Verleihung des Peter-Singer-Preises 2018

Veganismus als neue Aufklärungsbewegung

Am Samstag wurde in Berlin zum vierten Mal der Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung verliehen. Diesjähriger Preisträger ist der Australier Philip Wollen, der vom Spitzenbanker zum Tierrechtsaktivisten wurde und weltweit zahlreiche wohltätige Projekte initiierte.

Rund 120 Gäste hatten sich angemeldet, um am vergangenen Samstag dem Festakt zur Verleihung des Peter-Singer-Preises im Berliner Biohotel Essentis beizuwohnen. Der Preis wurde in diesem Jahr bereits zum vierten Mal in Folge verliehen vom Förderverein des Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung. Geehrt werden sollen mit der Auszeichnung Personen, "die durch innovative philosophische, pädagogische, politische, medizinische oder juristische Publikationen und/oder sonstige Aktivitäten dazu beitragen, von Menschen verursachtes Tierleid durch gezielte Strategien qualitativ und quantitativ zu reduzieren". Benannt ist der Preis nach dem australischen Philosophen und Ethiker Peter Singer, der als ein Begründer der modernen Tierethik gilt, die fordert, dass die Interessen nicht-menschlicher ebenso wie jene menschlicher Tiere Berücksichtigung finden müssen.

In diesem Jahr erhielt den mit 10.000 Euro dotierten Preis der Australier Philip Wollen, nachdem der Preis in den Vorjahren an den Namensgeber Peter Singer, die britische PETA-Gründerin Ingrid Newkirk und die US-amerikanische Sozialpsychologin und Publizistin Melanie Joy verliehen worden war. Wollen lebte als erfolgreicher Spitzenbanker und hatte es bis zum Vizepräsidenten der Citibank gebracht, bis er nach einem Schlachthofbesuch an seinem 40. Geburtstag zum Vegetarier und später zum Veganer wurde und sich entschloss, sein gesamtes Vermögen zugunsten wohltätiger Zwecke einzusetzen. Bis heute hat der inzwischen 68-jährige Wollen rund 500 Projekte in etwa 40 Ländern unterstützt, die sich einsetzen für die Verminderung von Tierleid sowie für die Umwelt, Kinder, Jugendliche und Todkranke.

Umrahmt wurde die Preisverleihung von mehreren Vorträgen. Stefan Bernhard Eck, Mitglied des Europäischen Parlaments und 2. Vorsitzender des Fördervereins des Peter-Singer-Preises berichtete von seinem Engagement für Tierrechte und Umweltschutz im Europäischen Parlament. "Brüssel", so das ernüchternde Fazit seiner dortigen Arbeit seit 2014, "steht nicht auf Seiten der Tiere". Die Verflechtungen von Agrarlobby und Wirtschaft mit der Politik führten dazu, dass sich für Tiere und Umwelt kaum etwas Positives bewirken lasse. Statt sich mit Petitionen an Entscheider zu wenden, hält Eck daher Aktivismus und kreativen Widerstand für zielführender, ja Widerstand ist für ihn angesichts der geschilderten Situation sogar Pflicht. "Man kann sich auf die Politik nicht verlassen", so Eck, "darum ist es wichtig, dass viele 'kleine Leute' sich für eine Sache einsetzen."

Die Bedeutung einer Menge von 'vielen Kleinen' wurde deutlich im Vortrag von Ben Moore, Professor für Astrophysik und Direktor des Zentrums für theoretische Astrophysik und Kosmologie der Universität Zürich. Moore ging in seinem Vortrag unter anderem der Frage nach, warum trotz der erdrückenden Menge von rationalen Argumenten, die für einen Fleischverzicht sprechen, selbst hochgebildete Menschen nicht bereit seien, auf Fleisch zu verzichten. Statt vorgeschobener Argumente wie "Weil es mir eben schmeckt", vermutet Moore eine andere Motivation: Weil die meisten Menschen nicht einer Minderheit anhören wollen.

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Prof. Ben Moore verdeutlich anhand der Entwicklungszahlen der Atheisten die sozialpsychologische These, dass sich eine neue Idee schlagartig in der Gesellschaft verbreitet, sobald die kritische Masse ihrer Anhänger 10 % erreicht. © Daniela Wakonigg

Moore bekräftigte seine These mit sozialpsychologischen Untersuchungen, die einen Bevölkerungsanteil von 10 % als kritische Masse für das allgemeine Durchsetzen einer neuen Idee betrachten. Als anschauliches Beispiel zog Moore die Verbreitung des Atheismus in westlichen Gesellschaften heran. Nachdem Atheisten jahrzehntelang nur kleine Zuwachsraten erfahren hatten, stieg ihre Zahl plötzlich schlagartig an, als ihr Anteil an der Bevölkerung in den 1990er Jahren die Zehn-Prozent-Hürde erreicht hatte. Moore verriet sein persönliches Rezept, um die Anzahl der fleischfrei lebenden Menschen in der Gesellschaft nach dem gleichen Muster zu erhöhen: Er lädt Nicht-Vegetarier zum Essen ein, um ihnen zu zeigen, dass man ohne Fleisch auf dem Teller ausgesprochen lecker essen kann.

