Am 28. Februar 380 verkündete Kaiser Theodosius den Erlass "Cunctos populos", der im römischen Reich den Katholizismus zur Staatsreligion erhob. Der Historiker Rolf Bergmeier schildert diesen "Sieg des Katholizismus und die Folgen für Europa" (Untertitel des Buches) als epochales Ereignis, das die Welt nicht nur veränderte, sondern auch bis heute prägt. Wer die Bücher des Autors (z. B. "Schatten über Europa") kennt, weiß, was ihn erwartet: Klare, zuweilen mit Ironie gewürzte Sprache, akribische, mit umfangreichem Quellenmaterial belegte Darstellung, stringente Analysen, gute Verständlichkeit in Verbindung mit zum Teil streitschriftartiger Erzählweise.
"Cunctos populos" eröffnete die Dominanz der katholischen Religion in allen Phasen des Daseins: "Ein ganzer Kontinent verliert seine in Jahrhunderten gewachsene Identität. Bis Bürger die antike Welt in all ihrer Schönheit wieder ans Licht holen" (S. 8). Das Buch beschreibt, wie in einer zerstückelten Religionslandschaft eine ausgewählte Religion zur machtvollsten der Welt wird, wie diese die Menschen in allen Bereichen ihres Lebens beherrscht und wie damit die kulturellen, zivilisatorischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Mitteleuropa – im Gegensatz zu den byzantinischen und islamischen Hochkulturen – einen Tiefstand erreichen. Ein Religions-Tsunami rollte über Europas Geschichte hinweg, "ein Geist, der Europa mehr als tausend Jahre beherrschen wird und die Welt bis heute zu normieren sucht" (S. 9).
Im mehreren Kapiteln beschreibt der Autor die Entwicklung und das Konkurrenzverhältnis verschiedener "Jesusbewegungen" innerhalb des Christentums und wie sich römischer (toleranter) Polytheismus nach der "konstantinischen Wende" langsam wandelt. Das nicäaische Konzil 325 soll innerchristliche Streitigkeiten beenden, verstärkt aber das große Durcheinander ("die Spannungen in den Gemeinden und die Rivalitäten zwischen den Auffassungen und den Bischöfen dauern rund 400 Jahre", S. 21)), vor allem Arianer und Katholizismus stehen sich als feindliche Brüder gegenüber, von einem Christentum kann keine Rede sein.
Theodosius (379–395) ist des Religionsgetümmels müde und verbietet mit "Cunctos populos" alle heidnischen Religionen und schaltet alle vom Katholizismus abweichenden christlichen Varianten mit Zwangsmaßnahmen aus: "Nur diejenigen, die diesem Gesetz folgen, sollen, so gebieten wir, katholische Christen heißen dürfen; die übrigen, die wir für wahrhaft toll und wahnsinnig erklären, haben die Schande ketzerischer Lehre zu tragen". Dieser, durch zahlreiche weitere Verbote ergänzte Erlass "ist das Epochenereignis, die geistige Wende zum Mittelalter, ein Faustschlag in die Spätantike" (S. 34). Staatskatholizismus löst das ursprüngliche Gemeindechristentum ab, an die Stelle von "Feindesliebe" tritt die Verfolgung Andersdenkender, Freiheit wird unter dem Joch hunderter Dogmen versklavt. Spätere Kaiser erweitern den "Codex Theodosianus" mit zusätzlichen massiven Strafandrohungen bis hin zur Todesstrafe und befestigen die Allianz aus Kirche und Staat zu einem unüberwindlichen Bollwerk.
Die politischen, ökonomischen und sozialen Folgen sind gravierend bis verheerend. Das Buch beschreibt den Machtkampf zwischen Kaiser und Kirche, die Entwicklung bischöflicher Stadtherrschaft und in der Folge den ökonomischen Abschwung in Mitteleuropa. Der frühmittelalterliche Handel erodiert, Kriege und Invasoren, aber auch die "sündhafte" Verurteilung vom Streben nach Glück und geschäftlichen Erfolg tragen das ihre zum wirtschaftlichen und sozialen Niedergang bei. Im Gegensatz dazu steht der Reichtum der neuen Kirche, ausgelöst vor allem durch maßlose Schenkungen. Aus der Synthese von Thron und Altar, aus Glauben und Aberglauben, aus Bildungsfinsternis und Herrschaftsanspruch erwächst ab dem 6. Jahrhundert eine der abträglichsten Wirtschaftsformen der Weltgeschichte: Der Feudalismus mit Klassengesellschaft, Grundherrschaft, Leibeigentum und Schollenpflicht. Am Beispiel Karl I ("Der Große") als Exponent des mittelalterlichen Feudalismus beschreibt der Autor die Folgen dieses Wirtschaftmodells; im Gegensatz zur hohen Stadtkultur des römischen Reiches präsentiert sich das Frankenreich als ungebildet, provinziell und verarmt mit andauernder Kriegsführung.
