Ohne Lichteffekte geht gar nichts: Die Top 5 der religiösen Erweckungserlebnisse

Freude, Freude, Freude!

Sie überkommen ihre Empfänger gern mit Lichtblitz und fremden Stimmen, Zeugen sind eher selten zugegen. Dennoch haben sie die Weltgeschichte nachhaltig beeinflusst: Hier die Top Five der religiösen Erweckungserlebnisse (Christentum).

Religiöse Erweckungserlebnisse sehen einer allmächtigen Gottheit so gar nicht ähnlich. Immer sucht die allmächtige Gottheit, statt ein einziges Mal nachvollzieh- und belegbar zur Menschheit zu sprechen, sich einen Einzelnen, Vereinsamten, Erschöpften. Einen Menschen in der Krise. So wie ein Krankheitserreger den angeschlagenen Körper am besten befallen kann, so interagiert auch die Gottheit mit den Menschen. Irgendwo im Gebüsch lauert sie, sie wartet auf ein mattes Opfer. Bald kommt es zu einem klassischen Win/Win: Das Opfer wird von einer lange vermissten Gloria und Harmonie überkommen, einem neuen Sinn im Leben. Die Gottheit hingegen, deren göttliche Power wohl ebenfalls ausgelaugt sein muss, da sie für die Erleuchtung der gesamten Menschheit offenbar nicht hinreicht, kann nun immerhin in dieser Einzelseele ihre ganze krasse Pracht entfalten. Dabei ist es immer wieder schön zu lesen, wie sich die Begegnung in den banalsten Momenten vollzieht. Hier die Top Five der religiösen Erweckungserlebnisse.

Nummer 5: Saulus/Paulus

Der Klassiker unter den Berufungen. Ein Mann wird derart vom guten Gott gerammt, dass er sogar seinen Namen ändert. Vom Saulus zum Paulus. Eben noch hat er gnadenlos die Jesusjünger drangsaliert und verfolgt, eben noch hat er genussvoll der Hinrichtung des Stephanus beigewohnt, eben noch will er mit dem ganzen Ingrimm des religiösen Fundamentalisten nach Damaskus, um dort die Urchristen aufzumischen – da fällt er vom Pferd. Oder zumindest auf berühmten Gemälden tut er das. Und Gott, den die ganze Christenverfolgungsnummer bis eben nicht gestört hat, lässt ein helles Licht leuchten, warum auch immer, und er spricht zu Saulus: Er solle das jetzt doch mal bleiben lassen mit dem Verfolgen und Foltern und Töten von Christen. Das leuchtet dem unmittelbar ein, denn einen solchen Lichteffekt hat er noch nie erlebt. Er bekehrt sich von dem einen Glauben zu dem anderen Glauben, und bei oberflächlicher Betrachtung hat er also sein Leben auf den Kopf gestellt, ist aber eigentlich doch nur geblieben, was er immer war - ein religiöser Fanatiker. Kein Wunder, dass seine berühmte Namensänderung eigentlich nur einen Buchstaben umfasst.

Nummer 4: Blaise Pascal

Der geniale französische Mathematiker hatte die Wissenschaft auf diversen Gebieten entscheidend vorangebracht. Bereits als 16-Jähriger beeindruckte er mit einer Abhandlung über Kegelschnitte, erfand eine Rechenmaschine, arbeitete erfolgreich über Luftdruck, Vakuum, Wahrscheinlichkeitsrechnung, und und und, ehe er im Herbst 1654 von einer depressiven Verstimmung erfasst wurde. Am 23. November dann fand Pascal zu Gott, oder Gott zu ihm, gerüchteweise sollen die Pferde seiner Kutsche aus unerfindlichen Gründen gescheut haben und soll Pascal also, wie Saulus auf den Bildern, auf die Straße geflogen sein. Dann kam Gott über ihn, von halb Elf bis halb Eins in der Nacht, überliefert ist das Mémorial, der Notizzettel, auf dem Pascal live oder zeitnah aufschrieb, was ihn an Erkenntnissen überkam. Das liest sich auszugsweise wie folgt, und man kann sich den Ruck, der durch die Pferde ging, wohl gar nicht heftig genug vorstellen: "Seit ungefähr halb elf Uhr abends bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht. Feuer. Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, nicht der Philosophen und der Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden, Freude, Frieden. Der Gott Jesu Christi. Deum meum et deum vestrum. Dein Gott ist mein Gott. Vergessen der Welt und aller Dinge, nur Gottes nicht. Er ist allein auf den Wegen zu finden, die im Evangelium gelehrt werden. Größe der menschlichen Seele. Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich. Freude, Freude, Freude, Freudentränen. Ich habe mich von ihm getrennt. Dereliquerunt me fontem aquae vivae." So also klingt es, wenn das höchste Wesen durch einen der klarsten Geister seiner Zeit spricht. Manchmal wundert man sich überhaupt nicht mehr, warum die Welt in so einem konfusen Zustand ist.

