Weihnachtsmusik als seelische Grausamkeit

Einige mögen sie, andere hassen sie: Weihnachtslieder. In einigen Berufen ist es unmöglich, sich der musikalischen Dauerberieselung in der Vorweihnachtszeit zu entziehen. Das kann zu einem gesundheitlichen Problem werden. Laut der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nimmt durch die akustische Dauerberieselung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 20 Prozent zu.

Freunde von mir haben in diesem Jahr eine "Last Christmas Challenge" ausgerufen: Wer es in der Vorweihnachtszeit schafft, am längsten nicht das Lied "Last Christmas" zu hören, gewinnt. Ich selbst habe die Challenge bereits Ende November verloren. Und zwar gleich doppelt am selben Tag: Morgens durch den Radiowecker und nachmittags im Supermarkt.

Was auf den ersten Blick lustig anmutet, hat einen ernsten Hintergrund. Denn es zeigt, wie sehr wir alle – nicht selten gegen unseren Willen – der Beschallung durch Weihnachtslieder ausgesetzt sind. Auf fast allen Radioprogrammen, in der Fernsehwerbung, beim Einkaufen oder dem Aufenthalt in einem Café.    

Wer seine Tage beispielsweise im Büro oder zu Hause verbringt, kann sich dem Gedudel entziehen. Doch für all jene, die im Einzelhandel arbeiten und deren Geschäftsleitung die weihnachtliche Dauerberieselung beschlossen hat, können Weihnachtslieder zur Folter werden. Darauf machte in der vergangenen Woche die Gewerkschaft ver.di aufmerksam. "Um die vorweihnachtlichen Endlosschleifen von 'Jingle Bells', 'Oh, du Fröhliche', 'Last Christmas' und 'Stille Nacht' in den Geschäften auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, weist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die betroffenen Betriebsräte auf neue Regeln des Bundesarbeitsministeriums für die Arbeitsstätten hin", heißt es in einer Pressemitteilung von ver.di. "Danach darf der Lärm in den Einzelhandelsgeschäften 70 Dezibel (dbA) nicht überschreiten. Wird Musik gespielt und gibt es Durchsagen, was in den Läden üblich ist, müssen bis zu 6 Dezibel abgezogen werden, so dass das Maximum bei 64 Dezibel liegt. Das ist etwa die Beschallung durch einen Fernseher in Zimmerlautstärke."

"Die stundenlange Dauerbeschallung mit zu lauter Weihnachtsmusik hat gesundheitliche Folgen, von Bluthochdruck über negativen Stress bis zur Erhöhung der Herzfrequenz", erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. "Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nimmt dadurch um 20 Prozent zu". Bereits seit Jahren weist ver.di auf diese Problematik hin. Laut der Augsburger Allgemeinen brandmarkte die Gewerkschaft die musikalische Dauerberieselung schon vor über zehn Jahren als "seelische Grausamkeit". Und sie ist damit nicht allein.

Laut der österreichischen Zeitung Der Standard regte sich auch in der Gewerkschaft der Privatangestellten in Oberösterreich schon vor fünfzehn Jahren Protest gegen den weihnachtlichen Musiksegen. "Das ist Psycho-Terror für die Handelsangestellten", mit diesen Worten kritisierte Gottfried Rieser von der Gewerkschaft die alljährliche Dauerbeschallung mit Weihnachtsliedern. "Viele Handelsangestellte leiden psychisch darunter, sie bekommen Aggressionen und Aversionen gegen die Weihnachtsmusik, am Heiligen Abend in der Familie können sie 'Stille Nacht' oder 'Jingle Bells' nicht mehr hören".

Oh, du fröhliche!