Eine weitere – die dramatischste – Auswirkung von "Cunctos populos" mit seinem strengen Dogmatismus und der Verengung jeder nichtkatholischen Tätigkeit betrifft den Verlust geistiger Entwicklung und kultureller Vielfalt. Öffentliche Schulen, Theater und Bibliotheken werden geschlossen, die Anrufung Heiliger ersetzt ärztliches Wissen und – besonders gravierend – nur noch Angehörige des Klerus und Mönche können im lateinischen Westen schreiben und lesen. Philosophie wird zur dienstleistenden Magd der Religion (ancilla theologiae) und verkümmert zu philosophieähnlichen theologischen Basteleien mit vorbestimmten Ergebnissen. Die Kulturlandschaft zerfällt, das Erziehungs- und Ausbildungssystem fällt auf unterstes Niveau, die Kirche gewinnt als Herrin der lateinischen Amtssprache zusätzlich ungeheure Macht.
Die Unterschiede zwischen dem antiken Menschenbild – der Mensch steht im Mittelpunkt – und dem "Sünder" im katholischen sowie Überlegungen zur Bedeutung des Begriffes "Menschenwürde", wie auch die unvermeidbaren Spannungen zwischen Katholiken und Juden bilden weitere Kapitel des Buches. Der Autor verteidigt den Begriff des "Finsteren Mittelalters" als Epoche zwischen 500 und der Renaissance, die allerdings nur die lateinsprachige (katholische) Welt betrifft und nicht die orthodox-griechisch-byzantinische sowie die islam-arabische Welt zwischen Bagdad und Spanien.
Es würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen, auf alle Einzelheiten, Erläuterungen und Vergleiche zwischen antiker und christlich-katholischer Kultur mit all den daraus entstandenen Folgen und Auswirkungen bis heute einzugehen. "Cunctos populos" "provoziert tiefgreifende Spaltungen und Zerwürfnisse, entfesselt Religionskriege, heiligt Kreuzzüge und vernichtet Kulturen. Cunctos populos theologisiert, enturbanisiert und feudalisiert Mitteleuropa. Kein Ereignis hat die Welt so umgeformt wie dieser Erlass" (S. 190).
"Das Buch schüttelt den Sakristei-Staub aus den Geschichtsbüchern. Es schreibt die Geschichte des beginnenden Abendlandes nicht neu, sondern ordnet die von Theologen und gläubigen Historikern betriebene religiös kontaminierte Kirchengeschichte der kritisch-wissenschaftlich betriebenen Geschichte unter". Es macht auch deutlich, wem das sogenannte "christliche Abendland" seine überlegene Kultur und Zivilisation zu verdanken hat und wem nicht. In einem Epilog verdeutlicht der Autor mit zahlreichen "wahr ist ..." seine Überzeugungen: "Religionen (sind) wegen des Anspruchs auf alleinige Deutungshoheit für die Gesellschaft eher schädlich als nützlich, während sie dem Einzelnen mit Festen und Feierlichkeiten, mit Bildern und Symbolen Halt und Orientierung geben können" (S. 199).
"Machtkampf" ist ein in der Klarheit seiner mit Literaturhinweisen und Quellen überreich ausgestatteten Aussagen beispielhaftes Buch, das vermutlich heftigen theologischen Widerspruch auslösen wird. Dem Rezensenten erschloss es viele neue, bzw. zusätzliche Erkenntnisse und bot darüber hinaus spannende Lektüre.
