der theologischen Auseinandersetzungen, für die Orientierung auf die Menschenrechte. Genannt seien nur Prof. Dr. Abdel-Hakim Ourghi (Leiter der islamischen Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg), Dr. Amer Albayati (Islam- und Terrorexperte, Präsident der Initiative Liberaler Muslime Österreich – ILMÖ), Lic. phil. Saïda Keller-Messahli (Gründerin und Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam in der Schweiz), PD Dr. Elham Manea (Privatdozentin, Autorin und Co-Präsidentin der Inklusive Moschee Initiative (Schweiz)), Ali Ertan Toprak (Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, BAGIV e.V.), Dr. Lale Akgün, Dipl.-Psychologin, Publizistin und SPD-MdB a.D., Berivan Aslan (Abgeordnete der Grünen zum Nationalrat Österreich), Necla Kelek, (Soziologin und Publizistin) und Seyran Ateş (Rechtsanwältin und Autorin).
Die politischen Parteien sind aufgefordert, von ihrer Politik der einseitigen Fixierung auf die konservativen islamischen Verbände abzurücken und den Weg frei zu machen für die Beteiligung von liberal-islamischen Initiativen. "Der Islam" in Deutschland ist nicht Eigentum von DITIB und Co.
Die Freiburger Deklaration im Wortlaut: http://freiburger-deklaration.info/.
12 Kommentare
Kommentare
Achim Horn am Permanenter Link
Wie will man denn einen Reform-Islam einführen?
Religiöse Regeln basieren auf Gottes Geboten, festgehalten in den heiligen Schriften und heiligen Überlieferungen. Gott gibt vor, wie die Menschen zu leben haben, was sie zu tun und zu lassen haben. Sozusagen sind es Anweisungen von ganz oben. Und im Fall des Islam ist es ausdrücklich auch noch das letzte Wort Gottes, was niemals mehr - durch neue Propheten - verändert werden kann.
Logischerweise steht für Gläubige das Wort Gottes immer ÜBER den von Menschen gemachten Regeln und Gesetzen. Das eine Religion ihre Gebote und Regeln an menschlichen Gesetzte (wie GG, UN-Menschenrechts-Charta, Zivilrecht, Strafgesetze usw. usw.) anpasst, würde dem Selbstverständnis der Religion widersprechen.
Gegen diese höchste Instanz (Gott) kann Mensch nichts verändern.
Um es auf den entscheidenden Punkt zu bringen: Grundsätzlich ist jede Religion verfassungsfeindlich. Und eine Religion ist von ihrem Wesenskern her nicht reformierbar.
Dass es gelingt einen Soft-Islam auf Basis der Verfassungen von Österreich, der Schweiz und Deutschland zu entwickeln, halte ich deshalb für unrealistisch.
Sehr gut ist es, den Regierungen gemäßigte Ansprechpartner zu bieten. Das ist schön und wünschenswert - aber ich fürchte, die Reform-Muslime bekommen nicht die Mehrheit der aktiven Gläubigen hinter sich.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Unrealistisch - völlig richtig; das wird allenfalls eine neue Splittergruppe, die von den Fundis nie und nimmer anerkannt, eher mit einer Fatwa belegt wird.
Martin Mair am Permanenter Link
Man braucht den Menschen "nur" das denken lernen, insbesondere die Grundprobleme der Philosophie und Erkenntnistheorie nahe bringen, dann werden sie kaum noch leugnen können, dass jede Relegion Gotteslästeru
Kay Krause am Permanenter Link
"Gegen diese höchste Instanz (Gott) kann Mensch nichts verändern."
Achim Horn am Permanenter Link
So ist es, lieber Herr Krause.
Und falls die DITIB diese Erklärung ein wenig ernst nimmt und Gefahr wittert, wird hier in wenigen Wochen in den Freitags-Predigten vor diesen Abtrünnigen gewarnt werden. Die Gläubigen werden deutlich daran erinnert werden, dass das Wort des Siegels der Propheten göttlichen Ursprungs ist, auf immer und ewig gilt, und natürlich Gottes Anweisungen über von Menschen gemachten Gesetzen stehen.
