Führer zu Eiszeitkunst und Höhlen der Schwäbischen Alb

Die Anfänge der figurativen Kunst

Gerade wurden sie zum Weltkulturerbe erklärt: Das "Geißenklösterle", der "Vogelherd", das "Fohlenhaus". Rund ein Dutzend Höhlen der Schwäbischen Alb, in einigen unter ihnen wurden die ältesten figurativen Kunstwerke der Menschheit gefunden. Um 40.000 Jahre sind die alt. "Welt-Kult-Ur-Sprung" ist ein Führer zum Thema. Sämtliche Kunstwerke sind darin abgebildet, bis hin zu dem neuerdings geborgenen Fischchen aus Mammutknochen.

Es war irgendwann, als die letzte Eiszeit schon milder zu werden begann und sich das Eis aus dem Südwesten der heutigen Schwäbischen Alb schon zurückgezogen hatte, da schufen Menschen mit Steinwerkzeugen winzige, höchstens daumenlange Figürchen. Wozu? Das wissen wir nicht. Eine stämmige urtümliche Venus, immer wieder Großkatzen, Mammuts, Wisente, aber auch eine Vogelfigur, die ins Wasser hinab zu schießen scheint, ein Igel und natürlich Pferde.

Cover
Cover

So alt wie die figurative Kunst sind Darstellungen von Chimären, Mischwesen aus Mensch und Tier, Mann und Löwe, um es genauer zu sagen. Begann das Nachdenken über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier schon vor mehr als 40.000 Jahren? Sah sich der Mensch als Tier oder das Tier als sehr menschenartig? Erblicken wir eine Metamorphose? Ahnte der Mensch, dass er aus der Tierwelt hervorging? Auch diese Fragen müssen unbeantwortet bleiben. Auf jeden Fall schien es den Menschen damals nicht schwer zu fallen, Mensch und Tier in einem Wesen zu denken und ihm kraft der Fantasie einen visuellen Ausdruck zu verleihen. Wem diese Gestalten unrealistisch vorkommen, wird darin die Geburtsstunde des Spirituellen sehen, des Überwirklichen. Aber braucht es das tatsächlich?

Selbst in den Fragmenten, dem Rumpf etwa eines sich anschleichenden Schneeleoparden, steckt noch die ganze Dynamik einer wendigen Großkatze. Eine ganze Welt en miniature eröffnet sich. Eine Welt, der der Mensch nicht ausgeliefert ist, weil er sie sich selber schuf. Vielleicht wurde er genau deshalb zum Künstler.

All diese rund 40 Plastiken, Schmuckstücke, zwei Flöten und einige bemalte Steine, aber auch die Umwelt, aus der sie stammen, sind in dem Bildband des Verbundes der Antragsteller auf das UNESCO-Weltkulturerbe, die sich zu dem Projekt zusammengetan haben, hervorragend abgebildet. Man erfährt von den Autoren, allesamt Fachleute aus den Museen, was wo gefunden wurde und in welchem Museum zu sehen ist, so recht geeignet einen Besuch dorthin vorzubereiten.

Die jüngsten Funde traten durch Nachgrabungen, aber auch minutiöses Zusammensetzen von Bruchstücken, die lange in den Magazinen ruhten, zu Tage. Sie blieben vor Ort: In Blaubeuren und im Archäologischen Park Vogelherd. Der Trend geht auch hier hin zum Lokalen. Die Stücke blieben also unweit der Kalkhöhlen, in denen im Flackern der Feuer die kleinen Skulpturen von magischer Schönheit entstanden.

Georg Hiller und Stefanie Kölbl (Hrgs.): "Welt-Kult-Ur-Sprung World Origin of Culture", zweisprachig Deutsch-Englisch, Süddeutsche Verlagsgesellschaft im Thorbecke Verlag Ulm 2016, 111S, 19,90 Euro