Ein Zwischenfazit

Die Homöopathiedebatte und der Paradigmenwechsel in der Medizin

Die Homöopathie ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich erledigt. Ihre Annahmen zur Entstehung von Krankheiten und zur Funktion des Körpers wurden – wie unzählige andere vorwissenschaftliche Vorstellungen – durch die Zellularpathologie Rudolf Virchows und die rasant darauffolgenden medizinwissenschaftlichen Entdeckungen und Entwicklungen ad absurdum geführt. Die Grundannahmen von Samuel Hahnemanns Lehre sind unhaltbar.

Ein Ähnlichkeitsprinzip in der Natur existiert nicht, dies ist eine anthropozentrische Vorstellung, die von der irrigen Annahme ausgeht, die Natur erfülle einen Zweck und habe ein Ziel in Bezug auf den Menschen. Das Prinzip der Wirksamkeitssteigerung durch "Verdünnen und Verschütteln" ist physikalisch ohne jeden Halt, es widerspricht jeglicher Alltagserfahrung und ist nicht mit den täglich millionenfach bewährten Hauptsätzen der Thermodynamik vereinbar. Die Annahme einer "geistigen Lebenskraft" im menschlichen Körper, deren Fehlregulierung eine "geistige Arzneikraft" im Homöopathikum übernehmen möge, ist dem Vitalismus verhaftet, der vorwissenschaftlichen Vorstellung von einer "Allbeseeltheit", die sich Lebensvorgänge nicht anders als durch eine von außen zugeführte Lebenskraft vorstellen konnte.

Man mag fragen, wieso denn dann die Homöopathie so lange überlebt hat – und sich heute der immer wieder zitierten "Beliebtheit" erfreut. Das ist eine medizinhistorisch-soziologische Fragestellung, über die man sicher manches Buch schreiben könnte. Die Frage verstellt aber den Blick darauf, dass die Homöopathie seit ihrer Entstehung in Hahnemanns Ärztestube Ende des 18. Jahrhunderts keineswegs durchgängig eine anerkannte oder auch nur in wesentlichem Umfang praktizierte Methode war. Sie erfuhr bereits zu Hahnemanns Zeiten umfassende Kritik, deren Argumente heute noch Gültigkeit haben. Auch die bereits im frühen 19. Jahrhundert angestellten empirischen Untersuchungen gingen in aller Regel verheerend zu Lasten der Homöopathie aus. In einzelnen deutschen Ländern war sie gar zeitweilig verboten.

Dass Homöopathie eine Scheintherapie ist, die in ihrer Wirkung nicht über die bei jeder Art von Behandlung auftretenden Placebo- und sonstigen Kontexteffekte hinauskommt, ist heute weltweiter wissenschaftlicher Konsens. Und nein, es rechtfertigt sich nicht, nur wegen des Placeboeffekts eine eigene "Methode" mit all ihrem Brimborium aufrechtzuerhalten und den Anspruch zu erheben, dies sei "Teil der Medizin". Mit gleichem Recht könnte man z. B. Kuchenessen innerhalb eines rituell-therapeutischen Rahmens stattfinden lassen, durch Regeln den Anschein einer Systematisierung erzeugen und das Ganze als "medizinische Methode von therapeutischem Wert" ausgeben. Ohne Zweifel wären "Wirkungen" zu verzeichnen, schnell würde sich eine "Beliebtheit" einstellen.

Und auf diese Aspekte schrumpft auch das, was die homöopathische Fraktion unablässig als "Argumente" angeführt: Die "Beliebtheit" (Schokoeis für alle!), das "sanft und natürlich" (Euphemismus für: Spezifisch ohne Wirkung) und das "Traditionsargument".

Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) haben die Auslobung eines Preises in Höhe von 50.000 Euro für homöopathische Forscher bekannt gegeben. Derjenige, der als erster in zwei Durchgängen drei von ihm selbst vorher gewählte homöopathische Hochpotenz-Mittel (C30) unterscheiden und identifizieren kann und dies mit einer reproduzierbaren Verfahrensbeschreibung belegt, erhält den Preis.

Der Traditionsbegriff aber hat im Zusammenhang mit Erkenntnisgewinnung nichts verloren. Er ist ein soziologischer, kulturbildender und -tradierender Begriff, von Ort, Bevölkerung und Vergangenheit abhängig, der mit naturwissenschaftlicher Erkenntnis und kritischer Rationalität keine Schnittmengen hat. Wer zum Traditionsargument greift, versucht einen Appell an das Publikum mit dem Bild des "Schönen, Guten, Wahren", will für sein Anliegen sozusagen als "Kulturgut" Schutz einfordern. Was das mit einer Argumentation über Falsch und Richtig, Gut und Schlecht, Wirksamkeit und Unwirksamkeit zu tun hat: Wenig bis nichts.

Der Rest sind nicht einmal Ablenkungsmanöver, sondern regelrechte Unwahrheiten. Ja, es gibt einzelne Studien, die eine gewisse Überlegenheit homöopathischer Therapien zeigen. Nein, das sind keine Belege für eine spezifische Wirksamkeit der Methode. Denn: Diese Studien zeigen immer wieder methodische Mängel und bei einer zusammenfassenden Betrachtung (Reviews) verschwinden die positiven Effekte durchweg in der Gesamtbetrachtung (alle acht großen Reviews seit den 1990er Jahren, auch die der Homöopathen, kommen zu dem Schluss, dass keine belastbare Evidenz für eine spezifische Wirksamkeit vorliege). Und wie sollte es anders sein? Die Grundannahmen der Homöopathie sind wissenschaftlich unplausibel, um es höflich auszudrücken.

Die Homöopathie ist schon so manchen Tod gestorben und immer nur auf dem Rücken wechselnden Zeitgeistes wieder zu einem Zombiedasein erwacht. Momentan sind wir noch in einer Phase, wo die Wohlfühlfantasien des Neomystizismus der 1970er Jahre nachschwingen – aus dieser Zeit stammt nicht nur ein weiterer Wiederaufstieg der Homöopathie, sondern auch ihre gesetzliche Verankerung in der Gesetzgebung. Noch.

Wenn es auch viele nicht wahrhaben möchten – diese Zeit ist vorbei. "Pluralismus in der Medizin" ist von kritisch-rationalen Modellen wie der evidenzbasierten Medizin als unhaltbares Oxymoron entlarvt worden. Es gibt nur "eine" Medizin: Die, die mit wissenschaftlichen Methoden ihre Wirksamkeit nachweisen kann. Nun wird es möglicherweise noch eine komplette Generation dauern, bis in der Medizin die EbM verinnerlicht und verankert ist (das ist in der Wissenschaft fast immer so). Große Teile der heutigen praktizierenden Mediziner sind noch dem "Besten aus verschiedenen Welten" verhaftet, wie der frühere Ärztepräsident Hoppe in den 1990ern den "Pluralismus" gern propagierte. Das beste Beispiel dafür ist der derzeitige Ärztepräsident, der ersichtlich nach wie vor an Hoppe anknüpft und offenbar von einem Paradigmenwechsel (der sich längst vollzieht) nicht sehr angetan ist – aber sich zweifellos klar darüber ist, dass er kommen wird. Auch das Medizinstudium muss – und wird – darauf ausgerichtet werden.

Das Konzept der Evidenzbasierten Medizin strebt multifaktoriell eine im besten Sinne ganzheitliche Medizin an: Durch die Basierung auf der gegenwärtig besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz für den Behandlungsfall, durch die ärztliche Kunst und Erfahrung des Behandlers und durch die Berücksichtigung der Belange und Interessen des individuellen Patienten. Dies ist die ganzheitliche Medizin der Zukunft. Nicht etwas Nebulöses hinter dem Euphemismus der "Ganzheitlichkeit", mit dem die Homöopathen (und andere Anwender von pseudomedizinischen Methoden) ihr Publikum zu beeindrucken versuchen – obwohl sie nur dogmatische Artefakte aus spekulativen Zeiten vorzuweisen haben.