Dass die "göttlichen Gesetze" auch nur der menschlichen Phantasie entsprungen sind, wird bekanntlich von Gläubigen jedweder Richtung stets übersehen. Es ist die Aufgabe von uns Atheisten deutlich zu machen, wo der "Blödsinn" (wie Sie, Herr Krause, es zutreffend nennen) eigentlich herkommt - übrigens bei jeder Religion.
Werner Mai am Permanenter Link
Christian Dietrich Grabbe:
Die Hölle ist der beste Prediger der Christenheit. Man fürchtet sie.
David am Permanenter Link
Damit hier nicht nur die Zyniker unter sich kommentieren und auch mal eine gesellschaftlich weit verbreitete Gegenmeinung artikuliert wird:
Gutes Papier, gute Motivation dahinter. Immer mehr zentraleuropäische Muslime haben eine immer differenziertere Vision, wie der Islam in Mitteleuropa funktionieren und ein verlässlicher gesellschaftlicher Akteur sein kann.
Davis Zaugg am Permanenter Link
Es ist ein Teilschritt in genau die richtige Richtung!
Nur: Teilschritte sind leider nicht möglich (es gibt kurze Schritte lange Schritte)!
Yvonne am Permanenter Link
Wer mit Teilschritten nicht zufrieden sein kann bzw. für nicht akzeptabel befindet, wird leider auch nicht erleben, dass es weitergeht. Ich finde das Reformbemühen gut. Es verdient Anerkennung und Unterstützung.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Es geht ein Ruck durch Deutschland: die Gleichstellung von Säkularen und Religiösen, Gläubigen und Ungläubigen. Sie wird wahr werden!? Gleiche Rechte für gleiche Menschen!
little Louis am Permanenter Link
Verehrte Frau R., mal eine ganz, ganz dumme Frage:
Was sind eigentlich "Säkulare Muslime"? Eventuell so etwas wie " Fleischverehrende Veganer" oder gar "Lebende Tote"?
Sie gehen einer impliziten fast schon unkritisierbaren Vorstellung von einigen Menschen (vor allem Muslimen selbst) auf den Leim:
Nämlich dass ihre Religion (fast schon) so etwas wie ein biologisches (ethnisches bzw. genetisches) Merkmal von Muslimen sei. Deswegen wird auch wie selbstverständlich davon ausgegangen dass Kinder von Muslimen von der ersten Sekunde an nichts anderes als Muslime sein können.
Normalerweise finden wir so etwas entweder kafkaesk absurd oder gar irgendwie rassistisch.
Aber es ist wohl einer der tieferen Gründe dafür, warum Leute alles Wesentliche an ihrer Religion "entkernen" wollen, sich aber unbedingt weiter als (angeblich oder tatsächlich liberale) MUSLIME bezeichnen wollen.
Zudem steckt in allen weiterhin die Angst, dass bei (völligem) Abfall vom Glauben Ex-Muslime aus Tradition oder "theologisch" mit dem Tode bedroht werden könnten, sondern dass ihnen eventuell sogar irgendwie eine biologische oder ethnische Eigenschaft abhanden kommen könnte.
Das heißt aber nicht , dass das Propagieren eines FAST- säkularer Islam unmöglich sei. Mit Religion ist fast alles möglich. Es gab und gibt ja auch
FAST- atheistische/agnostische entmythologisierte Protestanten.
Nur wozu soll das in einem aufgeklärt humanistischen (liberaldemokratischen oder auch linken) Sinn vonnöten sein?
Allerdings ist das alles ja auch wieder nichs Neues , denn Ähnliches wird innerhalb des Judentums schon seit jeher diskutiert.
Ilse Ermen am Permanenter Link
Eine unbedingt zu fördernde Initiative, eine der wichtigsten internen Bewegungen gegen den konservativen Islam.