Staatsleistungen

Die Verfassung wird weiterhin ignoriert

Seit fast 100 Jahren existiert der Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen. Ebenso lange wird dieser Auftrag ignoriert. Jüngste Äußerungen des Hessischen Kultusministers Ralph Alexander Lorz (CDU) zeigen, dass die Landesregierung dies auch weiterhin tun will.

Worum geht es?

Bei den Staatsleistungen handelt es sich um pauschalierte Gesamtzuschüsse, die ohne Zweckbindung von fast allen Bundesländern (Ausnahmen sind die Hansestädte Hamburg und Bremen) an die evangelische und römisch-katholische Kirche gezahlt werden. Ihren Ursprung haben die Staatsleistungen in sogenannten altrechtlichen Zahlungsverpflichtungen, die im Rahmen der von den Bundesländern mit den Kirchen geschlossenen Staatskirchenverträge auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt worden sind.

In Hessen wurden diese Verträge 1960 mit den evangelischen Landeskirchen und 1963 mit den katholischen Bistümern abgeschlossen. Seit 1948 sind nach Angaben des Hessischen Kultusministers auf diese Weise insgesamt mehr als 1,72 Milliarden Euro von allen Steuerzahlern, unabhängig von deren Konfession, gezahlt worden. Im Jahr 2017 waren es ca. 49,5 Millionen Euro. Dieser Betrag ist an die Beamtenbesoldung gekoppelt und wird in den nächsten Jahren entsprechend weiter ansteigen.

Worin besteht das Problem?

Anhand dieser Informationen könnte man fragen: Worin besteht das Problem? Was sind schon 1,72 Milliarden in 70 Jahren?

Das Problem für die Regierenden sind die Artikel 52 der Hessischen Verfassung und Artikel 140 des Grundgesetzes. Diese enthalten die Aufforderung, dass die Staatsleistungen abzulösen sind. D. h., es ist eine Regelung zur Beendigung dieser Leistungen aufzustellen. Und diese Aufforderung besteht mittlerweile schon fast 100 Jahre, denn sie ist Bestandteil des Artikels 138 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919, der mit Artikel 140 ins Grundgesetz übernommen worden ist.

Weiterhin muss die geforderte Ablösung der Staatsleistungen auch im Zusammenhang mit der Einführung einer allgemeinen Kirchensteuer in der Weimarer Republik gesehen werden. Diese sollte den Kirchen nach Abschaffung der Staatskirchen (Art. 137 (1) WRV) eine staatsunabhängige Finanzierung ermöglichen. Das Ergebnis bis heute: Es existieren weiterhin beide Finanzierungsarten, und das Land Hessen, wie auch die anderen Länder und der Bund, hegen keinerlei Absichten, dies in absehbarer Zeit zu ändern.

Recht und Ordnung?

Die Partei von Kultusminister Lorz pocht ja bei allen passenden Gelegenheiten darauf, für Recht und Ordnung einzutreten. Gehört dazu nicht insbesondere die Achtung von Hessischer Verfassung und Grundgesetz? Im Falle der Ablösung der Staatsleistungen ist dies offensichtlich aber nicht der Fall, wie die Antworten des Ministers auf zwei sogenannte Kleine Anfragen (19/5763 und 19/5764) des Abgeordneten Hermann Schaus (DIE LINKE) zeigen. Zwei Zitate aus diesen Antworten machen diese Haltung nachdrücklich deutlich:

"Maßnahmen nach Artikel 52 der Verfassung des Landes Hessen sind in absehbarer Zeit nicht beabsichtigt." (Letzter Satz der Antwort auf die Kleine Anfrage 19/5764)

Handelt es sich bei dieser Aussage noch um das Ignorieren eines Verfassungsauftrags oder muss man nicht schon von einem Verfassungsbruch sprechen? Juristisch mag das nicht der Fall sein, weil die einschlägigen Artikel keinen Zeitraum nennen, in dem der Auftrag umgesetzt sein muss. Aber nach fast 100 Jahren kann nicht mehr nur verharmlosend von einem Ignorieren gesprochen werden.

"Im Übrigen sind die Staatsleistungen staatskirchenvertraglich abschließend geregelt und unterliegen keinerlei politischem Ermessen." (Letzter Satz der vorletzten Antwort auf die Kleine Anfrage 19/5763)

Mit dieser Aussage offenbart der Kultusminister gleich zwei "interessante" Sichtweisen auf Verfassung und Demokratie. Wie kann das Thema Staatsleistungen in der jetzigen Form "abschließend geregelt" sein, wenn Verfassung und Grundgesetz eine Regelung zur Einstellung dieser Leistungen fordern? Und wieso soll es "keinerlei politischem Ermessen unterliegen"? In unserer repräsentativen Demokratie können Verträge des Staates ausschließlich dem Ermessen der gewählten Volksvertreter unterliegen. Die Zeit der Staatskirchen ist in Deutschland glücklicherweise seit fast 100 Jahren vorbei.

Dieses Thema gehört auf den Tisch und nicht unter den Teppich!

Erstveröffentlichung auf parteiderhumanisten.de/