Bundeskunsthalle Bonn: Ausstellung über das Down-Syndrom

Aliens wie du und ich

Am 29. Oktober wurde in der Bundeskunsthalle in Bonn die Ausstellung "Touchdown" eröffnet – eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach mit der Genetikerin Katja de Bragança. Sie ist eine der Kuratorinnen der Ausstellung, Leiterin des Forschungs-Projekts "Touchdown 21" und Gründerin der Zeitschrift "Ohrenkuss", in der seit knapp zwanzig Jahren Menschen mit und ohne Down-Syndrom gemeinsame Redaktionsarbeit machen.

Sagen Sie, Frau de Bragança, ist es nicht etwas ungewöhnlich, dass eine Ausstellung über das Down-Syndrom in einem Kunstmuseum stattfindet?

Fantastisch, nicht wahr? Ich finde es sehr gut, dass die erste Etappe der Wander-Ausstellung kein Museum ist, wo's um Krankheit oder Behinderung geht, sondern ein Musentempel. Denn die meisten Menschen denken, jemand mit Down-Syndrom sei ein kranker Mensch. Und das stimmt nicht. Das Down-Syndrom ist eine genetische Besonderheit, diese Menschen haben das Chromosom 21 dreimal statt zweimal. Es ist eine biologische Besonderheit. Aber es ist keine Krankheit.

In der Ausstellung werden viele Informationen über das Down-Syndrom durch Kunstobjekte vermittelt, es ist eine Mischung von Fakten und Kunst. Und deswegen ist dieses Museum genau der richtige Ort. Wobei ich mich sehr über den Mut der Bundeskunsthalle freue, sich auf die Ausstellung einzulassen.

Was ist das Besondere an dieser Ausstellung?

Da gibt es gleich zwei Besonderheiten. Erstens gab es bisher weltweit keine gezielte Zusammenstellung von Informationen über Menschen mit Down-Syndrom: Wie haben sie früher gelebt? Wie leben sie jetzt? Wie leben sie in Deutschland, in anderen Ländern? Wie ist die Situation für sie als Kind? Wie ist die medizinische Versorgung? Wie ist die schulische Situation? Was können sie lernen? Wie arbeiten sie? Wie sieht ihre familiäre Situation aus, wenn sie klein sind – und wenn sie groß sind und vielleicht selbst Familie haben wollen? Wie sieht der medizinische Standard aus? Und vor allem natürlich auch, wie sieht die Situation mit der vorgeburtlichen Diagnostik aus? All diese Informationen bietet die Ausstellung. Sie umspannt die Geschichte des Down-Syndroms von der Darstellung von Menschen mit Down-Syndrom in alten Kulturen über den Arzt John Langdon-Down, nach dem das Syndrom im 19. Jahrhundert benannt wurde, über die NS-Zeit bis heute – und sie wagt auch einen Blick in die Zukunft.

Die zweite Besonderheit ist, dass an dieser Ausstellung Menschen mit und ohne Down-Syndrom zusammen gearbeitet haben und arbeiten. Die Inhalte wurden gemeinsam erarbeitet und wir bieten auch Doppel-Führungen durch die Ausstellung an – mit jeweils einem Führer mit und einem Führer ohne Down-Syndrom.

Beirat der Ausstelung "Touchdown"
Katja de Bragança (links) mit dem Beirat der Ausstellung "Touchdown". (Foto: Sandra Stein)

Die Ausstellung hat eine Rahmenerzählung: Aliens mit dem Down-Syndrom besuchen die Erde. Und das nicht zum ersten Mal. Auf dieser "second mission" sind Forschungsreisende, die nachschauen wollen, wie es den Nachfahren der "first mission" geht, die sich vor Jahrtausenden auf der Erde neben den Menschen ohne Down-Syndrom angesiedelt haben. Wie kommt es zu dieser Rahmenerzählung? Erleben sich Menschen mit Down-Syndrom als Aliens in unserer Gesellschaft? Und erlebt die Gesellschaft Menschen mit Down-Syndrom als Aliens?

