Offener Brief des Informationsnetzwerks Homöopathie an die Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Kritik an Ministerpräsidentin wegen Homöopathie-Schirmherrschaft

In Stralsund findet vom 29. Mai bis zum 1. Juni 2019 der diesjährige Homöopathische Ärztekongress des Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ ) statt. Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, hat sich der DZVhÄ auch diesmal wieder des Rückhaltes in der Politik versichert, indem er der Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), die Schirmherrschaft über die Veranstaltung angetragen hat, womit selbstverständlich auch ein wohlmeinendes Grußwort verbunden ist.

In (schlechter) Tradition ist die Ministerpräsidentin diesem Wunsch gefolgt. Das Grußwort wurde auf der Webseite des Ärztekongresses veröffentlicht. Das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) sieht sich zu dem nachfolgenden offenen Brief an Ministerpräsidentin Schwesig veranlasst:

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,

aus verschiedenen Quellen konnten wir entnehmen, dass Sie die Schirmherrschaft über den im Mai 2019 in Stralsund stattfindenden Homöopathischen Ärztekongress des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte übernommen haben. Auch das von Ihnen an den Kongress gerichtete Grußwort ist uns bekannt.

Sowohl der Übernahme der Schirmherrschaft als auch dem Grußwort an den Kongress stehen wir kritisch gegenüber. Erlauben Sie uns, die Gründe dafür nachstehend darzulegen. Wir halten es für bedeutsam, gerade Vertreter der Politik mit unserem Anliegen, einem aufgeklärten Umgang mit dem Thema Homöopathie, bekannt zu machen und unsere Beweggründe zu erläutern.

Wir, das Informationsnetzwerk Homöopathie, seine Mitglieder und Unterstützer, klären seit 2016 darüber auf, dass es sich bei der Homöopathie um eine Scheintherapie handelt, die weder jemals einen validen Wirkungsnachweis erbringen noch die Unvereinbarkeit ihrer Grundannahmen mit wissenschaftlich bestens belegten Grundlagen ausräumen konnte. Hierüber besteht ein Konsens nahezu der gesamten weltweiten Fachwissenschaft. Zur Verdeutlichung dessen verweisen wir als eine Stimme unter vielen auf das Urteil der EASAC, des Beirats der Vereinigung der Europäischen Wissenschaftsakademien, zur Homöopathie von 2017:

"(Wir schließen aus unseren Untersuchungen,) dass die Behauptungen zur Homöopathie unplausibel sind und im Widerspruch zu den etablierten wissenschaftlichen Grundlagen stehen.

Wir erkennen an, dass bei einzelnen Patienten ein Placebo-Effekt auftreten kann, aber wir stimmen früheren ausführlichen Untersuchungen zu und schließen daraus, dass keine Krankheiten bekannt sind, für die es robuste und replizierbare Nachweise gäbe, dass die Homöopathie über diesen Placebo-Effekt hinaus wirksam sei."

Als Konsequenz hieraus findet die Homöopathie in immer mehr Ländern keinen Platz mehr innerhalb der wissenschaftlich fundierten Medizin und der öffentlichen Gesundheitssysteme. Dazu sei auf das Ende der Verordnungsfähigkeit von Homöopathika in England verwiesen, der jetzt auch noch die Aufnahme von Homöopathika in die Blacklist des britischen Gesundheitsministeriums folgt, so dass sie nicht mehr als Arzneimittel registriert werden können.

Insbesondere weisen wir auf die aktuellen Entwicklungen in Frankreich und Spanien hin. In beiden Ländern haben sich die Fachverbände bzw. die wissenschaftlichen Akademien sowohl der Medizin wie auch der Pharmazie klar von der Homöopathie distanziert und gefordert, ihr keinen Platz mehr im öffentlichen Gesundheitssystem einzuräumen. In Spanien hat die derzeitige Regierung bereits konkrete Maßnahmen getroffen, Homöopathie aus der therapeutischen Praxis zu entfernen. In Frankreich steht die politische Entscheidung hierüber derzeit an, die Empfehlungen der Kammern und der Akademien der Wissenschaft lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Homöopathie ist medizinisch wertlos bis risikobehaftet.

In den USA ist die Food and Drug Administration im Benehmen mit der Verbraucherschutzbehörde FTC dabei, einen immer strengeren Regulierungsrahmen für Homöopathika zu schaffen. Verbraucherschutzorganisationen klagen derzeit gegen Vertreiber von Homöopathika wegen Betruges. In Australien wurde 2017 sogar die Möglichkeit gesetzlich abgeschafft, Homöopathie über private Zusatzversicherungen abzudecken. In Österreich wurde vor kurzem das Wahlpflichtfach Homöopathie an der MedUni Wien ersatzlos gestrichen, die "Homöopathische Notfallambulanz" geschlossen und die aufgelaufenen Forschungsarbeiten dieser Bereiche nach Prüfung vom Wissenschaftsrat der MedUni als "unwissenschaftlich" verworfen.

Viele andere politische und wissenschaftliche Organisationen in weiteren Ländern haben sich ebenfalls gegen die Homöopathie als Teil von Medizin und Gesundheitswesen positioniert.

