Am 24. Mai 2019 hat das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) beim Verwaltungsgericht Weimar Klage gegen Ministerpräsident Ramelow wegen Verletzung der Informationsfreiheit Art. 5 Grundgesetz eingereicht.
Der ausführlich begründete und mit 13 Anlagen versehene Antrag des Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel (Hamburg) lautet: "Dem Beklagten wird untersagt, den Twitter-Account der Klägerin @ifw_recht auf dem Twitter-Account des Beklagten @bodoramelow zu blockieren." Mit dem Verfahren will das ifw auch einen Beitrag zur Klärung zentraler Punkte der Netzpolitik auf dem "Neuland" der Kommunikation von Regierungsmitgliedern und Behörden in den Sozialen Medien leisten.
Die Twitter-Blockade des Ministerpräsidenten Ramelow erfolgte im April 2019. Sie steht mutmaßlich im Zusammenhang mit einer Korrespondenz zwischen ifw und dem Ministerpräsidenten zu einem Bericht der FAZ "Ansprüche von 1803: Kirchen erhalten Rekordzahlung vom Staat" und dem Artikel "Staatsleistungen auf ewig? Ein Kommentar zur Kirchenvereinnahmung des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) im 100. Jahr des Verfassungsbruchs" von Jacqueline Neumann (ifw), und verschiedenen Nutzer-Reaktionen auf Twitter, denen sich der Ministerpräsident nun durch Blockade entzog.
Die Klageschrift vom 24. Mai 2019 beim Verwaltungsgericht Weimar hält zum ifw-Kommentar an Ministerpräsident Ramelow fest: "Der Artikel befasst sich in sachlicher Art und Weise mit den Regelungen der Art. 136 bis 140 der Weimarer Reichsverfassung, die durch Art. 140 GG in das heutige Grundgesetz übernommen wurden. Die Verfasserin des Artikels legt dar, dass die Regelungen zwar dem Bund auferlegten, die Grundsätze für die Beendigung der Staatsleistungen durch Landesgesetze aufzustellen, der Verfassungsauftrag richte sich allerdings ebenso an den Bund wie an die Länder, die Untätigkeit des Beklagten in dieser Frage sei daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt."
Der Rechtsfall (Sachverhalt, Verfahrensstand und rechtliche Problematik) wird auf der ifw-Webseite ausführlich dargestellt. Das ifw beabsichtigt, jenseits der Durchsetzung der Rechtsinteressen in eigener Sache, einen Beitrag zur Klärung zentraler Punkte der Netzpolitik auf dem "Neuland" der Kommunikation von Regierungsmitgliedern und Behörden in den sozialen Medien zu leisten. Von Interesse sind vor allem drei Punkte:
- Zuordnung des Twitter-Kontos als Kommunikationsmedium zur amtlichen Tätigkeit.
- Veröffentlichungen eines Ministerpräsidenten auf Twitter von Bedeutung für die politische Meinungsbildung.
- Blockieren von Twitter-Nutzern durch einen Ministerpräsidenten als Eingriff in die Grundrechte.
Jacqueline Neumann (ifw) erklärt den Twitter-Fall für den juristischen und netzpolitischen Laien auf folgende Weise: "Man stelle sich vor: Der Ministerpräsident lädt zu einer Diskussionsveranstaltung in der thüringischen Staatskanzlei ein, auf der ich meine grundgesetztreue Position zur Umsetzung des Staatsleistungen-Verfassungsauftrages vortrage, und den Ministerpräsidenten für seine verfassungsmissachtende Haltung bei den Dauerzahlungen an die Kirche aus öffentlichen Steuergeldern kritisiere. Nach dem ersten Wortwechsel und bevor ich ganz ausgesprochen habe, lässt mich der Ministerpräsident ohne vernünftigen Grund von den Saaldienern rausschmeißen. Erwartet der Ministerpräsident, dass mich dies nicht zu belasten habe, weil er an der Veranstaltung in der Staatskanzlei ja nicht als Ministerpräsident, sondern nur als Privatperson, als "Mensch" teilnimmt? Sind meine Grundrechte hierdurch etwa nicht verletzt? Soll ich mir mit einem neuen Pass oder unter neuem Namen wieder Zutritt zum Saal verschaffen? Auch wenn sich das so nicht im analogen Leben in der Staatskanzlei abgespielt hat, so war genau das im digitalen Leben auf Twitter der Fall. Es ist ganz klar: Die Haltung des Ministerpräsidenten widerspricht jeglichem Rechtsempfinden und der guten Amtsführung.
Mehr noch: für einen Ministerpräsidenten ist dieser Versuch des Debattenausschlusses und der Informationssperre in einer freiheitlichen Demokratie ein Skandal. Nachdem sich der Ministerpräsident auch nach Wochen nicht eines Besseren besonnen hat und unser außergerichtlicher Einigungsversuch gescheitert ist, ist nun das Gericht in Weimar gefragt."
Das ifw tritt nicht selbst als Klägerin auf, da es keine juristische Person ist. Das ifw wird von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) getragen. Die gbs hat Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel als Prozessbevollmächtigten im Fall der Twitter-Blockade beauftragt. Steinhöfel hat bereits für gbs-Beirat Hamed Abdel-Samad wichtige Erfolge zur Aufrechterhaltung der Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit in den sozialen Medien erstreiten können.
