Seit Jahren finanziert die öffentliche Hand die Kirchentage der evangelischen und katholischen Kirche mit durchschnittlich 7 Millionen Euro. Die Höhe der Förderung aus Steuermitteln übersteigt dabei deutlich das finanzielle Engagement der Kirchen, den eigentlichen Nutznießern dieser Veranstaltung. Die derzeitige Subventionierungspraxis stellt nicht nur einen fortwährenden Verstoß gegen das verfassungsmäßige Gebot der staatlichen Neutralität dar. Sie ist angesichts der Schuldenlast vieler Kommunen vor allem auch unsozial.
Der Untersuchung "Verschuldung der deutschen Großstädte 2012 bis 2014 - Update zur EY - Kommunenstudie 2015" der Beratungsgesellschaft Ernst & Young zufolge hatten im Jahr 2014 die 72 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern 83 Milliarden Euro Schulden. Auf jeden Großstadtbewohner entfielen damit im Durchschnitt kommunale Schulden in Höhe von 4.300 Euro. Die Entwicklung ist in vielen Städten negativ in Richtung immer höherer Schuldenlast - und dies trotz guter Konjunktur und niedrigen Zinsen. Nach dem kommunalen Finanzreport 2015 der Bertelsmann-Stiftung steigen im Trend die kommunalen Sozialausgaben stärker als die Einnahmen. Für das Jahr 2014 ergibt sich eine kommunale Gesamtverschuldung von 129 Milliarden Euro. Viele Kommunen sind so hoch verschuldet, dass sie kaum noch handlungsfähig sind.
Im Hinblick auf das Vermögen der katholischen und evangelischen Kirche ergibt sich ein völlig anderes Bild.
Das Vermögen der katholischen Kirche beläuft sich nach Schätzungen des Politologen und Kirchenfinanzexperten Carsten Frerk auf bis zu 200 Milliarden Euro (FOCUS-Online, 17.10.2013). Die katholische Kirche ist größter privater Grundbesitzer in Deutschland. Zu den reichsten Diözesen gehören München-Freising (6 Milliarden, mittlerweile aufgeteilt in Stiftungen), Paderborn (4 Milliarden Euro), Köln (3,35 Milliarden Euro), Limburg (inkl. Bischöflichem Stuhl: 1 Milliarde Euro) und Mainz (823,3 Mio. Euro) (Spiegel-Online, 29.09.2015).
Auch die Finanzmacht der 20 evangelischen Landeskirchen Deutschlands ist gewaltig. Rund 10 Milliarden Euro stehen diesen jedes Jahr für ihre Arbeit zur Verfügung (dw, 14. Nov 2013). Diese stammen aus Kirchensteuern, Gemeindebeiträgen, Spenden, Staatsleistungen und weiteren Posten. Der Homepage der EKD www.kirchenfinanzen.de ist zu entnehmen, dass die EKD im Jahr 2013 Vermögenseinnahmen (Mieten, Pachten, Kapitalerträge) in Höhe von 750 Millionen Euro verzeichnete. Geht man von einer Gewinnmarge bzw. einen Zinssatz von 5% aus, lässt dies auf ein Vermögen von mindestens 15 Milliarden € schließen. Würde man den EZB Zinssatz von 0,75 % vom Januar 2013 ansetzen, käme man auf ein Vermögen von 100 Milliarden Euro.
Der Gesamtwert der Besitztümer beider Kirchen ist zwar nicht exakt in Zahlen zu fassen, da die Kirchen nicht alle Daten offenlegen. Die verfügbaren Zahlen reichen aber aus, um zu belegen, dass sowohl die katholische wie auch die evangelische Kirche – im Gegensatz zu Ländern und Kommunen – im Geld schwimmen. Sie sind reich genug, um ihre Religionsfeste selbst zu finanzieren. Sie müssen hierzu nicht auf die Haushalte hochverschuldeter Städte zurückgreifen. Es fehlt hier also schon von vornherein an der Förderbedürftigkeit.
Es fehlt aber auch an der Förderwürdigkeit: Städte, die trotz zumeist hoher Schuldenlast Sozial-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen für tausende - teilweise prekär lebende - Menschen bereitstellen müssen, sollten wahrlich andere Prioritäten haben als die Finanzierung innerreligiöser Feierlichkeiten.
Die unten dargestellten Übersichtsdiagramme belegen jedoch, dass Stadträte und andere Politiker auf Bundes- und Landesebene die Kirchentage in den letzten Jahren mehr als großzügig mit Steuergeldern bedacht haben: Kirchentage werden von Politikern gerne als Plattform für sich und ihre Partei genutzt. Die Städte haben – mit einer einzigen positiven Ausnahme (Münster) - durchweg deutlich mehr Geld zugeschossen als die Kirchen, die eigentlichen Nutznießer der Kirchentage. Städte wie Leipzig (2015: 690 Mio. Euro Schulden) und das praktisch bankrotte Bremen (2009: über 16 Milliarden Euro Schulden) verschenkten Million für ein religiöses Sommerfest von Organisationen, die nicht auf Schulden-, sondern auf Geld- und Aktienbergen sitzen. Im Schnitt zahlte der Staat jedes Jahr sieben Millionen Euro für einen Kirchentag. Die Kirchen, die von der erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit und der Mobilisierung und Bindung aktiver Kirchenmitglieder profitieren, zahlten dagegen im Mittel nur drei Millionen Euro für einen (katholischen oder evangelischen) Kirchentag.
Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass viele als Sponsoren auftretende Organisationen ebenfalls von der öffentlichen Hand finanziert werden (Stuttgart 2015: Stuttgart-Marketing GmbH, Südwestrundfunk, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft B-W, u.a.). Unberücksichtigt ist auch, dass den Städten erhebliche Mehrkosten durch Großveranstaltungen entstehen (Polizei, Verkehrsumleitungen, Sperrung der Innenstadt, kostenlose Bereitstellung von Schulen und Turnhallen als Übernachtungsmöglichkeit, etc.). Weiterhin ist nicht berücksichtigt, dass sich die Kirchen keineswegs nur aus Mitteln der Gläubigen und Spenden finanzieren. Vielmehr fördert der Staat beide Kirchen im Jahr insgesamt mit rund 19,3 Milliarden Euro (Carsten Frerk: "Violettbuch Kirchenfinanzen"), etwa durch diverse Steuerbefreiungen, Übernahme der Kosten der Ausbildung für Theologen und Religionslehrer, Religionsunterricht, Militärseelsorge, etc.). Ausgehend von durchschnittlich 7 Millionen Euro Kirchentagssubventionen jährlich spendiert die öffentliche Hand den reichen Kirchen also 7,6 Kirchentage an jedem einzelnen Tag des Jahres. Letztlich ist die jährliche Kirchentagssubventionierung also nur ein kleiner Aspekt der viel umfassenderen Problematik der fehlenden Trennung zwischen Staat und Kirche in Deutschland.
Gerne wird von Verteidigern der derzeitigen Subventionierungspraxis versucht, staatliche Kirchentagszuschüsse mit allerlei Zahlenakrobatik zu rechtfertigen. Es wird nicht unterschieden zwischen Einnahmen und Gewinn, es wird nicht unterschieden zwischen Geldflüssen an Unternehmen IN einer Stadt und (die deutlich geringeren, da steuerlich nur anteiligen) Geldflüsse AN die Stadt. Es werden die üblichen Ausgaben eines Touristen angesetzt obwohl bekannt ist, dass Kirchentagsbesucher im Schnitt Low-Budget-Reisende sind (Anteil der nicht erwerbstätigen Besucher: Katholikentag Dresden: 48,5%; Hamburg: 46%; Regensburg: 36%; siehe Pickel, Jaeckel und Yendell 2015, Pickel, Jaeckel und Yendell 2016). Sowiesoeffekte (auch ohne Kirchentag wären Hotels und Veranstaltungsräume gebucht worden) werden nicht abgezogen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Beispielhaft wird hierzu auf einen hpd-Kommentar zur kreativen Gewinnabschätzung der Stadt Leipzig zum Katholikentag 2016 verwiesen.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist die derzeitige Finanzierungspraxis schlichtweg unsozial und geschieht entgegen den Interessen der Allgemeinheit: Konfessionsfreien Bürgern, aber auch den meisten Kirchenmitgliedern, dürfte die kommunale Sozial- und Bildungsinfrastruktur ihrer Städte wichtiger sein als ein Kirchentag. Bei Kirchentagen handelt es sich um einmalige Großveranstaltungen, von denen kein nachhaltiger positiver Einfluss auf die Infrastruktur einer Stadt zu erwarten ist. Vielmehr fehlen die an einen Kirchentag verwendeten Gelder für nachhaltige Sozial- und Infrastrukturprojekte (Schulen, Kindergärten, öffentlicher Verkehr) und für Sommerfeste und sonstige Kulturveranstaltungen, von welchen Bürger einer Stadt unabhängig von ihrer jeweiligen Weltanschauung profitieren.
Politisch-weltanschauliche Problematik
Die Praxis der Kirchentagsfinanzierung ist nicht nur unsozial, sie ist auch eine fortwährende Verletzung des in der Verfassung verankerten Gebots der weltanschaulichen Neutralität allen staatlichen Handelns.
Kirchentage sind für Konfessionsfreie und Andersgläubige, die in vielen Großstädten die absolute Mehrheit der Bevölkerung bilden, nachweislich völlig uninteressant. Eine große und stetig wachsende Anzahl von Menschen hat den Kirchen aktiv den Rücken gekehrt, da sie mit deren politischen Positionen etwa zu Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe und Homosexualität oder mit den diskriminierenden Arbeitsbedingungen bei Caritas und Diakonie nichts mehr zu tun haben wollen. Durch die derzeitige Subventionierungspraxis werden aber auch Konfessionsfreie und Andersgläubige dazu gezwungen, religiöse Feste von Organisationen zu unterstützen, deren Positionen sie ablehnen und deren fortschreitenden gesellschaftlichen Bedeutungsverlust sie eigentlich begrüßen.
Natürlich sollen Städte die Möglichkeit haben, einen öffentlichen Dialog über Wertfragen auch finanziell zu fördern. Sie sind jedoch aufgrund unserer Verfassung zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet und müssen bei der Bewilligung von Geldern sicherstellen, dass in diesem Dialog auch alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen innerhalb des demokratischen Spektrums zu Wort kommen, also gleichermaßen Einfluss auf die Auswahl der Themen und Referenten haben, die diesen öffentlichen Dialog bestimmen. Sie dürfen die Regie und die entsprechenden Gelder nicht länger einer Organisation überlassen, die in vielen deutschen Städten nur noch eine kleine Minderheit vertritt.
2 Kommentare
Kommentare
Rüdiger Pagel am Permanenter Link
So ist es und so bleibt es !!
Zumindest so lange, wie Bundestag und Kommunen klerikal verseucht und unterwandert sind.
Kay Krause am Permanenter Link
Siehe hierzu mein Kommentar zum hpd-Beitrag vom 09. 01. 2017 "Kirchentage, Sommerfeste von und für religiöse Christen" !