Die gesetzliche Privilegierung von Homöopathie muss und wird fallen, davon bin ich überzeugt. Deutschland wird sich der rasanten Entwicklung weg von der Homöopathie, wie sie in den letzten Jahren in vielen Ländern als Teil der Hinwendung zu rationalen Methoden stattgefunden hat, schlicht nicht entziehen können, wenn es sich nicht international lächerlich machen will. Daran wird auch die rührige Lobby der Hahnemann-Fraktion nichts ändern können. Der Wind weht ihr täglich stärker ins Gesicht. Ohnehin sind die Homöopathen keineswegs eine einheitliche Szene, sondern eine zwischen den Polen von Hahnemanns reiner Lehre und skurrilen Abarten oszillierende Gemengelage. Keine fundierte Lehre (sie kann nicht einmal ihre Grundhypothesen verifizieren), sondern extremer Eklektizismus, man kann auch sagen: Beliebigkeit. Das schwächt sie in einer (hoffentlich zunehmend) von kritischer Rationalität geprägten Debatte enorm zusätzlich.

Es ist zu konstatieren, dass die Homöopathielobby eine direkte argumentative Auseinandersetzung mit der wissenschaftlich fundierten Homöopathiekritik im Wesentlichen vermeidet. Es wird kein Diskurs gesucht, sondern vermieden. Man übt sich darin, die immer gleichen Parolen zusehends lauter in den Wald zu rufen. Aber dies verfängt zusehends weniger, da bin ich mir aufgrund mancher Anzeichen einigermaßen sicher. Niemals hätten wohl die Homöopathielobbyisten und -hersteller mit einer Dynamik der homöopathiekritischen Debatte gerechnet, wie sie seit zweieinhalb Jahren anhält und sich immer noch intensiviert, wesentlich initiiert und geführt vom Informationsnetzwerk Homöopathie, aber insgesamt als zivilgesellschaftlicher Diskurs, wie er in einer Demokratie besser nicht sein könnte.

Dies ist kein Selbstzweck. Ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem kann sich schlicht den Ballast vorwissenschaftlicher Artefakte nicht leisten. Solche Artefakte sind Steine auf dem Weg zu einer sich wandelnden, stärker auf die Belange des Patienten ausgerichteten Medizin. Sie müssen aus dem Weg geräumt werden, naturgemäß betrifft dies zu allererst die Homöopathie, weil sie eben einen "offiziellen" Status durch ihre Privilegierung in Arzneimittel- und Sozialrecht genießt und damit zu einem scheinseriösen Aushängeschild der gesamten Pseudomedizin geworden ist. Wer mag, soll weiterhin Homöopathie betreiben, aber nicht im Gebäude der Medizin (und insbesondere nicht mit dem Glaubwürdigkeitsbonus von Ärzten!) und nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft. Und vor allem: In Kenntnis der Grundlagen der homöopathischen Lehre und nicht indoktriniert von der irreführenden Blümchenwiesen-Werbung der Homöopathie.

Diese Anliegen der Homöopathiekritik verstehen sich als Baustein auf dem Weg zu einer insgesamt besseren Medizin. Wenn dies – und dafür gibt es Anzeichen – durch einen zivilgesellschaftlichen Diskurs erreicht werden kann, wäre das ein Sieg für die Demokratie und ein zentrales humanistisches Anliegen: Gute wissenschaftsfundierte Medizin auf der Basis von Ehrlichkeit, Redlichkeit und gegenseitigem Respekt im Arzt-Patienten-Verhältnis.