Interview

Das Minenfeld der Islamkritik

Heute findet an der Frankfurter Goethe-Universität die Konferenz "Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?" statt. Im Vorfeld hatte die Konferenz hohe mediale Wellen geschlagen, da eine anonyme Gruppierung der Veranstaltung "antimuslimischen Rassismus" vorgeworfen und sogar die Entlassung ihrer Leiterin Prof. Susanne Schröter gefordert hatte. Über den inzwischen geläufigen Kampfbegriff "antimuslimischer Rassismus" sowie das Minenfeld der Islamkritik sprach hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg mit dem Extremismus-Experten Armin Pfahl-Traughber.

hpd: Herr Professor Pfahl-Traughber, an der Uni Frankfurt wird gerade der Ethnologie-Professorin Susanne Schröter "antimuslimischer Rassismus" vorgeworfen, weil sie eine Konferenz über das islamische Kopftuch organisiert hat, bei der neben BefürworterInnen vor allem KritikerInnen des Kopftuchs zu Wort kommen. Der Kampfbegriff  "antimuslimischer Rassismus" scheint an Universitäten gerade die Runde zu machen. Was genau sagt dieser Begriff aus – und was halten Sie als Wissenschaftler von ihm?

Pfahl-Traughber: Was der Begriff genau aussagt, kann ich auch nicht erläutern, denn dessen Nutzer definieren ihn ja selbst nicht inhaltlich und trennscharf. Es handelt sich um eine sehr diffuse Formulierung, welche die Ebenen durcheinanderwirft. Aber vielleicht darf ich dazu eine Vermutung vortragen: Es lässt sich in der deutschen Gesellschaft durchaus eine Feindlichkeit gegenüber Muslimen feststellen. Da gibt es Hass-Seiten im Internet gegen Muslime, da müssten sich Frauen mit Kopftuch dumme Bemerkungen gefallen lassen, da gibt es Gewalttaten gegen muslimische Einrichtungen. Um diese Feindlichkeiten begrifflich zu erfassen, nutzen manche Aktivisten, weniger seriöse Wissenschaftler, die Formulierung "Antimuslimischer Rassismus". Damit soll eine Ablehnung von Muslimen auch in den historisch-politischen Kontext von anderen Rassismusformen wie etwa gegen Juden oder Schwarze gestellt und entsprechend ein besonderes Verdammungsurteil gegen muslimenfeindliche Vorurteile formuliert werden.

Aus wissenschaftlicher Blickrichtung sehe ich die Bezeichnung "Antimuslimischer Rassismus" eher kritisch, um hier höflich und zurückhaltend zu formulieren. Rassismus meint eigentlich ein ideologisches Konstrukt, wobei aus angeblichen oder tatsächlichen ethnischen Besonderheiten bestimmte Merkmale abgeleitet werden, welche man wiederum allen Angehörigen der gemeinten Gruppe in einem abwertenden Sinne zuschreibt. Die Besonderheit dieser Diskriminierungsideologie gegenüber anderen Diskriminierungsideologien besteht darin, dass die Betroffenen ihrer Benachteiligung nicht durch Verhaltensänderung entkommen können. Sie gelten von Natur aus als schlecht. Insofern bin ich kein Anhänger einer inflationären Ausweitung des Rassismusverständnisses, wie es etwa bei dem Begriff "Kulturrassismus" geschieht. Die inhaltlichen Besonderheiten von Rassismus gehen dabei verloren, auch erfolgt zumindest objektiv eine Relativierung oder Verharmlosung des eigentlichen Rassismus. Wenn immer mehr gesellschaftliche Erscheinungsformen als "rassistisch" gelten sollen, dann ist das tatsächlich rassistische Phänomen dann auch nicht mehr so problematisch. Dies bezwecken die "Ausweiter" des Begriffs meist nicht, aber ihre ganze Argumentation läuft darauf hinaus.

Nun gibt es ja nicht gerade wenige Kritiker und Kritikerinnen des Islam, die selbst aus muslimischen Familien und/oder mehrheitlich muslimischen Ländern stammen. Übrigens auch auf der erwähnten Kopftuch-Konferenz. Ist es nicht höchst kurios, dass auch diese Kritiker mit dem Label "antimuslimischer Rassist" versehen werden?

Ja, aber nur, was den absonderlichen Begriff angeht. Es gibt auch Frauen, die letztendlich frauenfeindliche Auffassungen vertreten. Es gibt auch Juden, die mit den Judenhass schüren. Es gibt auch Migranten, die migrantenfeindliche Parteien unterstützen. Es kann demnach auch Menschen aus muslimischen Kulturkreisen geben, die muslimenfeindliche Auffassungen vertreten. Es gibt ja auch ehemalige Linksextremisten, die dann überzeugte Rechtsextremisten werden und ihr früheres politisches Lager mit hassvollen Kommentaren überziehen. Was Kritiker des Islam aus dem muslimischen Kulturkreis angeht, hier wäre schon aus den erwähnten Gründen der Schiefe des Rassismusverständnisses eine solche Bezeichnung unangemessen. Man ersetzt dabei außerdem den Gemeinten gegenüber das Sachargument durch das Ressentiment. Das ist das eigentliche Problem des "Antimuslimischer Rassismus"-Vorwurfs in diesen Fällen. Er wird als ein diskriminierendes Etikett genutzt, um sich der inhaltlichen Kontroverse nicht aussetzen zu müssen. Hier gibt es übrigens eine formal-strukturelle Gemeinsamkeit mit den Muslimenfeinden.

