Katholische Kirche

Zölibat – zur Geschichte einer Verirrung

In der aktuellen Diskussion um den Zölibat für katholische Priester liest und hört man kaum etwas über die historische Entwicklung dieser nicht erst heute recht befremdlich wirkenden Institution. Die folgende Skizze will sie erläutern.

"Der Zölibat ist ein Zeichen des neuen Lebens … mit freudigem Herzen auf sich genommen, kündigt er strahlend das Reich Gottes an."

– Katechismus der katholischen Kirche, 1993, Nr. 1579 ("Weltkatechismus")

Das aktuelle kirchliche Gesetzbuch (CIC) von 1983 definiert die Verpflichtung zum Zölibat (Can. 277 § 1) nur unvollständig. Die Rede ist von "vollkommener und immerwährender Enthaltsamkeit". Die klassische Definition lautet: Zölibat ist die geistliche Standespflicht, nicht zu heiraten und in vollkommener Keuschheit zu leben. 

Antike

Unter den großen heutigen Religionen ist die Zölibatsregel für geistliche Führer außerhalb des Mönchtums die absolute Ausnahme. In der Antike war allerdings der Glaube weit verbreitet, der Erfolg eines religiösen Rituals hänge von der kultischen Reinheit des Priesters ab, und diese schloss Geschlechtsverkehr aus. Es gab sogar häufig kultische Entmannungen (etwa beim Artemiskult, Osiriskult, Kybele-Attis-Kult). Andererseits soll die Religionsgeschichte, besonders im Orient, den kultischen Geschlechtsverkehr in Tempeln gekannt haben. Wirklich nachgewiesen dürfte er nur für Indien sein. 

Unstreitig ist der Zölibat als verpflichtende Lebensführung nicht biblisch begründbar. Das Neue Testament enthält allerdings eine Tendenz, die freiwillige sexuelle Enthaltsamkeit als vorzugswürdig zu betrachten ("Wer es erfassen kann, der erfasse es"). Die vom biblischen Jesus berufenen Apostel waren aber verheiratete Männer, auch der (angeblich) erste Papst Petrus. Die Mehrzahl der frühkirchlichen Führungskräfte lebte mit Frauen zusammen und auch Bischöfe waren teilweise verheiratet. In Richtung Ehelosigkeit ging dann die asketische Bewegung, und kultische Reinheit wurde mit sexueller Enthaltsamkeit zusammengedacht. In den östlichen Kirchen wie in der gesamten Orthodoxie setzte sich der Priesterzölibat von Anfang an bis heute nicht durch. 

Beim Konzil von Nicäa 325 ließen sich ehefeindliche Vorschriften noch nicht durchsetzen. Aber im Westen drängte man den Klerus ab etwa 400 zur Aufgabe des ehelichen Verkehrs, obwohl die regelwidrig gewordenen Ehen gültig waren. Die betroffenen Frauen wurden verachtet. Besonders die Kirchenväter propagierten den Zölibat. Bischöfe und Erzpriester wurden sogar bespitzelt. Bonifatius kämpfte, auch mit harten körperlichen Strafen, gegen den verheirateten Klerus. Er hielt nicht ohne Grund alle Kleriker für sittenlos. Seit dem Untergang des Römischen Reichs wurde Kindstötung speziell in Klöstern zur Vertuschung "im großen Stil praktiziert" (Peter de Rosa), wie auf dem Konzil von Aix-la-Chapelle 836 offen zugegeben wurde. Nicht weniger als 11 Päpste waren Söhne von Päpsten oder anderen Priestern. 

Mittelalter – Kämpfe um den Zölibat

Trotz der ehefeindlichen Bestrebungen war um 1000 die Mehrzahl der westlichen Kleriker noch verheiratet und auch außerehelich hatte der Klerus oft wenig Sinn für sexuelle Zurückhaltung, wie man etwa aus Synodenbeschlüssen und Bußbüchern mit oft brutalen Strafandrohungen schließen kann. Mit Leo IX. (gest. 1054) begann die "Gregorianische Reformbewegung", mit der u. a. der Zölibat immer mehr eingeschärft wurde. Leo IX. ließ alle römischen Frauen, die mit Priestern zusammenlebten, für den Papstpalast versklaven. Der 1881 seliggesprochene Kreuzzugspapst Urban II. (gest. 1099) ordnete bei fortgesetzter Klerikerehe den Verkauf der Ehefrau durch die weltliche Macht als Sklavin an.

Verheiratete Priesterfrauen wurden mit Konkubinen gleichgestellt und mussten bis in die Neuzeit mit öffentlichem Haarscheren, Sakramentenausschluss, Verweigerung regulärer Beerdigung, Vertreibung und Gefängnis rechnen. Für Petrus Damiani (gest. 1072, seit 1828 Kirchenlehrer), Vertrauter mehrerer Päpste, waren Priesterfrauen Blutegel, Lockspeise des Satans usw. Reformpapst Gregor VII. (1073–1085), den Damiani "heiliger Satan" genannt hatte, war der wichtigste Kämpfer für den Zölibat. Er erntete aber bei den Priestern offenen Widerspruch. Den Zölibat vertretende Bischöfe wurden in Deutschland und anderen Ländern heftig angegriffen. 

Papst Alexander II. rief 1063 im Mailänder Zölibatskrieg zum offenen Kampf gegen die verheirateten Geistlichen auf und konnte sich dabei auf Mönchshaufen und den aufgeputschten Pöbel berufen. Viele Geistliche wurden samt ihren Frauen und Kindern umgebracht, der Bischofspalast zerstört. Der Krieg dauerte bis 1075. Auf dem 1. Laterankonzil 1123 wurde entgegen 1. Tim. 3, 2–5 und 12 und Matth. 8, 14–15 die Eheschließung Geistlicher untersagt, Priesterehen wurden getrennt und die Ehen, obwohl Sakrament, für ungültig erklärt. Das war völlig neu, wenn auch zunächst wirkungslos. Laut dem 2. Laterankonzil von 1139 waren die nach der Priesterweihe geschlossenen Ehen ungültig. 

