Interview mit iranischen Atheisten

"Würde ich in den Iran zurückkehren, würde ich hingerichtet werden"

Im Iran werden Atheisten diskriminiert, verfolgt und mit dem Tode bedroht. Farid Mahnad und Mohamad Hosein Tavasolli mussten deswegen aus dem islamischen Gottesstaat fliehen. Im Gespräch mit Tino Shahin erklären sie die Hintergründe ihrer Flucht. 

hpd: Sie sind beide in der "Islamischen Republik Iran" aufgewachsen, wo seit 1979 ein islamistisches Regime die Menschenrechte missachtet, "Andersdenkende" politisch verfolgt oder sogar hingerichtet werden. Inwiefern wurde Ihr Leben im Iran vom politischen Islam bestimmt?

Farid Mahnad: Ich wusste, seitdem ich etwa 15 Jahre alt war, dass ich die Religionsgeschichte, die von der Schöpfung ausgeht, nicht akzeptieren kann. Aber aufgrund der großen Gefahr, der sogar Minderjährige im Iran ausgesetzt sind, wenn sie Zweifel an der Propaganda des Regimes äußern, konnte ich meine Gedanken nicht zum Ausdruck bringen. So musste ich etwa im Theologieunterricht zustimmen, dass der Prophet Mohammed auf einem Esel von Mekka nach Jerusalem gereist und dann in den Himmel aufgestiegen ist (Koran 17:1 bzw. 53:13-17). Der Zwang, solche Geschichten akzeptieren und ihnen in der Öffentlichkeit zustimmen zu müssen, hat mich schon immer gequält und bis heute beeinflusst.

Mohamad Hosein Tavasolli: In meiner Schulzeit wurde ich gezwungen, täglich den Koran zu lesen und zusammen mit den anderen Kindern zu beten. Im islamischen Fastenmonat Ramadan durfte niemand, der älter als 12 Jahre alt war, in der Öffentlichkeit essen, ansonsten drohten massive Strafen durch Lehrer und Religionswächter. An bestimmten religiösen Feiertagen galt es schon als Sünde, öffentlich zu lachen. Die Geschlechtertrennung war allgegenwärtig, ein einfaches Gespräch mit einer Frau, mit der man nicht verwandt oder verheiratet war, konnte als Strafbestand gewertet werden. Es gab kaum einen Teil des Alltags, der nicht vollständig durch den Islam bestimmt wurde. Dabei spielte es gar keine Rolle, ob man gläubiger Muslim war oder nicht.

Sind Sie aufgrund Ihrer kritischen Haltung gegenüber dem iranischen Regime in gefährliche Situationen geraten?

Mahnad: Ja, denn ich habe den Islam und den Religionsführer Ayatollah Khamenei kritisiert. Für Äußerungen solcher Art muss man im Iran mit politischer Verfolgung, Haft, Folter und sogar mit der Todesstrafe rechnen.

Tavasolli: Sie müssen verstehen, dass Atheistinnen und Atheisten in der Islamischen Republik äußerst bedroht sind. Ich war in einer atheistischen Gruppe aktiv. Als das Regime uns nach einigen Jahren entdeckte, wurden einige meiner Freunde sofort festgenommen. Ich selbst wurde zusammen mit einigen Kollegen noch rechtzeitig gewarnt. Wir versteckten uns zuerst bei Verwandten und konnten später mit gefälschten Pässen ins Exil fliehen.

Gemessen an der Bevölkerungszahl handelt es sich bei der Islamischen Republik nach wie vor um den Staat mit den meisten Hinrichtungen.

Mahnad: Richtig. Laut Gesetzbuch werden etwa "politische Vergehen", Prostitution, Ehebruch sowie "Verstöße gegen die Moral" und Gotteslästerung mit dem Tod bestraft. Für Apostasie, also dem Abfall vom Islam, droht ebenfalls die Todesstrafe. Die Hinrichtungen werden teils öffentlich vollzogen, um die übrige Bevölkerung einzuschüchtern.

Wie viele junge Iraner, nutzen Sie soziale Netzwerke. Sie sind etwa auf Twitter aktiv. Warum tauschen sich vor allem im Iran so viele Menschen über das Internet aus? Und was würde Ihnen persönlich passieren, wenn Ihre Tweets vor einem Gericht der Islamischen Republik Iran verhandelt werden würden?