Der Bereich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam ist ja insgesamt verbal ziemlich vermint. Wer sich kritisch mit dem Islam beschäftigt, wird schnell mit Labeln wie "islamfeindlich", "islamophob", "Muslimenhasser" oder eben "antimuslimischer Rassist" versehen. Werden diese Begriffe Ihrer Meinung nach bewusst eingesetzt, um Islamkritik im Keim zu ersticken? Und falls ja: Wer sind diejenigen, die versuchen, diese Kritik zu unterbinden?

Da kann man nicht pauschalisieren, es kommt jeweils auf den Einzelfall an. Diskursorientierte islamistische Akteure, aber auch Repräsentanten der konservativen Islamverbände haben längere Zeit gern die Bezeichnung "islamophob" verwendet, um Einwände gegen eine Kritik am Islamismus zu diskreditieren. Dabei ist auch diese Bezeichnung von ihrer wörtlichen Bedeutung her unpassend. Gemeint ist ja eine Angst vor dem Islam, was eher das psychische Problem des "Islamophoben" und nicht der Muslime wäre. "Islamfeindlichkeit" kann demgegenüber eine angemessene Bezeichnung sein, solange es tatsächlich um eine monokausale und stereotype Deutung dieser Religion in einem rigoros negativen Sinne geht.

Wenn aber argumentative Einwände gegen den Islam im sachlichen Tonfall vorgebracht werden, hat dies nichts mit "Islamfeindlichkeit", sondern etwas mit "Islamkritik" zu tun. Es gibt einen grundlegenden Gegensatz zwischen Kritik und Feindlichkeit: die jeweiligen Einstellung ist im erstgenannten Fall mit Differenzierung und Sachlichkeit und im zweiten Fall mit Hetze und Pauschalisierung verbunden. Diese Grenze wird von verschiedenen Seiten mit unterschiedlichen Gründen gern verwischt: Wirkliche Islamfeinde geben sich so nur als "Islamkritiker", Islamisten können so jede Kritik als Islamfeindlichkeit diffamieren, und manche Multikulturalismus-Anhänger verweigern sich so der Widersprüchlichkeiten in ihrem Selbstverständnis.

Nun steht hinter dem verbalen Minenfeld im Bereich der Islamkritik ja die Mutmaßung, dass jede kritische Auseinandersetzung mit dem Islam eine fremdenfeindliche Komponente enthält. Trifft diese Mutmaßung zu oder gibt es auch die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam ohne fremdenfeindliche Komponente?

Ja, die Kritik an einer Religion bedeutet ja nicht notwendigerweise die Verdammung ihrer Gläubigen. Auch vehemente Atheisten wie etwa Richard Dawkins, der das Christentum für einen Ausdruck von "Gotteswahn" hält, hat nicht die Diskriminierung von Christen oder gar ein Verbot von deren Religionsausübung gefordert. Es geht hier um unterschiedliche Ebenen: Einwände gegen eine Religion einerseits, Feindschaft gegenüber deren Gläubigen andererseits. Dass eine Kritik des Islam von manchen Muslimen als Kritik an ihrer Identität empfunden wird, ist aber aufgrund des allen zustehenden Rechts auf Meinungsfreiheit grundsätzlich zu akzeptieren. Umgekehrt können auch Auffassungen von Muslimen als Angriff auf die Identität von anderen Menschen wahrgenommen werden. Eine Islamkritik ohne fremdenfeindliche Hintergründe besteht darin, dass aus den Inhalten der Kritik keine Benachteiligungen aller Muslime abgeleitet werden.

Gibt es einen Lackmustext, wie ich selbst herausfinden kann, ob meine eigene kritische Auseinandersetzung mit dem Islam eher fremdenfeindlich oder religionskritisch motiviert ist?

Es geht dabei um den normativen Ausgangspunkt der Kritik: Ist es das Bekenntnis zu Aufklärung und Menschenrechten oder ist es das Ressentiment gegenüber dem Fremden und Ungewöhnlichen. Fremdenfeindlich Eingestellte versuchen gern ihre Auffassungen im erstgenannten Sinne vorzutragen. Dabei kommt es darauf an, deren Grundeinstellung zu hinterfragen. Besteht hier eine innere Glaubwürdigkeit oder muss man eher von einer Doppelmoral sprechen. Ein Beispiel: Mit Berechtigung wird das Frauenbild in der muslimischen Gemeinschaft kritisiert. Doch wenn dies auf einmal der polternde Chauvi, der ansonsten für seine sexistischen Sprüche bekannt ist, tut, dann hat man es wohl schwerlich mit einer aufgeklärt-kritischen Ausgangsposition zu tun.

