Effektiver Altruismus

Lobenswerte Idee mit schwerwiegenden Konsequenzen

Das Leben eines Menschen opfern, um das Leben vieler anderer Menschen zu retten? Dies mag zunächst absurd klingen und unseren alltäglichen, intuitiven Moralvorstellungen zuwiderlaufen. Ein zu Ende gedachter Effektiver Altruismus müsste dies jedoch konsequenterweise fordern.

Die relativ junge soziale Bewegung bzw. Philosophie des Effektiven Altruismus, mit ihrem bekanntesten Vertreter Peter Singer, hat sich auf die Fahne geschrieben, mit möglichst effizienten Mitteln Menschen zu helfen. Kerncharakteristika dabei ist das wissenschaftlich-rationale und empirische Vorgehen, welches das Fundament der Bewegung bildet. Durch eine unparteiliche, rationale Kosten-Nutzen-Analyse der Handlungsfolgen soll möglichst viel Leid vermieden und gleichzeitig Freude und Glück gefördert werden. Das grundlegende Prinzip besteht folglich in dem angestrebten größten Glück der größten Zahl.

Bei genauerer Betrachtung des theoretischen Argumentationskonstrukts lassen sich allerdings einige beträchtliche Probleme aufzeigen. Zunächst einmal mag es plausibel klingen, anhand einer teleologischen Betrachtung der Handlungskonsequenzen diejenige Handlungsalternative auszuwählen, die am meisten Glück für die betroffenen Individuen hervorruft bzw. das geringste Leid erzeugt, also das geringere Übel darstellt. Stünde beispielsweise ein Feuerwehrmann vor zwei brennenden Häusern, mit der Möglichkeit lediglich ein Haus löschen zu können, so müsste er im Sinne des Effektiven Altruismus das Haus löschen, in dem sich mehr Personen aufhalten. Nehmen wir aber mal an, dass drei schwer verletzte Menschen in ein Krankenhaus eingeliefert würden, die ohne  Transplantation eines bestimmten Organs sterben. Nun begibt sich eine gesunde Person, welche all diese Organe liefern könnte, zur Routineuntersuchung in dasselbe Krankenhaus. Ist es moralisch gerechtfertigt diese eine gesunde Person gegen ihren Willen insgeheim zu opfern, damit so die anderen Menschen gerettet werden können? Freilich würde so das größte Glück der größten Zahl erzielt werden und demnach den Prinzipien des Effektiven Altruismus entsprechen. Jedoch würde hier aus Gründen des moralisch kontraintuitiven Widerstands wohl kaum jemand konform gehen.

Ferner scheint es höchst fragwürdig, inwiefern Glück und Leid überhaupt interpersonell erhoben und intrapersonell verglichen werden können. Zwar mag es theoretisch einfach klingen die Glückseinheiten von Menschen zu erfassen und miteinander zu verrechnen, wie diese jedoch im Alltag adäquat numerisch quantifiziert werden sollen, bleibt äußerst schleierhaft. Selbst wenn die Kommensurabilität von Glückseinheiten gelingen würde, müsste man konsequenterweise bei jeder geplanten Handlung darüber nachdenken, inwieweit die Handlungen möglichst viel Glück befördern, oder ob eventuell gewisse Handlungsalternativen dies mehr tun: Engagiere ich mich lieber ehrenamtlich im Kinderheim oder sollte ich eher mehr arbeiten und Geld verdienen, um dieses an verhungernde Kinder in Entwicklungsländern zu spenden? Eine kognitive Überforderung des Individuums wäre die Folge. Des Weiteren fallen im Effektiven Altruismus immaterielle Werte weitestgehend unter den Tisch. Wie lässt sich beispielsweise der Wert des Naturschutzes mit dem Wert des Baus eines Kindergartens, eines Bahnhofes o.Ä. vergleichen?

Demgegenüber sollte man dem Effektiven Altruismus zugutehalten, dass seine grundlegende Idee vielen Menschen auf der Welt möglichst effektiv zu helfen, zunächst einmal lobenswert ist. Das Auskommen ohne transzendente bzw. religiöse Bezüge und das rationale Vorgehen sind prinzipiell positiv einzuordnen. Trotz dessen dürfen die eben angesprochenen, signifikanten Probleme im theoretischen Fundament des Effektiven Altruismus nicht missachtet werden. Denn dies hätte schwerwiegende Konsequenzen zur Folge, die der Alltagsmoral vieler Menschen zuwiderlaufen und vermutlich auch nicht von den Befürwortern des Effektiven Altruismus so intendiert sind.