Mahnad: Einige meiner Tweets bzw. Retweets sind – folgt man dem Koran – mit dem Tod zu bestrafen, weil sie den Kern des Islams kritisieren. So droht mir nach den Suren 4,89, 2:217 oder 9:73 die Hinrichtung. Der Iran hat das islamische Recht auf seine Gesetzgebung übertragen und beansprucht gegenüber der übrigen Welt den Islam "wahrhaftig" in der Praxis umzusetzen. In gewisser Weise wird zwischen dem Iran und anderen islamistischen Regimen ein makabrer Wettbewerb um die fundamentalistische Umsetzung des Koran in der Praxis ausgetragen. Würde ich in den Iran zurückkehren, würde ich vor Gericht gestellt und anschließend hingerichtet werden, weil ich als "Abtrünniger" bzw. als "vom Glauben abgefallen" gelte.

Tavasolli: Das Internet gibt den Menschen eine gewisse Freiheit, die es in der "echten Welt" nicht geben darf. Wir hatten Zugriff auf Informationen und Bücher, die eigentlich im Iran verboten sind. Allerdings bemüht sich das Regime permanent, den Zugriff auf Internetseiten und soziale Netzwerke einzuschränken bzw. zu unterbinden. Dadurch werden auch diejenigen daran gehindert, die mit Hilfe des Internets einer Arbeit nachgehen. Ich selbst war schon in meiner Zeit im Iran auf Facebook, über Twitter und Instagram aktiv. Dabei habe ich mich auch kritisch gegenüber der Islamischen Republik geäußert – dies steht nach iranischem Recht unter Strafe.

Sie sagen beide, dass eine Rückkehr in den Iran lebensgefährlich wäre. Was erwarten Sie von den deutschen Behörden? Was sind Ihre Ziele?

Mahnad: Ich habe 2013 ein Visum für ein Studium in Deutschland erhalten und erfolgreich mehrere Sprachkurse absolviert. Aktuell studiere ich Medizin und ich möchte dieses Studium abschließen. Ich erwarte, dass mein Asylantrag, den ich gestellt habe, so bald wie möglich angenommen wird, da ich nicht in den Iran zurückkehren kann, ohne um mein Leben fürchten zu müssen. Anders als Menschen, die zu einer anderen Religion übertreten, habe ich als Atheist keine "Kirche" hinter mir, die mich unterstützt. Mit meinem politischen und sozialen Engagement möchte ich in Deutschland darauf aufmerksam machen, dass Atheistinnen und Atheisten in vielen Teilen der Welt massiv bedroht werden.

Tavasolli: Das islamische Regime duldet keine freien Meinungsäußerungen über die Religion. Die Gruppe, in der ich aktiv war, hat aber das Regime der Islamischen Republik in Frage gestellt. Darauf antwortet der iranische Staat mit aller Härte. Mir würden im Iran – wenn ich Glück hätte – 20 bis 30 Jahre Gefängnis drohen; möglicherweise würde ich auch gleich hingerichtet werden. Deswegen erwarte ich, dass mir in der Bundesrepublik Asyl gewährt wird. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Freiheit nirgendwo auf der Welt zugunsten einer Religion eingeschränkt wird. Außerdem möchte ich mich dafür engagieren, dass die freie Meinungsäußerung im Internet gewährleistet wird, damit sich junge Atheistinnen und Atheisten auf der ganzen Welt zumindest online austauschen können.


Zu den Personen:

Farid Mahnad wurde 1993 im Iran geboren. Seine Schulzeit schloss er mit dem Abitur (Schwerpunkt auf Naturwissenschaften) ab. In Deutschland hat er mehrere Sprachkurse erfolgreich abgeschlossen. Seit 2018 studiert er Medizin, aktuell am Studienkolleg München. 

Mohamad Hosein Tavasolli wurde 1996 im Iran geboren. Er war politisch in einer atheistischen Gruppe aktiv und musste ins Exil fliehen, als die Gruppe vom islamischen Regime entdeckt wurde. In Deutschland absolvierte er mehrere Sprachkurse. Aktuell arbeitet er als Angestellter in Esslingen.

Beide setzen sich inzwischen für andere geflüchtete Atheistinnen und Atheisten ein, indem sie auf den Charakter des islamistischen Regimes und auf die Bedrohung von Dissidentinnen und Dissidenten aufmerksam machen, die im Iran politisch verfolgt und hingerichtet werden.