Der außerordentlich wirkmächtig aufgestellten Homöopathielobby gelingt es offenbar in Deutschland, derartige Entwicklungen noch hintan zu halten. Die Gefahr einer Isolation der deutschen Gesundheitspolitik im Kreis insbesondere der EU-Partnerländer ist hier längst nicht mehr von der Hand zu weisen.

Die Bemühungen der einschlägigen Lobby, die Homöopathie als eine bewährte, der wissenschaftlichen Medizin im Wesentlichen gleichwertige Therapieform darzustellen, sind vielfältig und umfangreich. Allein dies ändert nichts an den Tatsachen, dem breiten wissenschaftlichen Konsens, der die Homöopathie nur noch als medizinhistorisches Relikt und nicht als gerechtfertigten Teil eines modernen Gesundheitswesens ansieht.

Hier nun schließt sich der Kreis zum Anlass dieses Schreibens. Der Zentralverein homöopathischer Ärzte stellt eine der Säulen der homöopathischen Interessenvertretung in Deutschland dar. Ihm ist an öffentlicher Reputation sehr gelegen. Selbstverständlich ist es angesichts der massiv schwindenden Bedeutung der vorwissenschaftlichen homöopathischen Methode in Europa und weltweit von großer Bedeutung, beispielsweise für die homöopathischen Fachkongresse Schirmherrschaften hochrangiger politischer Vertreter zu erlangen.

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (2016), Foto: © Ralf Roletschek, Wikimedia, GFDL 1.2
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (2016), Foto: © Ralf Roletschek, Wikimedia, GFDL 1.2

Dies stärkt jedoch nur die wissenschaftlich und unserer Ansicht nach gesundheitspolitisch unvertretbare öffentliche Reputation der Homöopathie und führt zu einer Verfestigung der ohnehin schon allzu verbreiteten Annahme in der Bevölkerung, bei der Homöopathie handele es sich um eine anerkannte Therapieform, die als der wissenschaftlichen Medizin jedenfalls gleichwertig anzusehen sei.

Deshalb ist es das Kernanliegen des Informationsnetzwerks Homöopathie, dass der Homöopathie keine öffentliche Glaubwürdigkeit und auch kein Platz im öffentlichen Gesundheitswesen mehr eingeräumt wird – insbesondere auch bei der von Ihnen angesprochenen guten Behandlung von Kindern. Die derzeitige Situation sehen wir weder als wissenschaftlich noch als ethisch vertretbar an. Eine "Therapie", die nicht mehr vorzuweisen hat als die Kontexteffekte (insbesondere Placebo), die bei jeder Art von – auch nichtmedizinischer – Zuwendung auftreten, kann nicht als medizinische Therapierichtung gerechtfertigt werden. Darüber darf auch nicht hinwegtäuschen, dass Homöopathie von ihren Vertretern unzutreffend als spezifisch wirksame Arzneimitteltherapie angeboten und beworben wird.

Medizin definiert sich heute als das, was über das "Grundrauschen" des stets vorhandenen Placeboeffekts hinausgehende spezifische Effekte belastbar nachweisen kann. Entgegen den perpetuierten Behauptungen der homöopathischen Interessenvertretungen und ihrer Selbstbespiegelung in Veranstaltungen wie dem "Homöopathischen Ärztekongress" kann die Homöopathie dies nicht – und ist deshalb auch kein Faktor für das Ziel eines insgesamt menschlicheren Umgangs mit Patienten in der Medizin, den wir für sehr erstrebenswert erachten.

Wir würden uns freuen, wenn wir Ihnen eine vielleicht bislang nicht so geläufige Sicht auf das Thema Homöopathie eröffnet hätten. Fakt ist, dass die allgemeine Wahrnehmung der Homöopathie derzeit von jahrzehntelang unwidersprochener Einflussnahme interessierter Kreise geprägt ist. Homöopathiekritik ist zwar so alt wie die Methode selbst. Erst mit dem Informationsnetzwerk Homöopathie gibt es aber seit 2016 einen unabhängigen Interessenverbund, dessen Mitglieder gemeinsam das Ziel verfolgen, Aufklärung zur Homöopathie allgemeinverständlich auf wissenschaftlicher Faktenbasis zu leisten.

Es ist uns klar, dass Sie als hohe staatliche Repräsentantin einem breiten pluralistischen Spektrum gesellschaftlicher Gruppen gerecht werden müssen. Wir, die Unterzeichner, möchten Sie jedoch bitten, künftig davon abzusehen, durch – zweifellos wohlmeinendes – Engagement dem falschen und unangemessenen öffentlichen Ansehen der Homöopathie noch zusätzlich Nahrung zu geben.

Wissenschaftlich fundierte wie auch allgemeinverständliche Informationsquellen zur Einordnung der Homöopathie als widerlegte Methode aus vorwissenschaftlicher Zeit stehen umfangreich zur Verfügung. Wir erlauben uns, hierzu auch auf das Informationsangebot der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie hinzuweisen. Wenn Sie es wünschen, würden Ihnen Vertreter des Informationsnetzwerks auch gern zu einem persönlichen Gespräch zur Verfügung stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Für das Informationsnetzwerk Homöopathie

Dr. Natalie Grams
Dr. Norbert Aust
Dr. Christian W. Lübbers

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Informationsnetzwerks Homöopathie.