Richard Dawkins im Interview

"Sei höflich - aber gnadenlos deutlich"

Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Humanistischen Pressedienstes führte die stellvertretende hpd-Chefredakteurin Daniela Wakonigg ein Interview mit einem der Gründerväter des so genannten "Neuen Atheismus" – Richard Dawkins: Über aggressive Atheisten, die Angst vor dem Tod und die Freuden der Sexualität.

hpd: Herr Prof. Dawkins, Sie hätten ein ruhiges und angenehmes Leben als Professor für Biologie in Oxford und später als Pensionär haben können – aber stattdessen haben Sie sich entschlossen, einer der Hauptprotagonisten des so genannten "Neuen Atheismus" zu werden. Wann und warum wurde für Sie das Aufklären von Menschen über Religion so wichtig?

Dawkins: Na ja, man kann ja nicht wirklich sagen, dass ich mich "entschlossen" habe, einer der Protagonisten des "Neuen Atheismus" zu werden. Das wirkt ja nur im Rückblick so. Aber der Widerstand gegen Religion ist ein integraler – ich würde sogar sagen unausweichlicher – Teil der wissenschaftlichen Weltsicht. Anders als viele andere Menschen denke ich, dass es eine grundlegende Unvereinbarkeit zwischen Wissenschaft und Religion gibt. Darum sind "Der Gotteswahn" und meine wissenschaftlichen Bücher tatsächlich aus einem Guss.

Für viele Atheisten sind Sie so etwas wie ein Held, während andere Menschen – meistens sind es religiöse – Sie nicht ausstehen können. Diese Menschen finden Sie und den "Neuen Atheismus" viel zu aggressiv. Stimmt dieser Vorwurf, sind Sie ein aggressiver Typ?

10 Jahre hpd

Das kann ich selbst natürlich nicht beurteilen, aber es würde mich doch sehr überraschen, wenn irgendjemand, der mich persönlich kennt, mich für aggressiv halten würde. Ich denke eher, dass ich meine Meinung sehr klar zum Ausdruck bringe. Und Klarheit kann – auf eher konfuse Gemüter – manchmal bedrohlich wirken, ja sogar aggressiv. Ich glaube, dass ist einfach eine falsche Wahrnehmung.

In der atheistischen Bewegung in Deutschland wird darüber diskutiert, wie "aggressiv" atheistische Positionen in der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht werden sollten. Einige meinen, dass wir laut sein müssen, damit wir gehört werden, andere finden, dass Aggressivität unsexy macht und der öffentlichen Wahrnehmung von Atheisten schadet. Was ist Ihre Meinung dazu? Sollten Atheisten eher Kätzchen sein oder Tiger?
 

Wie gesagt nutze ich lieber das Wort "Klarheit" statt "Aggressivität". Und natürlich sollten wir klar und deutlich auftreten. Wenn es um die Wahrheit geht, ziehe ich es vor, keine Kompromisse zu machen – auch nicht um diplomatische Interessen zu wahren. Sei höflich - aber gnadenlos deutlich. 

Einer der Vorwürfe, den Atheisten regelmäßig zu hören bekommen, ist, dass der Atheismus auch nichts anderes sei als bloß eine andere Art von Religion und dass Atheisten an die Wissenschaft oder was auch immer glauben würden. Was sagen sie dazu?
 

Es ist absurd zu sagen, dass Atheismus eine andere Art von Religion sei, und es ist ebenso absurd vom "Glauben an die Wissenschaft" so zu sprechen, als ob er mit dem Glauben an einen imaginären Freund auf einer Stufe stünde. Die Wissenschaft orientiert sich an Beweisen – und sie funktioniert. Oder, wie es jemand mal sagte: "Die Wissenschaft lässt dich zum Mond fliegen – die Religion in Gebäude."

Als Lebewesen teilen wir alle ein Schicksal: Früher oder später müssen wir sterben. Nicht-religiöse Menschen gehen davon aus, dass die Religion unter anderem deshalb erfunden wurde, nämlich um die Angst vor dem Tod zu lindern. Religiöse Menschen vermuten dagegen, dass Ungläubige wieder religiös werden, wenn der Tod an ihre Tür klopft. Im Februar hatten Sie einen Schlaganfall. Ein Erlebnis, das den Gedanken des Todes sicherlich näher rücken lässt. Waren Sie in irgendeiner Weise versucht, durch dieses Erlebnis zum Glauben zurückzufinden? Was ist Ihre persönliche Haltung gegenüber dem Tod?
 

Es ist nicht nur feige, Zuflucht bei der Religion zu suchen, wenn einem der Tod droht. Noch schlimmer, als dass das es feige ist, ist die Tatsache, dass es auch unlogisch ist. Man bringt eine Bedrohung nicht dazu zu verschwinden, indem man "glaubt", dass sie nicht mehr da ist. Meine eigene Haltung gegenüber dem Tod ist, dass das wirklich Beängstigende die Ewigkeit ist. Aber die Ewigkeit ist nur beängstigend, wenn man dort ist, um sie zu erfahren. Ich ziehe es vor, die Ewigkeit unter Narkose zu verbringen – und genau das ist es, was uns allen widerfahren wird. Es wird sich nach nichts anfühlen, ebenso wie sich all die Milliarden von Jahren, bevor wir geboren wurden, nach nichts anfühlten. Wenn ich sterbe, hoffe ich, dass ich zurückblicken und sagen kann, dass ich einen kleinen Beitrag geleistet habe: in meinem Fall einen Beitrag dazu, dass Menschen geholfen wurde zu verstehen, warum sie geboren wurden.

Möge der Tod nicht das letzte Wort dieses Interviews sein, denn schließlich gibt es eindeutig ein Leben vor dem Tod. Eines der schönsten Dinge im Leben ist zweifellos Sex. Auf Atheisten-Tagungen habe ich Leute mit T-Shirts gesehen, auf denen stand "Atheisten haben besseren Sex". Was halten Sie davon? Haben wir endlich eine Möglichkeit gefunden, wirksam für den Atheismus zu werben? Da wir keinen Himmel im Angebot haben, können wir wenigstens etwas vergleichbar Reizvolles anbieten?
 

Mir liegen keine statistischen Daten vor, ob Atheisten tatsächlich den besten Sex haben, aber ich kann mir einen möglichen psychologischen Grund vorstellen, warum das so sein könnte. Atheisten sind frei von einer Hauptquelle der Schuldgefühle in Bezug auf das Genießen von Sex. Was mich betrifft, so denke ich, dass Sex wahrscheinlich die beste Erfahrung ist, die das Leben bieten kann. Insbesondere wenn man – so wie ich – größtes Vergnügen daraus zieht, dem Anderen Freude zu bereiten. Die Freude, die man in die Augen und die Stimme eines gleichermaßen selbstlosen Sexualpartners zaubern kann, ist vielleicht das, was in dieser Welt dem Himmel am nächsten kommt.

Das Interview wurde auf Englisch geführt.

Übersetzung ins Deutsche: Daniela Wakonigg.