Welche Begriffe würden Sie einerseits zur Bezeichnung von Islamkritik ohne fremdenfeindliche Komponente und andererseits für Islamkritik aus fremdenfeindlicher Motivation für sinnvoll halten?

Eine "Islamkritik aus fremdenfeindlicher Motivation" könnte es angesichts meines vorgetragenen Begriffsverständnisses gar nicht geben. Ich würde hier immer von "Islamfeindlichkeit" oder noch präziser von "Muslimenfeindlichkeit" sprechen. Durchaus vorstellbar ist eine rigorose Islamfeindlichkeit, die aber nicht mit einer Muslimenfeindlichkeit einhergehen muss. Eine radikal-atheistische Auffassung würde wohl den Islam in Gänze negieren ebenso wie das Christentum und andere Religionen. Aber daraus ergibt sich nicht, dass die jeweils Gläubigen als Feinde angesehen werden und sie ihre Rechte als Menschen oder Gläubige verlieren.

Ganz allgemein ziehe ich die Bezeichnung "Muslimenfeindlichkeit" vor, womit eine Feindschaft gegen Muslime als Muslime gemeint ist. Diese einfache  Definition ist auch sehr klar: Es geht darum, dass es Aversionen gegen einen Menschen gibt, die nicht konstitutiv etwas mit seinen nicht-religiösen Einstellungen und Verhaltensweisen zu tun haben, sondern sich grundlegend und primär durch sein "Muslimsein" ergeben. Ganz in diesem Sinne ist auch die Muslimenfeindlichkeit eine Form von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Das Bielefelder Institut für Konflikt- und Gewaltforschung, das lange mit den Bezeichnungen "Islamophobie" und "Islamfeindschaft" operierte, hat in den jüngsten Ausgaben denn auch nach langer Kritik die Bezeichnung "Mulimfeindlichkeit" aufgenommen. Das war auch konsequent, denn der Islam ist ja keine Gruppe, sondern eben eine Religion.

Kommen wir zurück zu der Kopftuch-Konferenz von Prof. Schröter in Frankfurt. Wenn Sie einen Blick auf das Programm der Konferenz werfen oder auf die Homepage des "Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam am Exzellenzcluster 'Normative Ordnungen' an der Goethe-Universität", das die Konferenz offiziell veranstaltet und deren Direktorin Frau Prof. Schröter ist, weist für Ihr geschultes Auge dort irgendetwas in Richtung fremdenfeindlicher Motivation der Islamkritik?

Nein, da bestehen keine Anhaltspunkte für. Aus der Kenntnis der einschlägigen Literatur kenne ich aber die Vorwürfe, die gegen Necla Kelek und Alice Schwarzer erhoben werden, die neben anderen an der Konferenz teilnehmen. In beiden Fällen handelt es sich um Musterbeispiele für die oben erwähnte Differenzierung, denn sowohl Kelek wie Schwarzer formulieren ihre Kritik aus einer frauenrechtlichen Perspektive. Insofern ist ihr Ausgangspunkt eine aufklärerisch-menschenrechtliche Grundeinstellung. Dass sie bei ihren Einwänden gegen frauenfeindliche Gegebenheiten in der muslimischen Gemeinschaft mitunter überformulieren, hängt wohl mehr mit ihrem persönlichen Betroffenheitsempfinden und ihrem publizistischen Selbstverständnis zusammen. Die Bücher von Kelek habe ich auch kritisch rezensiert. Indessen kann weder sie noch Schwarzer als muslimenfeindlich im erwähnten Sinne bezeichnet werden.

Aber noch eine Anmerkung zu den "studentischen Protesten" gegen die erwähnte Veranstaltung: Wird hier denn nicht mit der medialen Aufmerksamkeit überzeichnet, wer steht denn mit welchen Argumenten und welcher Relevanz hinter den Vorwürfen? Auch der AStA der Universität Frankfurt/M. hat sich gegen die von ihm wohl auch so genannte "Hetz-Kampagne" gegen Schröter gestellt. Ansonsten ist die Konferenz pluralistisch zusammengesetzt. Es gibt Anhänger wie Gegner des Kopftuchs. Da gilt die Frage: Wollen die "Beschwerdeführer" hier das Recht auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Zweifel ziehen?

Bedauerlich sind eigentlich andere Gesichtspunkte: So wie der Konferenzplan konzipiert ist, hält jeder Redner seinen Vortrag. Zu einem wirklichen Meinungsaustausch kommt es nicht. Danach fährt man wieder nach Hause. Sinnvoller wäre es gewesen, einen guten und kompetenten und strengen Moderator zu finden, welcher die Referenten systematisch hinsichtlich bestimmter Punkte befragt. Aber die angemessene Durchführung einer solchen Konferenz ist dann schon wieder ein anderes Thema