Australien

Kardinal wegen Missbrauchs verurteilt – doch die Medien dürfen nicht darüber berichten

Stellen Sie sich vor, einer der ranghöchsten Kardinäle des Vatikan wird von einem weltlichen Gericht des Kindesmissbrauchs für schuldig befunden und die Medien dürfen nicht darüber berichten. Was sich nach dem reißerischen Plot eines Krimis anhört, ist vergangene Woche in Australien tatsächlich geschehen.

Kardinal George Pell hat eine beachtliche Karriere in der katholischen Kirche vorzuweisen. Lange war der heute 77-Jährige der ranghöchste katholische Würdenträger Australiens. Von 1996 bis 2001 war er Erzbischof von Melbourne, von 2001 bis 2014 Erzbischof von Sydney. 2014 wurde er Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats und damit Nummer drei in der inoffiziellen vatikanischen Kirchenhierarchie. Außerdem machte Papst Franziskus Pell zum Mitglied des neunköpfigen Kardinalsrates, eines 2013 neu geschaffenen päpstlichen Beratergremiums.

Schon vor Jahren wurden gegen Pell Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche von Australien laut. Zunächst ging es hierbei um den Vorwurf, Pell habe von Missbrauchsfällen erfahren, diese jedoch vertuscht. Als er hierzu 2016 von der staatlichen australischen Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse befragt wurde, sagte er, er habe, als er damals erstmals von dem Vorwurf hörte, dass Priester Kinder sexuell missbrauchten, "stark dazu tendiert", die Version der Priester zu glauben. Laut der britischen Zeitung The Guardian sagte Pell wörtlich: "Zu dieser Zeit gab es eher den Instinkt, die Institution, die Gemeinschaft der Kirche, vor Schande zu bewahren."

Doch zu den Vorwürfen der Vertuschung gesellten sich bald Anschuldigungen, dass Pell selbst Minderjährige sexuell missbraucht habe. Laut der Catholic News Agency (CNA) wurde Kardinal Pell nun vergangenen Dienstag in einem Missbrauchsverfahren schuldig gesprochen. Das Gericht ist laut CNA davon überzeugt, dass Pell in den 1990er Jahren während seiner Zeit als Erzbischof von Melbourne zwei Messdiener sexuell missbraucht hat.

Dass sich die Nachricht über dieses Urteil gegen einen der ranghöchsten Kardinäle des Vatikans nur schleppend verbreitet, liegt daran, dass ein australischer Richter bereits im Juni den Medien einen Maulkorb verpasste: In Australien zugängliche Medien dürfen über das gesamte Pell-Verfahren und damit auch über dieses Urteil vorerst nicht berichten.

Hintergrund des Berichtverbotes ist, dass im australischen Rechtssystem Geschworene Angeklagte schuldig oder nicht schuldig sprechen. Damit die nach dem Zufallsprinzip aus der Bevölkerung ausgewählten Geschworenen unbeeinflusst in einen Prozess gehen können, können Gerichte Medien in Bezug auf Gerichtsverfahren eine Nachrichtensperre auferlegen. Da es Anfang 2019 ein weiteres Missbrauchsverfahren gegen Pell geben wird, ist der Maulkorberlass auch nach dem aktuellen Urteil weiterhin in Kraft. Bei Verstoß gegen den Erlass drohen Medienunternehmen empfindliche Geldstrafen von bis zu einer halben Million Dollar und Journalisten Haftstrafen.

Kurios ist, dass der Maulkorberlass sich auf alle in Australien zugänglichen Medien bezieht. Im Zeitalter des Internets kommt dies einem weltweiten Berichtsverbot gleich. Vor allem viele englischsprachige Medienunternehmen reagierten deshalb bislang recht zurückhaltend hinsichtlich der Berichterstattung über das Urteil. Der Humanistische Pressedienst fühlt sich, wie erfreulicherweise mehrere deutsch- und andere nicht-englischsprachige Medien, hinsichtlich der Prinzipien der Pressefreiheit jedoch an australische Gesetzgebung ebensowenig gebunden wie an saudi-arabische.

Für das Ansehen der katholischen Kirche und ihren aktuellen Chef, Papst Franziskus, ist das Urteil verheerend. Zwar hatte Franziskus Kardinal Pell im vergangenen Jahr für die Dauer seines Gerichtsverfahrens in Australien von seinen Amtspflichten als vatikanischer Finanzchef freigestellt, doch Mitglied des päpstlichen Beratergremiums war er geblieben. Einen Tag nach dem Urteil gegen Pell teilte der Vatikan mit, dass der Papst Pell aus dem Kardinalsrat entlassen habe. Ebenso wie den früheren Erzbischof von Santiago de Chile, Francisco Javier Errázuriz, dem in seiner chilenischen Heimat ebenfalls vorgeworfen wird, in den dortigen Missbrauchsskandal verwickelt zu sein. Angeblich sei die Entlassung bereits Ende Oktober erfolgt.