Als Vegetarier und Astrophysiker, so Moore abschließend, werde ihm oft die Frage gestellt, ob er glaube, dass Aliens, die vielleicht irgendwann mal die Erde besuchen, Veganer seien. Seine Antwort: Wenn Aliens sich so weit entwickelt haben, dass sie Raumschiffe bauen können, die das Universum durchqueren, dann haben sie sich zivilisatorisch sicherlich auch so weit entwickelt, dass sie keine anderen Lebewesen essen.

Um die zivilisatorische Weiterentwicklung ging es auch in der Laudatio auf den diesjährigen Preisträger, die vom Namensgeber des Preises, Peter Singer, persönlich gehalten wurde. Wenn es um Leiden gehe, so Singer, spiele die Spezies des Leidenden keine Rolle. Dass dies von weiten Teilen der Menschheit heute noch immer anders gesehen werde, sei, so betonte Singer, eines der wichtigsten und am stärksten vernachlässigten moralischen Probleme seit dem Ende der Sklaverei.

Singer sprach dem Preisträger Philip Wollen, den er bereits seit Jahren persönlich kennt, seine Bewunderung für den Mut zur grundlegenden Veränderung seines Lebens aus, die den Topverdiener und Spitzenbanker dazu gebracht hatte, den Großteil seines Vermögens in wohltätige Projekte zu investieren, die sich der Verminderung des Tierleids in der Welt widmen. Besonders hob Singer hervor, dass Wollen neben der Förderung von Projekten, die sich für die Minderung von Tierleid einsetzen, vor allem Projekte fördere, die möglichst effektiv sowohl Tieren als auch Menschen helfen.

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Verleihung des Peter-Singer-Preises 2018 an Philip Wollen (li) durch Dr. Walter Neussel. © Daniela Wakonigg

Der Preisverleihung durch den Moderator des Festakts und 1. Vorsitzenden des Fördervereins des Peter-Singer-Preises, Dr. Walter Neussel, folgte die emotionale Rede des Preisträgers, der ankündigte, dass er das Preisgeld spenden werde. Mit teils brechender Stimme berichtete Wollen von "Dantes Inferno", jenem Schlachthausbesuch, der ihn vor fast dreißig Jahren dazu bewogen hatte, sein Leben vollständig zu verändern. Mit verstörenden Bildern erläuterte Wollen "die absolute Perversität unseres Umgangs mit Tieren" und sagte, in Abwandlung des berühmten Zitats von Victor Hugo, dass nichts so machvoll ist, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, dass nichts so zerstörerisch sei, wie eine Idee, deren Zeit vergangen sei. Denn, so Wollen, Fleischverzehr und Massentierhaltung bedeuteten nicht nur für unzählige Tier-Individuen entsetzliches Leid, sie hätten auch katastrophale Folgen für die Umwelt, für Menschen und Volkswirtschaften.

Wollen zitierte eine Studie der Universität Oxford, nach der 30 Trillionen Euro an Gesundheitskosten gespart werden könnten, wenn Menschen ihre Ernährung auf eine fleischfreie Diät umstellen würden. Wobei zu den durch übermäßigen Fleischverzehr hervorgerufenen Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zukunft noch die Kosten der Behandlung von Seuchen kämen – verursacht durch antibiotikaresistente Keime, die der Massentierhaltung entstammen.

Auch das ist laut Wollen jedoch nur die Spitze des immer weiter schmelzenden Eisbergs. Denn durch die Klimagase, die durch die Massentierhaltung entstünden, werde der Klimawandel angeheizt, der in Zukunft für weltweite Flüchtlingsströme und für Leid ungeahnten Ausmaßes bei Mensch und Tier sorgen werde.

Veganer, die sich all jener Probleme bewusst seien und versuchten, auf einen gesellschaftlichen Fleischverzicht hinzuwirken, betrachtet Wollen daher als Vorkämpfer einer neuen, überaus notwendigen Aufklärungs-Bewegung. Das Publikum bedankte sich beim Preisträger für seine bewegende Rede mit stehenden Ovationen.