Selber erleben sich Menschen mit Down-Syndrom natürlich überhaupt nicht als Aliens, sondern als Menschen. Ein Mensch mit dunkler Hautfarbe denkt ja auch nicht dauernd über seine Hautfarbe nach, sondern fühlt sich erstmal als Mensch. Dieses fremde Gefühl kommt erst auf, wenn man wie ein Alien behandelt wird. Und Menschen mit Down-Syndrom erleben in der Tat sehr sehr oft, dass sie angeglotzt werden, als wären sie Außerirdische. Das hat natürlich zum einen damit zu tun, dass der betrachtende Mensch oft noch nie jemanden mit Down-Syndrom gesehen hat – und dann wird völlig ungehemmt geguckt, geglotzt, vielleicht aber auch mit einem negativen Unterton gesprochen. Und das ist dann bitter und schade, denn die Männer und Frauen mit Down-Syndrom kriegen das natürlich genau mit und fühlen sich nicht gut damit. Ihre Eltern haben es erlebt, dass Leute in den Kinderwagen geglotzt haben und gefragt haben: "Muss sowas denn heute noch sein?" Oder: "Ihr Kind soll nicht auf unsere Schule, das ist nicht gut für unsere Kinder". Der Fachbegriff dafür heißt Xenophobie, also die Angst vor dem Fremden. Und die Überwindung dieser Angst ist ein Anliegen der Ausstellung – und auch von mir persönlich. Ich möchte niemandem vorwerfen, dass er Angst hat oder sich gruselt vor etwas, das er nicht kennt. Aber die Ausstellung wird bewirken, dass viele Menschen sich hinterher lockerer fühlen im Umgang mit Menschen, die das Down-Syndrom haben, und dass sie vielleicht auch neugierig werden.

Die Pränataldiagnostik ist in den letzten Jahrzehnten immer intensiver geworden – und ganz besonders aufmerksam sucht sie nach dem Down-Syndrom. Inzwischen gibt es sogar einen nicht-invasiven Test für Schwangere, mit dem noch vor Ablauf der 3-Monatsfrist ein Down-Syndrom des Kindes mit 99%iger Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Viele werdende Mütter entscheiden sich bei dieser Diagnose für eine Abtreibung. Rund 94%. Warum, glauben Sie, treffen so viele diese Entscheidung?

Ich denke, die meisten Menschen haben ein Angstbild vom Down-Syndrom. Es gibt so viele Vorurteile gegen Menschen mit Down-Syndrom und die spuken in unseren Köpfen herum. Früher hieß es, sie werden nicht älter als 30, sie können nicht lesen und schreiben, sie können nie allein aufs Klo gehen, eine Familie mit Down-Syndrom muss sich ein Leben lang um dieses Kind kümmern, sie sind nicht bildungsfähig, sie werden nie glücklich sein, sie leiden – all diese Geschichten. Und diese Geschichten stimmen nicht. Das ist Quatsch. Natürlich können die meisten von ihnen lesen und schreiben, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, zur Schule zu gehen. Und natürlich werden Menschen mit Down-Syndrom älter als 30. Die Zahl wurde erhoben 30 Jahre nach Kriegsende. Natürlich gab's da so gut wie niemanden mit Down-Syndrom, der älter war 30, weil sie unter Hitler alle ermordet wurden. Aber das weiß eben kaum jemand.

Wenn eine Frau heute während der Schwangerschaft in die Screening-Maschinerie gerät, die ihr vermittelt, dass dieser und jener Test notwendig und selbstverständlich sei und dass in den meisten Fällen ja auch alles in Ordnung sei, und es dann auf einmal nicht in Ordnung ist, dann fällt sie plötzlich aus allen Wolken. Vorher hat man sich keine Gedanken darüber gemacht und dann kommt dieser Befund und man denkt: Scheiße, das wird jetzt nicht gut, das Kind ist behindert. Und es wird einem in der Regel sofort nahe gelegt, einen Abbruch zu machen. Die Chance, in Ruhe nachzudenken, sich wirklich zu informieren, wie lebt eigentlich ein Mensch mit Down-Syndrom heute, wie nimmt er die Welt wahr, die Chance ist in dieser unglaublich gestressten Situation und der Kürze der Zeit eigentlich nicht vorhanden. Hinzu kommt der Druck von außen. Die Rolle der Familie ist hier eine total wichtige. Wenn die Großeltern Ja sagen und man weiß, man bekommt Unterstützung, entscheiden sich Frauen eher für das Kind. Und es gibt auch Ergebnisse, die zeigen, dass in dem Maße, wie die Väter Ja sagen, die Mütter eher sagen "Ich kriege das Kind". Es ist total schwierig für eine Mutter, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, wenn sie weiß, der Mann möchte es nicht.

Am wichtigsten scheint aber tatsächlich der Faktor "Information" zu sein. Schwangere, die einen Verwandten mit Down-Syndrom haben, entscheiden sich häufig anders als das Gros der Frauen, die bei der Diagnose "Down-Syndrom" abtreiben.

Können Sie denn die Entscheidung für eine Abtreibung nachvollziehen?