Neumann sagt in Erwartung der bevorstehenden öffentlichen Debatte: "Unser Institut für Weltanschauungsrecht arbeitet politisch unabhängig und überparteilich. Es geht uns nicht um politische Stellungnahmen für oder gegen einzelne Politiker wie Ministerpräsident Ramelow (Die Linke). Es geht uns um den säkularen, weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes. Bei diesem Unterfangen kennen wir kein "Links" und "Rechts". Ich erinnere an unsere Kritik an all den politisch Verantwortlichen bei Bund und Ländern über das gesamte Parteienspektrum hinweg, deren Untätigkeit oder gar Irreführung bei der Aufklärung des kirchlichen Sexualmissbrauchssystems wir mit deutschlandweit 27 Strafanzeigen und IFG-Anfragen offengelegt haben. Oder an unsere Positionen beispielsweise zum Kreuzerlass des bayrischen Ministerpräsidenten Söder (CSU), zu den Islamunterricht-Plänen von NRW-Ministerpräsidenten Laschet (CDU) und Schulministerin Gebauer (FDP), zu christlich-fundamentalistischen Forderungen von Beatrix von Storch (AfD) bei Schwangerschaftsabbrüchen und Sterbehilfe, zu den Angriffen auf das Neutralitätsgesetz durch den Berliner Justizsenator Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) oder auch zu den im Lobbyismus der kirchlichen Finanzinteressen kaum mehr zu übertreffenden Staatsleistungen-Aussagen des SPD-Kirchenbeauftragten Castellucci MdB und des sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer (CDU)."
Der Rechtsfall wird fortlaufend aktualisiert auf: https://weltanschauungsrecht.de/rechtsfaelle/twitter-ministerpraesident
7 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Ja ja, die Kirchen haben auch die Linken erfolgreich unterwandert. z.B. durch Herrn MP Bodo Ramelow.
Michael Ganß am Permanenter Link
Schöne Aktion. Mich hat er auch sofort geblockt, nachdem ich den Tweet vom ifw geretweetet hatte.
Peter Schmitt am Permanenter Link
Ich bin als Linker total erschüttert.
Vor hundert Jahren gehörte die Religionskritik zur DNA eines jeden Links denkenden Menschen!
karl kraus am Permanenter Link
Was heisst schon "links". Kann ein Bodo Ramelow, welcher Kritik verbietet,
Ehrenfried Wohlfarth am Permanenter Link
Zur DNA der Linken gehörten auch die Frauenrechte. Heute befürwortet die Linke das unbeschränkte Tragen religöser Zeichen im öffentlichen Dienst und spricht sich vehement gegen ein Kopftuchverbot für Kinder aus.
Roland Weber am Permanenter Link
Vor einigen Jahren gab es in Der Linken säkulare Arbeitskreise, die sich schon damals (in NRW, Bayern und Thüringen; u.a.
Selbst eine FDP war schon einmal deutlich weiter. Auch von den Grünen wird man hier aufgrund ihrer Stromlinienförmigkeit (dazu viele Kirchenfunktionäre) auf Jahren hinaus nichts anderes erwarten dürfen. Über CDU/CSU und SPD braucht man in diesem Zusammenhang erst gar nicht zu reden.
Wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
Eine sehr begrüßenswerte Initiative, insbesondere auch wegen der Tatsache, dass gegen alle Parteien gleichermaßen vorgegangen wird.
Nach einem umfangreichen Briefwechsel mit Herrn Meves [Bezug war sein Beitrag im hpd newsletter "Neues aus den religionspolitischen Debatten der LINKEN; Gegen den Hass und für gleiche Rechte aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften; Von: Helge Meves; 18. Sep 2017" | https://hpd.de/artikel/gegen-den-hass-und-fuer-gleiche-rechte-aller-religions-und-weltanschauungsgemeinschaften-14788] nach Kommentaren auf seinen Artikel hier [nachzulesen dort → https://www.re-actio.com/wordpress/?p=79123] muss ich feststellen, dass sich in der Partei "Die Linke" mittlerweile eine Mehrheit - von der Parteispitze ausgehend, nach unten gerichtet, und mit Ellenbogen durchgesetzt - für die Einbindung von Religion in die Gesellschaft ergeben hat.
Es ist ein Skandal und ein Verrat an linken Grundpositionen auf die ich nicht näher eingehen will, hier passen keine Grundsatzdiskussionen zum Programm einzelner Parteien her.
Den unergiebigen und von Hinweisen auf unzugängliche Literaturzitate [Spezialbibliotheken oder Universitätszugang nötig] gespickten Briefwechsel mit Herrn Meves habe ich damals abgebrochen:
Man kennt das ja, den Kontrahenten mit Literatur - auch solcher, die irrelevant für das Thema ist - zuschütten und zwar so, dass er nicht mehr auf alle Einzelheiten eingehen kann um ihm dann vorzuwerfen er lasse bewußt Teile der Argumentation aus.
Nur soviel sei angerissen:
Wer der Anerkennung der Muslime als gleichwertige Weltanschauung (trotz der eklatanten Unterschiede hinsichtlich der Verknüpfung von Glaubens- und Weltlichem Recht) das Wort redet, weil er sich nicht getraut gegen die Amtskirchenprivilegien und Zahlungen vorzugehen, der stellt sich ein Armutszeugnis aus und begeht Verrat an all den Genossen, die sich gegen die unbelehrbaren und menschenverschlingenden Religionen gestellt haben und dafür ihr Leben riskierten oder gar verloren haben.
Ich finde es bedauerlich, dass sich gerade "Die Linke" zu diesem fatalen Richtungswechsel entschieden hat. Das wird ihr Untergang sein, denn sie ist damit lediglich eine etwas akzentuierter positionierte SPD-Variante. Und deren Schicksal ist ja nun spätestens seit dem Parteivorsitz der glück- und einfallslosen Frau Nahles und endgültig seit der Europawahl 2019 vorgezeichnet.