USA

DNA-Tests und Politik

DNA-Tests können Familiengeheimnisse lüften und Ungewolltes enthüllen. In den USA spielen sie auch in Politik und Gesellschaft eine Rolle. Für weiße Nationalisten ebenso wie für mögliche demokratische Präsidentschaftskandidatinnen.

In Deutschland nutzen bislang nur wenige Menschen sogenannte genealogische DNA-Tests, um herauszufinden, wo ihre familiären Wurzeln liegen. In den USA sind solche Gentests dank großer Unternehmen wie 23andMe oder Family Tree DNA hingegen fast schon zum Volkssport geworden.

Einer dieser Gentests schlägt in den USA aktuell hohe Wellen. Gemacht hat ihn die Juraprofessorin Elizabeth Warren. Warren vertritt als demokratische Senatorin den Bundesstaat Massachusetts im Senat der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie gilt derzeit als eine der Favoritinnen für die Präsidentschaftskandidatur gegen Donald Trump bei der Wahl 2020. Trump macht sich gern ausgiebig über seine mögliche Konkurrentin lustig und bezeichnet sie mit Vorliebe als "Pocahontas".

Pocahontas war die Tochter eines Indianerhäuptlings, die im 17. Jahrhundert zwischen den amerikanischen Ureinwohnern und den englischen Kolonisten vermittelte. In den USA lernt jedes Kind ihre Geschichte. Dass Donald Trump seine Konkurrentin verächtlich als Pocahontas bezeichnet, ist jedoch nicht ihrem Verhandlungsgeschick geschuldet, sondern der Tatsache, dass sie erwähnte, in ihrem Familienstammbaum auch amerikanische Ureinwohner zu haben. Für Trump Grund genug, sich über Warren lustig zu machen. Denn an ihrem Äußeren weist zunächst nichts auf eine indianische Herkunft hin.

Trumps wiederholte höhnende Aufrufe, Warren möge sich doch bitte einem Gentest unterziehen, konterte die Juraprofessorin nun, indem sie tatsächlich einen machte. Das Ergebnis veröffentlichte Warren vergangene Woche: Das Wissenschaftsteam, das den Test auswertete, bestätigte Warren, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der letzten 6–10 Generationen einen indianischen Ureinwohner in ihrem sonst hauptsächlich europäischen Stammbaum habe. Ein relativ langes DNA-Segment auf einem Chromosom weise sogar auf einen entsprechenden Vorfahren in relativ junger Vergangenheit hin.

Warren-Gegner und die konservative Presse missinterpretierten aufgrund mangelnder Kenntnis der Genetik jedoch das Testergebnis und streuten das Gerücht, der DNA-Test habe erwiesen, dass Warren sogar weniger indianische DNA besitze als der weiße Durchschnittsamerikaner. Was Donald Trump zu weiterer Häme animierte.

Auf wenig Gegenliebe stieß die Veröffentlichung der Testergebnisse von Senator Warren auch bei den Interessenvertretern der indianischen Ureinwohner. Diese stehen DNA-Tests äußerst kritisch gegenüber und verweigern auch das Bereitstellen von genetischen Proben. Wer ein Ureinwohner ist und wer nicht, lässt sich nach Ansicht der Indianer-Verbände nicht durch die DNA bestimmen. Ohnehin betrachtet man dort die Wissenschaft der Nachkommen der Eroberer mit Skepsis.

Das Ignorieren, Missinterpretieren, Verleugnen oder Wegerklären der Ergebnisse von Gentests scheint in den USA fast ebenso verbreitet zu sein wie Gentests selbst. Es begleitete bereits die erste große Enthüllung durch einen DNA-Test, die Ende der 1990er Jahre einen der Gründerväter der USA entzauberte: Thomas Jefferson. Denn der Test legte nahe, dass der Hauptverfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dritte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (1801–1809) schwarze Nachkommen hat.

Schon zu seinen Lebzeiten ging das Gerücht um, dass Thomas Jefferson Kinder mit seiner schwarzen Sklavin Sally Hemings habe. Jeffersons weiße Nachkommenschaft hatte dies stets geleugnet, während die schwarzen Nachkommen von Sally Hemings an ihrer Verwandtschaft mit dem dritten Präsidenten der USA festhielten. Um diese Frage endgültig zu klären, fand 1998 eine Untersuchung des Erbguts der Hemings-Nachkommen statt, die von der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde.

Da solche DNA-Tests vor der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2003 gewissermaßen in den Kinderschuhen steckten, bediente man sich eines in der genetischen Familienforschung bis heute beliebten Tricks. Während die sogenannte autosomale DNA eine Mischung aus dem Erbgut der eigenen Vorfahren ist und mit jeder Generation sozusagen verdünnt wird, eignet sie sich für die Feststellung von Jahrhunderte zurückliegenden Verwandtschaftsverhältnissen nur bedingt. Abgesehen von wenigen Mutationen stets gleich bleibt dagegen das in rein väterlicher Linie vererbte Y-Chromosom sowie die in rein mütterlicher Linie vererbte mitochondriale DNA. Zur Überprüfung der Jefferson-Vaterschaftshypothese wurden deshalb Verwandte in rein männlicher Linie getestet: Die männlichen Nachkommen von Sally Hemings Sohn Eston Hemings sowie die männlichen Nachkommen von Field Jefferson, einem Onkel von Thomas Jefferson väterlicherseits, da der Präsident heute keine lebenden weißen Nachkommen in rein männlicher Linie hat. Das Ergebnis: Die Y-Chromosome stimmten überein.

Natürlich war mit diesem Ergebnis zunächst nur der Erweis erbracht, dass Hemings Sohn der Jefferson-Linie entstammte, nicht jedoch der direkte Beweis der Vaterschaft Thomas Jeffersons. An genau diesem Strohhalm hielten sich die weißen Nachkommen Jeffersons fest, die nun spekulierten, dass auch ein anderes männliches Mitglied der Jefferson-Familie der Vater von Sally Hemings Kindern gewesen sein könnte. Möglich, aufgrund vieler zeitgenössischer Zeugnisse jedoch unwahrscheinlich. Deshalb gehen Wissenschaftler heute – in der Zusammenschau von historischen Quellen und Gentestergebnissen – mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die schwarzen Mitglieder der Familie Hemings ebenso legitime Nachkommen des dritten US-Präsidenten sind wie die weißen des Jefferson-Clans.

Die Fortschritte auf dem Gebiet der Genetik und der DNA-Testung seit dem letzten Aufflammen der Jefferson-Hemings-Kontroverse um die Jahrtausendwende enthüllten weitere Dinge. So kristallisierte sich in den vergangenen Jahrzehnten immer deutlicher heraus, dass das in den USA noch immer verbreitete Schwarz-Weiß-Denken hinsichtlich einer vermeintlichen Rassenzugehörigkeit nicht nur gesellschaftlich, sondern bereits biologisch einige Probleme aufweist. So ist der schwarze Durchschnittamerikaner zu rund 18 Prozent weiß. Was hauptsächlich auf die Zeit der Sklavenhaltung zurückgeht, in der schwarze Sklavinnen von ihren weißen Besitzer regelmäßig als Sexobjekte missbraucht wurden.

Doch auch viele weiße Amerikaner sind bei weitem nicht so blütenrein, wie es die meisten von ihnen glauben. Rund 30 Prozent der weißen Amerikaner haben mindestens einen schwarzen Vorfahren. In Zeiten frei verfügbarer DNA-Tests kann eine entsprechende Erkenntnis das eigene Weltbild kräftig ins Wanken geraten lassen – insbesondere, wenn das Weltbild darin besteht, die eigene 'weiße Rasse' für überlegen zu halten.

Im vergangenen Jahr veröffentlichten Soziologen der Universität von Kalifornien die Ergebnisse einer siebenjährigen Beobachtung der Online-Diskussionen auf der Webseite "Stormfront.com" – einer Seite für Neo-Nazis und weiße Rassisten. Die Forscher hatten erforscht, wie die weißen Rassisten mit den Ergebnissen von DNA-Tests umgingen. Die Forscher stellten fest, dass nur bei einem Drittel derjenigen, die ihre Testergebnisse posteten, die Ergebnisse aus Sicht des Posters dessen 'weiße Identität' bestätigten. Spannend war das Verhalten derjenigen, deren Weißheit nicht vom DNA-Test bestätigt wurde. Laut der Wissenschaftler gab es verschiedene Ansätze, die ungewünschten Ergebnisse 'wegzuerklären'. Von gegenseitigen Bestätigungen innerhalb der Gruppe, dass das Ergebnis nicht zum Aussehen der jeweiligen Person passt ("Wenn du in den Spiegel schaust, siehst du dort einen Juden? – Wenn nicht, ist alles ok!") oder dass der Gentest von dem ausführenden Unternehmen manipuliert wurde, weil man dort eine anti-weiße Agenda verfolge. Vielleicht, so ein Poster laut der Forscher, sei das mit den Gen-Tests auch nur der Versuch, in den Besitz weißer DNA zu kommen, die dann von Juden genutzt würde, um anti-weiße Bio-Waffen zu entwickeln. 

Bei einem solchen Ausmaß der Verleugnung von wissenschaftlichen Ergebnissen scheint es müßig darüber aufzuklären, dass die Genetik gar keine 'Rassen' kennt, sondern nur genetische Merkmale von bestimmten geografisch verorteten Populationen zu bestimmten Zeiten. Müßig auch, darüber aufzuklären, dass wir alle letztlich mit hoher Wahrscheinlichkeit von einigen wenigen Individuen abstammen, die in Afrika lebten. Zumindest müsste weißen Rassisten dieser Fakt ausgesprochen schonend beigebracht werden …