Kommentar

Vom verweigerten Handschlag zur Abschottung

Einem muslimischen Ehepaar wurde in der Schweiz die Einbürgerung verwehrt. Aus religiösen Gründen hatte sich das Paar während des Gesprächs mit der Einbürgerungskommission geweigert, Personen des jeweils anderen Geschlechts die Hand zu schütteln und deren Fragen zu beantworten.

Laut Bericht des MDR hat die Schweizer Stadt Lausanne die Einbürgerung eines muslimischen Ehepaares abgelehnt. Grund dafür war das Verhalten des Paares während eines Gespräches mit der Einbürgerungskommission. Lausannes Bürgermeister Grégoire Junod erklärte, dass das Paar aus religiösen Gründen abgelehnt habe, Personen des jeweils anderen Geschlechts die Hand zu schütteln oder deren Fragen zu beantworten. Das Paar verwies auf seine Religion, um sein Handeln zu rechtfertigen. Die Einbürgerungskommission beschied das Einbürgerungsgesuch daraufhin negativ und erklärte, dass das Ehepaar mangelnden Respekt für die Gleichberechtigung der Geschlechter demonstriert habe.

Der Fall ist nicht der erste dieser Art, der in der Schweiz für Schlagzeilen sorgt. Bereits 2016 war der Fall eines Brüderpaares in Therwil bekannt geworden, welches der eigenen Lehrerin nicht die Hand schütteln wollte. Auch dort wurden religiöse Gründe für die Weigerung angegeben. Das Brüderpaar wurde daraufhin von der Schulkommission unter Androhung von Sanktionen zum Handschlag verpflichtet.

Obwohl in der Schweiz – wie auch in Deutschland – Religionsfreiheit herrscht, muss diese Grenzen haben. Und diese Grenzen sind spätestens dann erreicht, wenn die Rechte oder die Würde anderer Menschen durch ein Festhalten an religiösen Vorgaben verletzt werden. Der Versuch, mit dem Verweis auf die eigene Religion nicht neben fremden Personen des anderen Geschlechts im Flugzeug sitzen zu müssen, nicht mit ihnen reden oder ihnen die Hand schütteln zu müssen, ist ein Angriff auf gesellschaftliche Errungenschaften, wie die zwar noch nicht vollständige, jedoch weit fortgeschrittene geschlechtliche Gleichstellung von Menschen.

Für Gerichte, Schulkommissionen, Fluggesellschaften, Arbeitgeber*innen usw. sowie nicht-religiöse Menschen bzw. Menschen, die ihren Glauben privat ausleben, bedeutet das, Möglichkeiten des Umgangs und feste Grenzen zu finden. Religionsfreiheit darf nicht missbraucht werden, um religiöser Intoleranz oder Praktiken wie Beschneidung mehr und mehr Raum zu geben. Im Falle der Beschneidung von Jungen zeigt sich, dass religiösen Überzeugungen in z. B. Deutschland noch immer höherer Wert beigemessen wird als der körperlichen Unversehrtheit eines Kindes.

Die verweigerten Handschläge in der Schweiz, der Flugzeug-Zwischenfall in den USA, Beschneidungen und viele andere Beispiele zeigen nicht nur auf, welch großen Stellenwert religiöse Intoleranz hier und heute noch immer hat, sondern auch, welches Potential zur Abschottung religiöser Gruppen vorhanden ist. Wer sich dem üblichen Umgang und den gesellschaftlichen Verpflichtungen mit Verweis auf religiöse Vorschriften entzieht, kann sich in eine kleinere Gruppe zurückziehen und sich dort über gesellschaftliche und gesetzliche Regelungen hinwegsetzen und sie sogar bekämpfen.

Fraglich ist, ob eine nicht erteilte Staatsbürgerschaft in die Schweiz ein Umdenken bewirken kann und welcher Mechanismen es noch bedarf, um religiöse Intoleranz zurückzudrängen und den Einfluss religiöser Gruppen auf Staat und Gesellschaft zu beenden. Im Fall des Paares, dessen Einbürgerung abgelehnt wurde, bleibt noch eine dreißigtägige Frist, um Berufung gegen die Ablehnung einzureichen. Es wird sich zeigen, was schwerer wiegt: religiöse Auslegung oder der gleichberechtigte Umgang miteinander.