Rolf Bergmeier: "Machtkampf. Die Geburt der Staatskirche", Alibri Verlag Aschaffenburg, 2018, ISBN 978-3-426-86569-292-4, 205 Seiten, 16,00 Euro
Siehe auch das Interview mit dem Autoren zum Buch: "Das Buch schüttelt den Sakristei-Staub aus den Geschichtsbüchern ..."
12 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Warum ging das Römische Imperium unter? Vandaleneinfälle, Dekadenz, Kaiserzwiste?
Das ist für mich die Quintessenz der vier bei Alibri erschienenen Werke Rolf Bergmeiers; sein jüngstes Buch lese ich gerade.
Der Autor beleuchtet das "Schicksal der Bücher" (S. 107-114), u.a. anhand des kärglichen Bestandes von Klosterbibliotheken ("kaum mehr als durchschnittlich" 100 Titel, 1000-fach(!) niedriger als in antiken Bibliotheken), erwähnt aber leider nicht den exzellenten Wikipedia-Artikel "Bücherverluste in der Spätantike".
Insgesamt eine eindeutige Leseempfehlung.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Und ein "Buch, das vermutlich heftigen theologischen Widerspruch auslösen wird"?
Karlheinz B am Permanenter Link
Sein Buch »Schatten über Europa« steht bei mir im Bücherregal und ich werde mir auch dieses Werk kaufen.
Roland Weber am Permanenter Link
Mich wundert eigentlich nur und immer noch, dass sich niemand wundert, dass das ausgerufene Christentum so hervorragend zu Herrschaft passt - sei es nun zeitgemäß imperial zu seiner Erfindungszeit oder zeitgemäß dikta
Dazu müsste man sich allerdings einmal gezielt und bewusst der synoptischen Quellen annehmen - und eben sich selbst als Religionsfreier, Humanist und/oder Laizist nicht ausschließlich an dem orientieren, was die Kirchen ihren Gläubigen predigen.
A.S. am Permanenter Link
Der gesellschaftliche Nutzen der Religionen ist doch gerade, dass durch Religion die Menschen beherrschbar, steuerbar gemacht werden. Das gilt keineswegs nur für die abrahamitischen Religionen.
Religionen sind Werkzeug-Sammlungen für die Beherrschung von Menschen.
Der Fairniss halber sei hinzu gefügt: Funktionsfähige Gesellschaftssysteme entstanden i.d.R. als spin-offs von nach Dauerhaftigkeit strebender Herrschaft.
Roland Weber am Permanenter Link
Das sollte kein abstrakter Einwurf sein, sondern so indirekt auf meine Bücher "Denken statt glauben - Wie das Christentum wirklich entstanden ist" und "Jesus, Römer, Christentum - Makaberste Tragödie de
Darum wird auch klar, dass es mit dieser Erfindung nur darum ging, einen jüdischen Messias als Warnung für andere Aufrührer scheitern zu lassen und die römische Herrschaft durch einen Gottessohn zu verherrlichen. Die Texte verraten die Absichten.
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Lieber Herr Weber,
ich habe – dank Ihrer Eigenwerbung – gerade Ihr Buch entdeckt und möchte Sie darauf hinweisen, dass ich Ihre Theorie „belegen“ kann (siehe: De Nos Tradamus, Nibe-Verlag 2017). Wir sollten unsere Bemühungen koordinieren. IBKA, hpd und gbs tun dies nicht für uns.
Roland Weber am Permanenter Link
Lieber Herr Kilian,
Wie eine Zusammenarbeit kritischer Denker aussehen könnte, vermag ich mir schon mangels eines Forums nicht vorzustellen. Meine E-Mail-Adresse für Interessierte ist jedenfalls:
Roland@Weber-Feudenheim.de
An Frank Nicolai: Falls diese Antwort nicht veröffentlicht wird, bitte ich meine Antwort an Herrn Kilian oder auch andere potentiell Interessierte weiterzuleiten. Seine Adresse bzw. deren Adressen haben Sie ja. Ich leider nicht!
Jonas Schimke am Permanenter Link
Auch wenn es hier ein wenig OT erscheinen mag: der Name Heribert Illig ist ein rotes Tuch für mich, ein ausgewiesener Spinner, der eine fixe Idee verfolgt, die kein auch nur halbwegs Informierter auch nur eine Sekunde
Noch Fragen?