Nummer 3: Jakob Böhme

Ohne Lichterlebnisse geht eigentlich gar nichts, wenn Gott sich zu den Seinen durchstellen lässt. Jeanne d'Arc, die Stimmenhörerin, berichtet von einem Licht, das ihre Eindrücke begleitete, Paulus sinkt vor einem hellen Schein auf die Knie – visueller Schabernack scheint der Gottheit ein echtes Anliegen zu sein. Der Mystiker Jakob Böhme erreicht um 1600 Einblick in die göttliche Ordnung, als er ein Zinngefäß betrachtet, als aus dem Zinngefäß das Licht der Sonne auf seine Netzhaut fällt und er also "zu dem innersten Grunde oder Centro der geheimen Natur eingeführet" wird. Ein kurzer Moment, doch Böhme gewinnt Einsichten, die er die nächsten zwölf Jahre lang aufschreiben kann, und mit denen er über Jahrhunderte hinweg Geistesgrößen beeinflusst, von Schelling über Novalis bis hin zu Hollywood-Dicklippe Nicolas Cage.

Nummer 2: Ellen White

Die Wissenschaft hat viel rumgerätselt über historischen Fällen von göttlicher Offenbarung. War Schizophrenie im Spiel, Schläfenlappen-Epilepsie, oder sonst vielleicht auch Tuberkulose? Das Spektrum der Deutungen ist breit, manche scheint dabei naheliegender, manche ist vielleicht eher spekulativer Begeisterung zuzuschreiben. Ellen White jedenfalls bekam als Kind einen Stein an den Kopf. Just als sie sich nach ihrer Verfolgerin umdrehte, kam der Brocken geflogen und traf sie mitten im Gesicht. Drei Wochen lang war Ellen White daraufhin bewusstlos, reichte also fast schon an Teresa von Ávila heran, für die man bereits ein Grab ausgehoben hatte, bevor sie so richtig ernsthaft zu predigen anfing. Jahrelang wurde Ellen White später von Ohnmachtsanfällen geplagt. Vor allem aber bekam sie Visionen, und zwar keinen Moment zu spät. Zwei Monate waren bereits verstrichen, seit die Wiederkunft Christi wieder einmal trotz Ankündigung nicht stattgefunden hatte, da fing das an mit Ellen Whites Visionen. Und die Visionen halfen nicht zu knapp mit, die junge, von Ellen White mit gegründete Kirche zu am Leben zu halten, die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Man kann sagen, was man will: Auch wenn Gott seit zweitausend Jahren Probleme hat, für die in der Bibel zeitnah angekündigte Wiederkunft Christi zu sorgen – für Unterhaltung ist doch immer gesorgt.

Nummer 1: Emanuel Swedenborg

Beim genialen schwedischen Universalgelehrten, der im späteren Leben mit den Engeln sprechen und sich von ihnen den Aufbau des Himmels erklären lassen würde, kündigte sich die entscheidende Vision über Monate an. Ein Jahr nachdem sein hyperdominanter Vater gestorben war, der Bischof von Skara (der die wissenschaftliche Karriere seines Sohnes stets verurteilt hatte), suchten immer wildere Träume und Visionen Emanuel Swedenborg heim. Im April 1745 war er auf einer Europareise. Da geschah es eines Abends unvermutet in einer Londoner Gaststätte. Swedenborg bemerkte, dass seiner Haut ein Nebel entströmte, der den ganzen Raum füllte, während auf dem Fußboden plötzlich Schlangen und Kröten auftauchten. Schlagartig verschwand die Vision. Nur saß da auf einmal ein Unbekannter bei Swedenborg. Und sprach die gewichtigen Worte: "Ät inte så mycket!" Iss nicht so viel! Nach dieser vertrauensbildenden Maßnahme verschwand der Mann. In der Nacht tauchte er noch einmal auf und erklärte sich: Er sei Gott, der Herr, der Schöpfer der Welt. Er werde jetzt Swedenborg den Himmel eröffnen, er könne dann mit den Verstorbenen und mit den Engeln sprechen. Was Swedenborg daraufhin ausgiebig tat. Er beschrieb den Aufbau des Himmels in seinem monumentalen Hauptwerk, den acht Bänden "Arcana coelestia" (1749-56). Diese ließ sich auch Immanuel Kant kommen - um schließlich, wenig beeindruckt, zu urteilen: "Das große Werk dieses großen Schriftstellers enthält acht Quartbände voll Unsinn."