Machtpolitisch-ökonomischer Hintergrund des Heiratsverbots

Der mächtige Innozenz III. schärfte 1215 auf dem 4. Laterankonzil (dem größten vor dem 2. Vatikanischen Konzil) die Zölibatsdisziplin erneut ein. Dabei ging es aber nicht um Heiligkeit, sondern um die Effektivität des absolutistischen Klerikalsystems. Man behauptete zwar, die Reinheit der Priester erfordere die Ehelosigkeit. Aber zahlreiche kirchliche Dokumente beweisen, dass Männer- und Frauenklöster vielfach Lasterhöhlen waren. Bischöfe hielten sich ganze Harems, und Kritiker lebten gefährlich. Aber um 1500 und im 16. Jh. hatten sechs Päpste meist mehrere uneheliche Kinder. Trotz aller Verbote und Diskriminierungen (mancherorts durften Priesterfrauen nicht kirchlich beerdigt werden und anderes) war die Priesterehe bzw. das Priesterkonkubinat im Hoch- und Spätmittelalter weiterhin stark verbreitet. In ganz Europa mussten zahlreiche Synoden dagegen ankämpfen. Die Ehe wurde durch das Konkubinat verdrängt, dessen finanzielle Ahndung bzw. Duldung in Form des "Hurenzinses" höheren kirchlichen Instanzen eine gute Einnahmequelle brachte. 

Der handfeste ökonomische Hintergrund des Heiratsverbots war folgender: Man wollte verhindern, dass die von Priestern verwalteten Kirchenpfründen durch den zusätzlichen Lebensunterhalt für die Familienmitglieder geschmälert und vor allem durch Erbschaften dezimiert wurden. Die noch vorkonziliare 2. Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche räumte dies offen ein. Die Verhinderung legitimer Erben von Kirchenvermögen war Bestandteil einer historischen Gesamtstrategie, kirchlichen Besitz anzuhäufen. Verhängnisvoll war, dass das 4. Laterankonzil von 1215 neben der Einschärfung des Zölibatsgebots das Gebot der jährlichen Beichte verfügte. Denn die Beichte erwies sich als ein Mittel, die Frauen zu verderben. Sie waren ja verpflichtet, auch bloße unkeusche Gedanken zu beichten, und mussten dabei neben dem (jetzt über alle sexuellen Dinge bestens informierten) Priester sitzen oder vor ihm knien, denn Beichtstühle gab es erst seit dem 17. Jh. So konnte das Kleriker-Übel der Sollizitation (die Verführung einer Beichtenden zu einer Sünde gegen das sechste Gebot) bestens gedeihen. Obwohl nach erwiesenen Sollizitationen die jeweiligen Kirchen hätten neu geweiht werden müssen, wurde über solche Weihen nie berichtet. 

Die völlige Sittenlosigkeit des mittelalterlichen Klerus ist notorisch und wurde auch durch einflussreiche Heilige angeprangert. Papst Alexander IV. erklärte in einer Bulle von 1259, das Volk werde "durch die Geistlichen vollständig verdorben." Dagegen war das Heiratsverbot sicher kein geeignetes Mittel. Das gegenreformatorische Trienter Konzil ließ sich jedoch nicht erweichen. Ehelose Priester waren dem System mehr ausgeliefert. Das Konzil verdammte daher Jeden, der behauptete, der ehelose Stand sei nicht besser und gesegneter als der eheliche. 

Frauenleid, Priesterleid

Nach der Priesterweihe sind die Priester Gefangene des Systems. Frauen, die sich in Priester verlieben, werden in ein Netz von Heuchelei und Leiden verstrickt. Zahllose Männer führen ein Doppelleben, das Leben zahlloser Frauen und Kinder ist zerstört. Priester müssen therapeutisch behandelt werden und werden zum Alkoholiker. Der weltweit gigantische Missbrauch von Kindern durch Priester, die (angeblich?) glauben, mit jeder Kommunion den Herrn und Schöpfer des Weltalls zu essen, hängt zwar mit dem Zölibat zusammen, ist aber ein zu großes Thema, als dass darauf hier eingegangen werden könnte.

Unheilige Tradition besiegt Menschlichkeit

Abschließend sei auf eine große Merkwürdigkeit hingewiesen: Während der CIC 1983 für die römische Kirche "vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen", einer "besonderen Gabe Gottes", gebietet, sieht man das in den katholischen Ostkirchen anders. Zur römischen Kirche gehören auch 23 Ostkirchen mit Patriarchen an der Spitze, die papstähnliche Befugnisse haben. Sie sind Kirchen eigenen Rechts mit fünf von Rom anerkannten Riten. Seit jeher bis heute dürfen dort einfache Priester verheiratet sein, und Heirat ist allgemein üblich. Geregelt ist das im vom Papst promulgierten, vom lateinischen CIC stark abweichenden, kirchlichen Gesetzbuch CCEO (Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium) von 1990. 


Literatur zur Ergänzung:

  • Georg Denzler, Die Geschichte des Zölibats, 1993
  • Karlheinz Deschner, Das Kreuz mit der Kirche, 1974 (viele Ausgaben)
  • Uta Ranke-Heinemann, Eunuchen für das Himmelreich, 1988 (viele Auflagen)

Hinweis der Redaktion:

Der Artikel basiert auf einer Darstellung in: Gerhard Czermak, Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik. 2014, 476 S. Dazu https://hpd.de/node/17963.