Wie man im Zusammenhang mit Nostradamus von "Prophezeiungen" reden kann, ist mir ebenfalls schleierhaft. In einer naturgesetzlich bestimmten Welt sind Voraussagen über Ereignisse der menschlichen Geschichte ein Ding der Unmöglichkeit und nur Fantasten halten so etwas für gegeben. In der Tat gibt es - wie auch in der Bibel - KEINE EINZIGE "Prophezeiung", die einer objektiven Überprüfung Stand halten würde.
In Bezug auf Nostradamus sollten schon die Alarmglocken läuten, wenn man erfährt, dass alle seine "Prophezeiungen" sich immer erst HINTERHER als "wahr" erweisen. Niemand war bisher in der Lage - und auch das wird sich nie ändern - einem Vers von ihm VOR einem Ereignis einen Sinn zu entlocken. Erst, wenn sich etwas ereignet hat, "weiß" man dann GANZ GENAU, dass er das und nur das mit Vers sowieso gemeint haben kann. Ja, geht's denn noch?
Schade, Herr Weber, eigentlich hatte ich Appetit auf Ihr Buch, aber jetzt werde ich erst einmal überlegen, ob es sich überhaupt lohnen könnten, wenn Sie mit solch schrägen Vögeln gemeinsame Sache machen!
Roland Weber am Permanenter Link
Inzwischen bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass es bei den meisten Menschen keinerlei Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen gibt. Dies habe ich leider in Diskussionen bislang nicht wahrhaben wollen:
der Ungläubige ist gar nicht ungläubig, sondern er glaubt einfach an seinen irgendwie gefunde- nen Nicht-Glauben und glaubt das Problem damit bereits intellektuell gemeistert zu haben.
Wer glaubt, will nicht wissen, was wahr ist. Da hatte schon Nietzsche schon mehr recht als er wohl selbst ahnte. Die Nicht-Gläubigen hatte er bei seinem Gedanken vermutlich nicht im Sinn, da man damals und bis heute im Grunde noch immer an die menschliche Vernunft und den Verstand als taugliches Unterscheidungskriterium glaubt. Man dachte und denkt, dass der Unterschied zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen ein unterschiedliches Maß an Vernunft und Verstand sei. Doch das ein grundlegender Irrtum.
In beiden Fällen stößt man auf einen glaubensgestützten Irrtum. Dies erklärt, warum auch Un- und Nichtgläubige oft nichts wissen wollen. Sie wollen nicht einmal wissen, warum sie mit ihrem "Nicht-Glauben" sogar recht haben! Und dies ist das Überraschende. Die Erklärung: Jegliches zugewonnene Wissen würde schließlich auch ihren eigenen Glauben zerstören. Der Glaube wäre danach nicht mehr der selbe. Der eigene Glaube hat eine absolute Vorrangstellung stellt er doch quasi den Beweis der eigenen Kompetenz dar. Den Glauben an den eigenen Glauben schätzt man seltsamerweise höher ein als ein Wissensgewinn durch einen anderen. So oder so – bei den allermeisten Gläubigen und Nichtgläubigen wurde der Glaube an die eigene Erkenntnisfähigkeit und Schlussfolgerungen zum Teil ihrer Persönlichkeit. Die Aufforderung nachzudenken oder sich um Wissenserweiterung zu bemühen, wird deshalb psychologisch als Angriff auf die eigene integere Persönlichkeit interpretiert. Ein Missverständnis aufgrund psychologischer Schutzmechanismen. Seit ich das verstanden habe, weiß ich auch, warum die Aufklärung als Bewegung in der Gesellschaft und bei vielen Menschen scheiterte und scheitern muss. Aufklärung betreiben zu wollen, ist gewissermaßen ein von vorneherein verlorenes Spiel ...
Hans Trutnau am Permanenter Link
Lieber Andreas (und Roland Weber), wie ihr lest, tut der hpd schon eine ganze Menge. Eure "Bemühungen koordinieren" - das müsst ihr schon selbst; viel Erfolg!
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Y. N.Harari "Eine kurze Geschichte der Menschheit": Religion würdigt er als Zusammenhalt stiftend neben Wirtschaft und Politik. Bildung und Wissenschaft hat er dabei vergessen.
Buch auf den Markt bringen? Gruß Karin Resnikschek, Tübingen