Manfred Lütz zur aktuellen Sterbehilfedebatte

Wer ohne Argumente ist, diffamiert gern

GIESSEN. (hpd) Spätestens seit seiner grotesken Apologie “Gott: Eine kleine Geschichte des Größten” dürfte hinlänglich bekannt sein, dass sich Manfred Lütz eher auf das Suggerieren, Insinuieren und Diffamieren als auf das Argumentieren versteht. In seinem jüngst erschienenen Artikel “Es gibt keine Lizenz zum Töten” bietet er uns eine erneute Kostprobe seiner perfiden Kunst.

Gleich zu Beginn seiner kruden Polemik gegen die Sterbehilfe greift er zu der alt bewährten Nazikeule, indem er seine Leser eindringlich an das “Euthanasie-Programm” des Dritten Reiches gemahnt. Doch was hat die perniziöse “Aktion T4”, mit der sich der nationalsozialistische Staat seiner “unnützen Esser” und “sozialen Ballastexistenzen” zu entledigen suchte, mit der aktuellen Debatte um die Hilfe bei der Selbsttötung zu tun? Da Lütz genau weiß, dass es in der gegenwärtigen Diskussion nicht um die “aktive Euthanasie”, sondern ausschließlich um den “assistierten Suizid” geht, kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass Lütz hier mal wieder tief in seine sophistische Trickkiste zu greifen versucht hat: Es ist der leider wenig subtile Versuch, seine Opponenten von vornherein moralisch zu diskreditieren.

In dem Verdacht, dass Lütz aus Mangel an Argumenten mal wieder zu Denunziationen greift, wird man noch bestärkt, wenn man sieht, dass er jeden, der sich gegen die geplante Kriminalisierung des assistierten Suizids ausspricht, kurzerhand als “Tötungsbefürworter” diffamiert. Doch wer bitteschön spricht von “töten”? Es geht doch allein um die Frage, ob man es Ärzten in Ausnahmefällen weiter gestatten sollte, unheilbar erkrankten Menschen auf deren ausdrückliches Verlangen hin ein Medikament auszuhändigen, mit dessen Hilfe sie ihrem Leben und Leiden selbst ein Ende setzen können. Und zwischen dem Ausstellen eines Rezepts und der Tötung eines Patienten liegen doch wohl Welten!

Da sich ihm die juristische Unterscheidung zwischen der strafbaren “Tötung auf Verlangen” und der straffreien “Beihilfe zur Selbsttötung” offenbar nicht erschließen will, kann es auch nicht weiter verwundern, dass uns Lütz vor “holländischen Zuständen” zu warnen sucht. Aber noch einmal: Es geht in der gegenwärtigen Bundestagsdebatte nicht um die aktive Euthanasie, sondern um den assistierten Suizid.

Wie gewohnt, scheut Lütz auch vor faustdicken Lügen nicht zurück. So behauptet er etwa: “In den Niederlanden tötet man inzwischen aus ’Mitleid’ auch Menschen, die gar nicht zugestimmt haben.” Wenn er damit meint, dass in Holland tatsächlich Patienten entgegen ihrem ausdrücklichen Willen getötet werden, ist diese Behauptung frei erfunden. In den Niederlanden sind keine Fälle von unfreiwilliger Euthanasie, sondern nur von nicht-freiwilliger Euthanasie dokumentiert worden.

Womöglich ist Lütz mit der folgenden Differenzierung heillos überfordert. Dennoch: In der medizinethischen Diskussion unterscheidet man zu Recht zwischen der “freiwilligen Euthanasie”, der “unfreiwilligen Euthanasie” und der “nicht-freiwilligen Euthanasie”. Die freiwillige Euthanasie besteht in der Tötung eines Patienten auf dessen ausdrücklichen Wunsch. Die unfreiwillige Euthanasie besteht in der Tötung eines Patienten entgegen dessen ausdrücklichen Wunsch. Und die nicht-freiwillige Euthanasie besteht in der Tötung eines Patienten ohne dessen ausdrücklichen Wunsch.

Die Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Euthanasie dürfte klar sein. Im ersten Fall tötet der Arzt einen Patienten mit dessen Willen, im zweiten Fall gegen dessen Willen. Doch was bedeutet “ohne” dessen Willen? Mit der nicht-freiwilligen Euthanasie werden Fälle bezeichnet, in denen der Patient nicht mehr ansprechbar ist. Wenn er etwa in ein irreversibles Koma gefallen ist, kann er sich nicht mehr für oder gegen eine Euthanasie aussprechen. In solchen Situationen entscheiden dann für gewöhnlich die Angehörigen des Patienten oder die Ärzte selbst, ob eine Euthanasie durchgeführt werden sollte oder nicht. Wenn sich die Ärzte auf Grund der hoffnungslosen Prognose des Patienten dazu entschließen, ihn mit Hilfe einer Injektion zu töten, ist dies ein Fall von nicht-freiwilliger Euthanasie, weil sie ohne dessen Zustimmung erfolgt.

Ärztliches Handeln ohne eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten ist immer problematisch. Doch sie ist keineswegs auf die Niederlande beschränkt. Auch hierzulande schalten Ärzte beispielsweise regelmäßig den Respirator eines Patienten ab, ohne zuvor dessen ausdrückliche Zustimmung eingeholt zu haben. Tatsächlich ist die Zahl nicht-freiwilliger medizinischer Maßnahmen am Lebensende in Deutschland sogar weit höher als in Holland. Nach einer Umfrage halten es denn beispielsweise auch 63 Prozent der von Lütz gepriesenen deutschen Palliativmediziner für moralisch zulässig, lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ohne den ausdrücklichen Wunsch ihrer Patienten zu beenden! Lützens moralischer Zeigefinger ist also vollkommen deplatziert: In Deutschland wie in Holland sterben Patienten mit infauster Prognose zuweilen ungefragt eines vorzeitigen Todes.

Wenn er den ethischen und rechtlichen Unterschied zwischen aktiver Euthanasie und assistiertem Suizid begreifen würde, hätte Lütz seinen Blick nicht auf die Niederlande, sondern auf die Schweiz gerichtet. Denn dort finden wir jene Praxis der Sterbehilfe vor, nach der sich eine überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung sehnt.

In der Schweiz gibt es fünf Sterbehilfeorganisationen. Und niemand fühlt sich durch die Suizidhilfe, die sie leisten, bedroht. Als im Jahre 2011 im Kanton Zürich ein Volksentscheid stattfand, sprachen sich 84,5 Prozent der Bürger gegen ein Verbot der so genannten “Freitodhilfe” aus. Die überwiegende Mehrheit nimmt die bestehenden Sterbehilfeorganisationen nicht in Anspruch. Tatsächlich sterben jedes Jahr nur 7 von 1.000 Menschen durch eine Freitodhilfe. Doch die Schweizer sind liberal: Auch wenn sie selber nicht daran denken, vom assistierten Suizid Gebrauch zu machen, fragen sie sich doch, welches Recht sie haben, ihn anderen vorzuenthalten.

Mit 60.000 Mitgliedern ist “Exit” die größte Sterbehilfeorganisation in der Schweiz. Die Mitgliedschaft kostet 45 Franken jährlich. Jedes Jahr erhält Exit etwa 2.000 Anfragen zu einer Freitodbegleitung. Davon werden im Durchschnitt 500 angenommen. Von den 500 Menschen, denen eine Freitodhilfe zugesichert wird, machen letztlich aber nur 300 von ihr Gebrauch. 200 Menschen genügt also das bloße Wissen, dass sie ihrem Leben jederzeit ein Ende setzen können, falls ihr Leiden unerträglich werden sollte.