Argumente kontra Religion

Ein kritischer Volltreffer

Mein Urteil vorweg: "Argumente kontra Religion" sprengt als ein Werkzeugkasten der Religionskritik den Rahmen bisher vorgelegter religionskritischer Veröffentlichungen. So kann ich mich trotz jahrzehntelanger Lektüre religionskritischer Literatur nicht daran erinnern, jemals einen Band in der Hand gehabt zu haben, der auf vergleichbar beschränktem Raum eine so breit angesetzte, verständlich formulierte, zum Mitdenken stimulierende, selbst informierte Leser überraschende Palette religionskritischer Argumente präsentiert.

Dabei weiß der Autor Respekt vor der Person argumentationsbereiter Religiöser, Schonung trostfixierter, momentan Argumentationsunfähiger mit freundlich-gnadenloser Destruktion der wohl basalen Glaubensinhalte sowie wesentlichen religionsaffirmativen Schutzbehauptungen zu kombinieren.

Der Band bietet eine breite Sammlung voraufklärerischer religiöser zumal katholizismusspezifischer Dogmen, Gedanken sowie Geschichtsmythen und destruiert diese in den neun Kapiteln "Denkbare Ursachen für die Entstehung von Religiosität, von Religionen und deren Fortbestehen" (S. 11-37), "Die (Nicht-)Existenz Gottes" (S. 39-61), "Sind die 'Heiligen' Schriften glaubwürdig?" (S. 63-97), "Ethik – eine feindliche Übernahme durch Religionen" (S. 99-144), "Evolution – letzter Sargnagel des Schöpfergottes" (S. 145-150), "Die Seele – Ende eines Phantoms" (S. 151-155), "Der Sinn des Lebens fällt nicht vom Himmel" (S. 157-162), "Die real existierenden Religionsgemeinschaften – gegen null gehende Glaubwürdigkeit" (S. 163-180) und "Wissenschaft und Glaube – wie Feuer und Wasser" (S. 181-192). Eine differenzierte und meines Erachtens überzeugende Auflistung von Argumenten zwecks Begründung der "Notwendigkeit von Religionskritik" (S. 193-199) schließt den Band ab.

Der als wissenschaftlicher Gutachter arbeitende Autor, durch sein "Kleines 1x1 der Relativitätstheorie" und in kritischeren Kreisen als Mitherausgeber und -kommentator von d’Holbachs Meisterwerk "Der gesunde Menschenverstand" (1772; Aschaffenburg 2016) bekannter geworden, hat sich darauf konzentriert, die wohl wesentlichen religionskritischen Argumente vor allem von Karlheinz Deschner, Horst Herrmann, Heinz-Werner Kubitza, Bernulf Kanitscheider, Michael Schmidt-Salomon, Joachim Kahl, Kurt Flasch, Franz Buggle, Michel Onfray und Autoren des englischen Sprachraum wie Richard Dawkins zu eruieren sowie als wohlsortierten und großzügig bestückten Werkzeugkasten substantieller Religionskritik zu präsentieren.

Eine besondere Stärke des Bandes besteht in der Auflistung einer Unmenge an Widersprüchen beispielsweise innerhalb und zwischen den Textteilen biblischer Schriften (S. 7 ff.), grausamer Inhalte im Alten wie Neuen Testament (S. 82-90) sowie der Destruktion beliebter Floskeln wie "Auch Hitler und Stalin waren Atheisten" (S. 120-123) oder "Ohne Gott ist alles erlaubt" (S. 124 f.). Erfreulicherweise geht der Autor aber auch in die Offensive wie beispielsweise mit "Religiöse Regeln taugen nicht als Grundlage für modernes Recht" (S. 125 f.), "Wichtige ethische Errungenschaften sind keineswegs christlichen Ursprungs (sie mussten im Gegenteil gegen kirchlichen Widerstand erkämpft werden)" (S. 127-131), "Sind bestehende Religionen ein moralisches Vorbild?" (S. 131-139) oder "Weltliche Quellen der Ethik" (S. 139-144). Entlarvend auch wohlbelegte Auflistungen wie "Verbreitung bzw. Fortschreibung historischer Unwahrheiten, z.B. durch die katholische Kirche" (S. 167-170), "Weitere Zustände bei Religionsgemeinschaften, die eigene Ideale verletzen" (S. 171-175), "Terrorismus hat nichts mit Religion zu tun" (S. 175-180) oder "Religionen sind schädlich" (S. 196-199) mit nicht weniger als 27 konkreten Belegen. Insgesamt werden ca. 300 Pro- oder Kontra-Argumente mit zum Teil über 20 Argumenten, Thesen usf. be- oder widerlegt.

Intention des Autors? Aufforderung zur "Wachsamkeit zum Schutz der Errungenschaften der Aufklärung. Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten." (S. 7)

Einwände? Der Band ist ein komprimiertes Vademecum für religionskritisch oder -skeptisch Orientierte. Da der Autor sehr klar zu formulieren vermag, hätte man sich manches zwar ausführlicher gewünscht, doch dann wäre der handliche Band zu umfangreich geworden. Außerdem soll die Lektüre ja nicht diejenige religionskritischer Literatur ersetzen, sondern intellektuell aufrüsten und Leser motivieren, die jeweils besonders interessierenden Texte herangezogener Autoren – und wiederum Alternatives dazu! – zu berücksichtigen.

Alles in Allem besticht der Band als überzeugende, komprimierte Argumentationshilfe in Diskussionen, für substantielle Leserbriefe oder hochkarätige Blogkommentare, frischt das Wissen religionskritisch Orientierter auf und dürfte Religionsanhängern, so sie bereit sind, sich mit Gegenargumenten auseinanderzusetzen, so reichhaltige Denkimpulse spendieren, dass sie zu einem reflektierenden Verständnis ihres Glaubens oder auch Unglaubens angeregt werden. Kann sich ein Aufklärer noch mehr wünschen?

Doch, das kann er. Diesen preiswerten Band wünsche ich mir stapelweise in ambitionierten Buchhandlungen ausliegend und – am besten als Geschenk – in der Hand wacher Studenten sowie Oberstufenschüler ebenso wie vieler Lehrer und Eltern. Dann könnte sich wenigstens hierzulande vielleicht manches Diskussionsniveau erfreulich verändern.

Gottfried Beyvers: Argumente kontra Religion. Werkzeugkasten für Religionskritik. Aschaffenburg 2018 (Alibri Verlag), 202 Seiten, kartoniert, 14,00 Euro, ISBN 978-3-86569-282-5