Irischer Abgeordneter beruft sich auf Fabelwesen

Feen gegen Gott

Märchenhafte Politik: In Irland gibt ein Parlamentsabgeordneter den Feen die Schuld an Straßenschäden. Gleichzeitig bemüht er den lieben Gott, um den Klimawandel zu stoppen. Wir fragen uns: Muss man sich nicht für eine Fabelwelt entscheiden?

Übernatürliche Wesen haben immer denselben Effekt: Sie bieten einen Vorwand, nicht selber denken zu müssen. Sie werden an der Grenze der eigenen geistigen Kapazität – oder einfach nur aus Bequemlichkeit - zum Einsatz gebracht. Nämlich genau dort, wo die Welt zu komplex und unüberschaubar wird, als dass sie sich vom schlichten Alltagsgeist bewältigen ließe. An dieser Grenze wären zwei Einsichten zuzulassen. Dass man nicht alles verstehen, und dass man nicht alles kontrollieren kann, einerseits. (Was natürlich ein unangenehmes Eingeständnis ist.) Andererseits aber: Dass es jeden Versuch wert wäre, das eigene Verständnis der Welt zu erweitern, Neugier und Interesse zu zeigen. Dass alles Forschen, Fragen, Hinschauen und Herausbekommen nur einen Zugewinn des eigenen Terrains bringen kann. Unter uns Menschen ist es allerdings eine gute alte Tradition, die Verständnisgrenze mit Märchen zu besetzen. Denn es gibt ja nichts Beruhigenderes als Geschichten, mit denen sich das dreijährige Kind in uns zufrieden gibt und selig einschlafen kann: Der liebe Gott wacht über alles. Riesen haben den Berg da hingeworfen. Das Schicksal hat etwas Besonderes mit dir vor, psst!, und niemals sollst du es befragen.

Dass in diesem Reich des Dreijährigen-Denkens nicht unbedingt Logik die entscheidende Rolle spielt, ist dabei auch klar: Eher sind es Poesie, klare Rollenverteilungen, vorhersehbare Handlungsmuster. Dass verschiedene Märchen dabei vollkommen widersprüchliche Welterklärungen liefern können, wird dabei im Hirn gern weggeblitzdingst. Den Nachweis hat jetzt der unabhängige irische Parlamentsabgeordnete Danny Healey-Rae geliefert, und den Anlass dazu gab ihm ein komplexer Vorgang, der viel menschliches Wissen und Können in sich vereint: Straßenbau.

In Kerry, Healey-Raes Heimatbezirk, haben sie nämlich Probleme mit der Straße nach Cork, der N22. Jetzt ist an einer Stelle wieder eine Senke aufgetaucht, die es dort schon einmal gab. Sollten etwa kompliziert zu erkundende, knifflig prognostizierbare geologische Prozesse hier einwirken? Healey-Rae hat eine bessere Erklärung: Feen sind schuld. Die würden dort ganz in der Nähe hausen, und offenbar haben sie in ihrer Feenfreizeit nichts Besseres zu tun als an der Straße rumzudoktern, auf eine Weise, die an geologische Prozesse denken lässt, wie es sie überall auf der Welt gibt. Feen als Denkmodell sind hier äußerst erholsam, sie deuten die Unordnung zu einer Ordnung um. Was aus straßenbaulicher Sicht wie Entropie aussieht, ist dem Feengläubigen die Bestätigung einer ewiggleichen Verfasstheit der Welt: Man soll das unsichtbare Volk halt in Ruhe lassen, dann richten sie auch keinen Schaden an.

Unübersichtliche Gefahrenlagen sind nichts, womit sich der Mensch gern beschäftigt, schon gar nicht der Dreijährige in uns. Seit jeher nutzen wir daher Amulette, gute Wünsche und Gebete, um uns ein Gefühl der Sicherheit zu spendieren, wenn wir nicht genau wissen, was auf uns zukommt. Dem Feenfreund Healey-Rae geht es auch mit dem Klimawandel so. Kommt da  wirklich eine besorgniserregende, kaum einschätzbare Veränderung globalen Ausmaßes auf uns zu? Sollte man sich vielleicht mal mit all der Wissenschaft, also diesen Zahlen und Messungen und Deutungen und Projektionen auseinandersetzen, oder sollte man wenigstens denen zuhören, die sich damit intensiv befasst haben?

Och nö, sagt Healey-Rae. Und wie bei seiner Straßendelle gibt er auch für die Weltkugel die Zuständigkeit ab: Es gebe keinen menschgemachten Klimwandel, sagt er, denn Gott allein habe das Wetter unter Kontrolle. Übernatürliche Wesen retten den Tag, einmal mehr. Oder wenigstens den Seelenfrieden für den Moment. Und da der Seelenfriede so eine schöne Sache ist, wird Healey-Rae vermutlich niemals auf all die Fragen stoßen, die nun dem logisch Denkenden sich aufdrängen: Wie sind eigentlich die Zuständigkeiten zwischen Gott und den Feen aufgeteilt? Eigentlich ist er ja als allmächtig gedacht, und glaubt man seiner weltweiten PR-Kampagne namens Kirche, so dürfte es eigentlich gar keine Feen geben auf dieser Welt, allenfalls Engel und Dämonen. Sind also Irlands Feen ein letzter Hort des Widerstands gegen die göttliche Ordnung, die gleichzeitig von ihm als Omnipotentat ja genau so gewollt sein muss? Hat er die Feen also outgesourcet, um Straßen kaputt zu machen, damit er sich selber nicht die Hände schmutzig machen muss?

Das alles sind so die Fragen, die den von der Sommerhitze am Schlaf gehinderten, wacheren Geist überfallen – den von Healey-Rae eher nicht -, und es drängen sich zwei Folgerungen auf: Gott muss den Feen einen freien Willen zuerkannt haben, erstens. Sonst bräuchte er sie ja gar nicht und könnte selber Dellen in die N22 kicken. Zweitens: Vielleicht sind wir Menschen ja auch Feen? Freier Wille scheint vorhanden, und das sinnlose Kaputtmachen von Dingen, etwa des Planeten, scheint uns ein innerer Antrieb zu sein, wie man ihn sonst nur dem unsichtbaren Volk nachsagt.