Für die säkulare Szene war Linus Heilig kein Unbekannter. Wann immer öffentlich für den Humanismus gestritten wurde: Linus war dabei. Seinen wichtigsten Auftritt hatte er als Hitler-Darsteller gemeinsam mit Wolfram P. Kastner anläßlich des Papstbesuches in Berlin. hpd-Redakteurin Evelin Frerk erinnert an einen lebensklugen Mann.
1946 in eine schwäbische Dorfgemeinschaft hineingeboren, geht Linus Heilig nach dem plötzlichen Tod seiner Eltern 1969 nach Berlin, wird Student der Elektrotechnik. Seine Ausbildung schließt er als Diplom-Ingenieur ab und arbeitet bis zu seiner Pensionierung als Elektrotechnik-Entwickler.
Er, der autoritätsgläubige Kathole unter "puritanischen Evangelen", integriert durch Fußball, Musik und Bildung, kam mitten in die freigeistigen, antiautoritären Studentenunruhen in Berlin. "Der Kulturschock und die damit verbundene Sprachlosigkeit dauerte ziemlich genau ein Jahr", ließ er uns wissen, sein Nachholbedarf sei enorm gewesen. "Schwäbische Spießbürger und Gymnasialleiter hatten uns Studenten als die 'zukünftige Elite der Gesellschaft' bezeichnet, während man in Berlin eine 'linke Sau' oder ein 'Schmarotzer der Gesellschaft' war", so beschreibt Linus Heilig den sprunghaften Wechsel.
"Als Querdenker und Einzelkämpfer für die Vernunft und Redlichkeit, als unangepasster, respektloser Kritiker habe ich mich durch alle Hochs und Tiefs auch des Berufslebens gekämpft und es war nie langweilig."
"Atheist, evolutionärer Humanist, allergisch gegen religiöse oder pseudo-religiöse Indoktrination wie Kommunismus, Anthroposophie", damit beginnt Linus Heilig die Selbstdefinition seiner Weltanschauung zu beschreiben und seine Wertvorstellungen zu hinterlassen: "Glaubensfreiheit ist vor allem die Freiheit vom Glauben und das durch ethische Bildung und Erziehung ohne Doppelmoral." Ein "steiniger, langwieriger Weg zu einer selbstbestimmten Lebensweise" und die bewusste Abkehr von religiösen Zwängen sei ihm gelungen. Mut zum eigenen Denken brachten Vorbilder, z. B. Konrad Lorenz, Charles Darwin, später auch Michael Schmidt-Salomon. Linus Heilig beschreibt den Einfluss der Buskampagne und schrieb begeistert, "dass ich das noch erleben durfte." Ein Wunsch ging für ihn in Erfüllung und wurde zu der Erkenntnis: "Ich bin nicht allein." (Alle Zitate aus dem Text von Linus Heilig zu "Epikurs Garten")
Das war 2009, am letzten Samstag im Mai. Der rote Doppeldeckerbus fuhr offen und ohne Verdeck eine Ehrenrunde durch Berlin, um sich damit für die dreiwöchige Deutschland-Tour zu verabschieden. Ganz vorn oben auf dem Dach stand Phillip Möller, der Kampagnen-Pressesprecher, mit dem Mikrofon, Linus Heilig ihm vis-à-vis und kommentierte und lebte auf. "Gottlos glücklich", das war auch die erste Begegnung von Linus Heilig und mir. Es sollten noch viele folgen.
Die "Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg e. V." (EHBB) gründeten sich in der Folge der Buskampagne als Regionalgruppe der gbs. Linus Heilig war von Anfang an dabei. So blieb es auch in den Folgejahren, wobei die Trennung von Staat und Kirche für ihn zu einem wichtigen Thema wurde. Gleichzeitig war er ein Liebhaber von Aktionen und Treffen.
2011 beispielsweise hatte die politische Prominenz den inzwischen "emeritierten" Papst Benedikt XII eingeladen, im Deutschen Bundestag zu sprechen. Ein Protest darauf war unter anderem auch die Kunstaktion "Papst trifft Hitler", inszeniert von Wolfram P. Kastner, der selbst als Papst gemeinsam mit Hitler, dargestellt von Linus Heilig (mit Perücke und Bart), wohlgefällig auf den Strassen von Berlin Bürger und Gäste grüssend. Vor dem Reichstagsgebäude angekommen wurden dort die Sicherheitsbeamten unruhig und entschieden für sich: Diese Kunst stört. Die Beamten unterbrachen den Spaziergang und zogen das auffällige Paar, "Papst und Hitler" – wenn auch nur vorübergehend - aus dem Verkehr. Auch bei der "Heilig-Rock-Wallfahrt" in Trier im Jahr 2012 gab Linus Heilig wieder den "Hitler".
Die Feiern zum Welthumanisten-Tag am 21. Juni ließ Linus Heilig all die Jahre nicht einmal aus und fand am Todestag von Giordano Bruno (17. Februar) an seinem Denkmal in Berlin am Bahnhof Potsdamer Platz eine Gedenkveranstaltung statt, so war Linus Heilig mit seinen "Schwestern und Brüdern im Geiste" dabei, so nannte es Linus Heilig, und spielte auf seiner Klarinette.
Kundgebungen, Demonstrationen, Sommerfeste, Athventslesungen, Waldwanderungen die regelmäßigen Treffen der Evolutionären Humanisten… Linus Heilig war wie selbstverständlich immer dabei.
"Danke für die gelungene Ausgabe. Weiter so!“, kommentierte Linus Heilig in seinem letzten Leserbrief an den evolutionist, die Vereinszeitschrift des EHBB. Er hatte sie besonders gern mit ihren unterhaltsamen und satirischen Beiträgen.
Hellge Haufe, der 1. Vorstand der Evolutionären Humanisten schrieb in der aktuellen Ausgabe:
"Es gibt einen starken Wermutstropfen, der die Ankündigung (unserer Zeitschrift) trübt. Es erreichte mich gerade die traurige Nachricht, dass unser treuer Freund und eifriger Leser Linus Heilig in der vorigen Woche bereits gestorben ist. Er war schon so gespannt auf die neue Ausgabe und ich denke, sie hätte ihm wieder gefallen. Gerade auch das Unterhaltsame und Lockere.
Linus war so gut wie immer(!) dabei. Das erste Mal vermissten wir ihn am letzten Donnerstag. Er erschien nicht zu unserem Treffen. Die Anrufe bei ihm blieben unbeantwortet.
Linus war ein Mensch, dessen Beiträge von manchen auch belächelt wurden. Zu Unrecht.
Er gehörte zu den liebenswertesten Menschen im Umfeld des Vereins, war nie aggressiv, intrigant oder mit anderen negativen Marotten ausgestattet. Er hatte welche, aber schlechte gehörten nicht dazu.
Ich werde Dich vermissen alter Freund! Dein HH“
Den größten Faible hatte Linus Heilig für Simone Guski, die hpd-Autorin. Jede Zeile las er und hat über ihre Artikel gesprochen. Sein Wunsch, sie kennenzulernen, einen Vortrag von ihr zu erleben, dazu ist es leider nicht mehr gekommen.
Persönliches Wort des Chefredakteurs: Auch ich kannte Linus Heilig fast 10 Jahre. Und ich werde ihn vermissen, trafen wir uns doch immer dort, wo es gegen Ungerechtigkeiten, für Wissenschaftsvermittlung, um Kunst und insbesondere um die Philosophie ging.
Frank Nicolai
3 Kommentare
Kommentare
Dennis Bartholmey am Permanenter Link
Durch diesen Artikel erfuhr ich soeben vom Tode meines "Humanisten-Spezies" und bin geschockt.
In den letzten Jahren besuchten wir gemeinsam viele Veranstaltungen der 'Humanistisch-wissenschaftlichen Szene' und haben dabei viel gelernt, gelacht und gedacht. Linus war 'Naturalist by nature' und uns verband biografisch die 'Gnade des frühen Todes der Eltern', sodass wir trotz des Altersunterschiedes viele Dinge ähnlich betrachteten und uns gegenseitig geistig anregten und bereicherten. Linus brach Konventionen und wurde deshalb belächelt bis verlacht. Er nahm dies niemals übel, sondern suchte nach dem Grund der verursachten Kränkung. Linus hatte große Freude am Dazulernen, am Hinterfragen und am Über-Bord-werfen von überholten Dogmen und scheute sich nie seinen Standpunkt zu benennen.
Mein Mitgefühl ist ganz bei seiner Familie und ich bedauere es schmerzlich, dass Linus viel zu früh wieder ins Nichts zurückgekehrt ist.
Ich vermisse Dich, Linus!
Dennis Bartholmey
Heinz-Werner Kubitza am Permanenter Link
Linus Heilig verdanke ich die vielleicht komischste Situation meines Lebens. Es war in Trier, als er als Hitler verkleidet Arm in Arm mit dem Papst (ich meine, der wäre echt gewesen) durch die Fußgängerzone schritt.
Anschließend habe ich mich mit ihm und dem Papst noch angeregt unterhalten, anläßlich der Enthüllung des Altars für die wiedergefundene Unterhose von Karl Marx, wahrlich ein denkwüdiges Ereignis. Es gab Gebäck in Unterhosenform, und wenn ich mich recht erinnere, sogar Marienwein.
Es war das einzige Mal, dass ich Linus Heilig persönlich getroffen habe.
Beso am Permanenter Link
Ich habe eben mit Erschrecken und Trauer erfahren, dass mein Freund Linus von uns gegangen ist. R.I.P. Ich habe tagelang versucht, Ihm anzurufen. :( Wer Linus kannte, lernte seine Menschlichkeit schätzen.