Ich kann nachvollziehen, dass eine junge Frau sagt: "Ich bin 22 Jahre alt, ich studiere, ich habe keinen Freund, ich krieg ein Kind mit Down-Syndrom – ich habe Sorge, dass ich's nicht schaffe". Es ist ja schon schwer genug, ein Studium alleinerziehend zu schaffen, wenn das Kind kein Down-Syndrom hat. Hier wird dann ein Abbruch gemacht, weil die Sozialsituation mangelhaft ist. Aber die weitgehend unreflektierte  Meinung in der Gesellschaft, dass Menschen mit Down-Syndrom eigentlich nicht wirklich Menschen sind, weil sie drei Chromosomen 21 und nicht nur zwei haben, und dass diese Chromosomenbesonderheit dazu berechtigt, eine Schwangerschaft abzubrechen, finde ich … nun ja … interessant. Es gibt Länder, in denen gibt es eine pränatale Geschlechtsdiagnostik und Kinder werden abgetrieben, weil sie – aus Sicht der Eltern – nicht das richtige Geschlecht haben. Hier in Deutschland ist man darüber völlig empört. Warum keine Empörung bei dem dritten 21er-Chromosom? Das ist sehr interessant. Das kann nicht an dem Chromosom als solchem liegen, sondern an dem Bild, das man von Menschen mit Down-Syndrom hat.

Übrigens habe ich mich über genau diese Fragen mit unserer Ausstellungs-Beirätin Julia Bertmann unterhalten, die das Down-Syndrom hat. Ich fragte sie, warum Menschen ihrer Meinung nach Kinder mit Down-Syndrom abtreiben. Ihre Antwort: "Weil sie nicht wissen, dass ein Mensch wie ich ein gutes Leben haben kann. Sie kennen mich nicht. Ich habe ein gutes Leben und das möchte ich mitteilen. Ich hab Rechte und ich hab Wünsche und die möchte ich durchsetzen." Übrigens habe ich sie auch gefragt, ob sie eine Frau verurteilen würde, die einen solchen Schwangerschaftsabbruch hat vornehmen lassen. Darauf sagte sie: "Nein, die tut mir leid, weil sie dachte, sie muss es tun. Und ich möchte dazu beitragen, mit dem, was ich vermittle, dass vielleicht irgendjemand sich nicht dafür entscheidet."

Unser Wissen über Genetik ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten extrem gewachsen, ebenso unsere Fertigkeiten zur genetischen Manipulation. Was halten Sie von den Diskussionen um Designer-Babies und den genetisch optimierten Menschen - eine Zukunft, die wahrscheinlich nicht mehr in allzu großer Ferne liegt?

Ob es wirklich genetisch optimierte Menschen geben wird, das kann ich nicht beurteilen. Als Biologin und Genetikerin kann ich die Faszination verstehen, die von der entsprechenden Grundlagenforschung ausgeht. Ich weiß aber auch gleichzeitig, was es bedeutet, diese Forschung zu betreiben, und deswegen bin ich kein Freund davon. Jede forschende Person, jede Person, die sich auskennt in den Naturwissenschaften, weiß, dass dieses Grundlagenwissen, sobald man es erforscht hat, auch benutzt wird. Und das ist der Grund – so schwer es mir fällt – warum ich nicht mehr in der Forschung arbeite.

Falls die Optimierung irgendwann zur Normalität wird, welche Auswirkungen wird dies, Ihrer Meinung nach, auf den Umgang mit den Nicht-Optimierten in der Gesellschaft haben?

Der perfekte Mensch, das perfekte Gemüse, das perfekte Auto, was auch immer – das ist, glaube ich eine Urfantasie der Menschheit, alles schön perfekt zu machen. Wobei die Frage ist: Was ist perfekt?

Die meisten Machtpositionen sind aktuell besetzt von Menschen, die kein Handicap haben und die glauben, dass es sie auch nie treffen wird. Man muss sich allerdings klar machen, dass 96% aller Behinderungen sich erst im Laufe des Lebens ergeben. 2% während der Geburt und 2% sind schon vorgeburtlich festgelegt. Also die Chance, dass ich irgendwann im Laufe meines Lebens eine Behinderung bekomme, ist sehr viel größer, als damit geboren zu werden. Darum ist dieser ganze Aufwand mit Pränataldiagnostik eine Art Schattenboxen, weil man nicht verhindern kann, was einfach normal ist. Es ist normal, dass ein Mensch krank wird oder irgendwas passiert und er daraufhin eine Einschränkung hat. Das wird immer so sein, egal wie sehr man sich an irgendeiner genetischen Optimierung versucht. Deshalb geht es darum, eine Lebenskultur zu entwickeln, in der man trotzdem miteinander leben und gelassen denken kann: "Ja, mein Leben ist erfüllt, auch wenn ich jetzt vielleicht meinen kleinen Finger nicht mehr habe."

Menschen mit Down-Syndrom sind sehr stark. Sie haben eine hohe Resilienz. Von ihnen können wir lernen. Sie sind ehrlich. Sie sind realistisch. Und ich wünsche mir Politiker mit so einer Qualität. Und ein Anliegen des Touchdown 21-Forschungsprojektes ist es, dass die Menschen mit Down-Syndrom, die dort mitarbeiten, irgendwann mal Lobbyarbeit in eigener Sache machen. Und zwar auf eine Art, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Ich bin sehr sehr zuversichtlich, dass die Dinge sich interessant weiterentwickeln werden.

Die Ausstellung "Touchdown" ist noch bis zum 12. März 2017 in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen.