An der Christian-Albrechts-Universität Kiel wurde der diesjährige March for Science mit einem besonderen Konzept eingeleitet. Professor Michael Bonitz lud SchülerInnen der Fridays for Future-Bewegung und WissenschaftlerInnen ein, die Herausforderungen des Klimawandels und der Klimawandelforschung zu diskutieren.
Martin Visbeck, Professor für physikalische Ozeanografie am GEOMAR, gab den Zuhörern in seinem Impulsvortrag "Was weiß die Wissenschaft über den Klimawandel und was nicht?" einen Überblick über planetare Grenzen und Forschungsmethoden, die den aktuellen Berechnungen zugrunde liegen.
Visbeck skizzierte verschiedene Studien, die untersuchen, in welchen Dimensionen sich das Klima durch anthropogene Einflüsse verändern könnte. Fest steht: Weniger als 50 Zentimeter Meeresspiegelsteigerung und 1,5 Grad Celsius Erderwärmung sind nach den führenden Studien des IPCC nicht mehr möglich. Um diese Ziele noch erreichen zu können, müsste die Menschheit schon jetzt viele Einschränkungen in ihrem Nachhaltigkeitsverhalten mittragen. Vor der Nennung von präzisen Prognosen und Katastrophenszenarien, die oft im Internet kursieren, sehe er aber vor allem deshalb ab, da diese nicht empirisch zu beweisen seien.
"Ziel muss es sein, eine dezentrierte Debatte zu erreichen, die emanzipatorische und migrationsfreundliche Lösungen für den globalen Süden schafft"
Die Anthropologin Prof. Silja Klepp ging in ihrem Impulsvortrag "Die sozialen Folgen des Klimawandels und die Rolle von Klima-WissenschaftlerInnen" auf die Debattenstränge und Aufgaben ein, mit denen KlimaforscherInnen konfrontiert werden.
Das Thema werde viel durch Auftragsforschung untersucht, so Klepp, und böte damit das Risiko der Politisierung durch Interessengruppen wie NGOs. Auch sind einige Narrative der Umweltmigrationsforschung von rassistischen Motiven durchsetzt, die beispielsweise eine realistisch nicht messbare "Bedrohung durch Migrationsströme" zeichneten, sobald das Klima immer extremere Gestalt annehmen wird.
Es gebe zu wenig machtsensible Forschung, die unabhängig zu dieser heiklen Thematik forscht. Dabei sei die Rolle der WissenschaftlerInnen zentral. Man müsse sich mit der Frage auseinandersetzen, ob ForscherInnen im Sinne eines scholar activisms ihre politische Neutralität ablegen sollten, ohne ihre wissenschaftliche Redlichkeit zu verlieren.
Das Ignorieren des Klimawandel ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können
In der anschließenden Diskussion trafen die beiden Forschenden auf die Aktivisten der Fridays for Future-Bewegung Mirja Schröter und Rune Vollbehr. Auf die Publikumsfrage, inwiefern man im digitalen Raum auf Leugner und Relativierer des Klimawandels reagieren solle, bezieht Mirja Schröter klar Stellung. Die Schülerin fordert, Gegenstimmen sachlich mit Fakten zu begegnen, da das Ignorieren des Klimawandels ein Luxus sei, den wir uns nicht leisten könnten.
Rune Vollbehr, Schüler des Gymnasium Altenholz, betont die gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Bei dem Versuch der Eindämmung des Klimawandels müsse man versuchen, alle Menschen mitzunehmen. SchülerInnen und WissenschaftlerInnen forderten gleichermaßen einen Wandel der Klimapolitik im globalen Maßstab.
Wissenschaftsvermittlung als Herausforderung für die heutige Forschung
Die Veranstaltung trug dem Zeitalter der "alternativen Fakten" Rechnung, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neben Forschung und Lehre ein neues Aufgabenfeld zu bestreiten haben. Sie müssen für die Popularisierung von Wissenschaft arbeiten. Diese Zusatzbelastung braucht es heutzutage, damit der gesellschaftliche Diskurs nicht in die Richtung entgleitet, in der Meinungen wichtiger als Fakten werden. Professor Michael Bonitz organisiert passend dazu im Sommersemester den vierten Teil seiner Vorlesungsreihe "Wissenschaft und alternative Fakten".
4 Kommentare
Kommentare
Frank am Permanenter Link
Die Wissenschaftler haben nicht den Mut den Leuten zu sagen, was nötig wäre, um den CO2 Ausstoß radikale zu reduzieren.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Plus 50 cm (an heutigen Küsten) = bis zu den Knien im Wasser (zusätzlich). Einfach mal vorstellen...
Rainer Bolz am Permanenter Link
Die größte Herausforderung der Politiker und Wissenschaftler, besteht darin, dass wesentliche Verbesserungen kostenneutral in die Wege geleitet werden. Die Steuerbelastung der Bürger ist schon heute viel zu Hoch.
Vorschlag: Der Austausch des Motoröls unserer Fahrzeuge nach ca. 20.000 km ist nicht notwendig, Verbesserungen, die einen Ölwechsel erst nach 100.000 km erforderlich machen sind unter Verschluss!! Warum wohl ??
Klimaverbesserung zum Nulltarif, - ja anderenfalls, - ohne mich.
Sebastian am Permanenter Link
"Man müsse sich mit der Frage auseinandersetzen, ob ForscherInnen im Sinne eines scholar activisms ihre politische Neutralität ablegen sollten, ohne ihre wissenschaftliche Redlichkeit zu verlieren."
Das halte ich fuer brandgefaehrlich, kontraproduktiv und wissenschaftzersetzend! Eine nicht ergebnisoffene Forschung bei der eine politische Agenda vorschreibt, was, in welche Richtung und mit welchem Ergebnis erforscht werden soll ist per Definition keine mehr, da kann man auch keine wissenschaftliche Redlichkeit mehr verlieren sondern hatte sie erst nie. Wie auch immer man zu einer Thematik steht, die (verfassungsmaerssig geschuetzte) Freiheit von Forschung soll es ein jeden Wissenschaftler ermoeglichen in jede auch erdenkliche Richtung zu forschen, ohne dabei irgendwelchen Repressalien ausgesetzt zu sein, aufgrund seiner polit. Einstellung etc. oder in Hinblick auf seine Forschungsarbeit. Ob sich die hieraus gewonnen Erkenntnisse als Schwachsinn herausstellen und von der wiss. Gemeinschaft als solche nicht anerkannt werden ist allein der wiss. Gemeinschaft selbst zu ueberlassen. Die Verwertung saemtlicher Ergebnissse aus einer Forschung, also deren Implikationen auf polit. Entscheidungsprozesse muss dabei der Politik ueberlassen werden und durfen nicht von den Wissenschaftlern vorgenommen werden, da hierbei immer andere und insbesondere nicht-wiss. Faktoren einbezogen werden muessen (Stichwort Genzwerte, Mehrheitsfaehigkeit, Konsesnbildung, Ergebnisse aus anderen Forschungszweigen, Geld, Haushalt, etc. pp.).
Zu verlangen, dass Wiss. ihre polit. Neutralitaet ablegen _sollten_ (sic!) hiesse, a) Forschung nur noch von polit. genehmen Personen zuzulassen (andere wuerden schlicht keine Foerderung mehr bekommen), also die direkte Verletzung der Forschungsfreiheit, b) Forschung selber zu polit. Aktivitaet zu deklassieren (jede polit. Aeusserung eines poli. Wissenschaftsaktivisten ist dann sogleich auch eine wiss. fundierte), und c) Hochschulen zu polit. Kaderschmieden mutieren zu lassen.
Wissenschaftler, die sich dergestalt polit. einspannen lassen oder gar selber aktiv werden sollten ihre Berufung niederlegen und um ein polit. Mandat streiten!