BERLIN. (hpd) Am Freitag diskutierten in Berlin die Politikerin Lale Akgün, die Autorin Emel Zeynelabidin und der Religionswissenschafter Ralph Ghadban über den Umgang der Mehrheitsgesellschaft und der Politik mit "dem Islam" in Deutschland. Die Diskussion wurde vom hpd-Autoren Walter Otte geleitet. Eingeladen zu dieser Podiumsdiskussion hatten die Säkularen Grünen.
Die Berliner Landeschefin der Grünen, Bettina Jarasch, betonte in ihrem Grußwort, dass die Ausübung von Religion ein Menschenrecht sei. Die Mehrheitsgesellschaft, so Jarasch, "muss ertragen, dass manches seltsam anmutet", was Riten und die Ausübung betrifft. Die bekennende Christin betonte, dass in einer pluralistischen Gesellschaft alle Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften die gleichen Rechte haben müssen.
Lale Akgün stimmte dem generell zu, wies aber darauf hin, dass "Deutschland Politik mit dem Islam macht". Doch dabei stärke die Politik durch die Zusammenarbeit mit den Islamverbänden vor allem den politischen Islam und somit nur eine Spielart dieser Religion. Für sie ist die theologische Debatte über den Islam eine politische Debatte. Deshalb, so Akgün, führe an der theologischen Diskussion über und um den Islam kein Weg vorbei.
Frau Akgün gehört dem Liberal-Islamischen Bund (LIB) an und verwies darauf, dass der Islam neu ausgelegt werden muss, denn "die Position von vor 1.300 Jahren ist nicht zeitgemäß." Die meist strenggläubigen Islamverbände können deshalb dem Staat kein Partner sein. Denn "es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen dem, was die Islamverbände öffentlich zur Schau stellen, (sie bezeichnete das als "Folklore-Islam"), und dem, was in den Moscheen den Kindern eingebläut wird." Den Kindern werde eine islamische Identität vermittelt, etwas, das dem demokratischen Gedanken der Gesellschaft widerspricht.
"Als ich nach Deutschland kam, war der Islam exotisch. Heute ist er politisch." Mit diesen Worten begann Emel Zeynelabidin ihre Einführung. Ihr Schwerpunkt lag an diesem Abend auf der Ausrichtung des islamischen Religionsunterrichts. Sie kritisierte, dass dort gelehrt wird, dass der "Koran die Wahrheit" sei, "dann bleibt kein Raum zum Selberdenken" für die Kinder.
Anders als Lale Akgün vertritt sie die Position, dass es nicht der Islam sei, der reformiert werden muss, "sondern die Muslime". Das wiederum kann nur erfolgreich sein, wenn im islamischen Religionsunterricht das vergleichende Denken gelehrt wird und die Anmaßung deutlich wird, die darin läge, "dass der Mensch glaubt, Gott verstanden zu haben."
Ralph Ghadban stellte gleich zu Beginn seiner Rede klar, dass er sich als Atheist sieht. Als Religionswissenschaftler lieferte er eine Einschätzung der aktuellen innerislamischen Entwicklung und sagte, dass "die Situation des Islam der des Christentums während des Dreißigjährigen Krieges" ähnelt. "Es wird derzeit ausgekämpft, welche Lehrmeinung 'Recht' habe."
Ghadban kritisiert bereits seit längerem die Idee des Multikulturismus: "Multikulti löst keine Probleme, die Politik macht einen Purzelbaum und das hat mit der Realität wenig zu tun." Die Politik beachtet wissenschaftliche Erkenntnisse nicht, sondern tut so, als wären alle religiösen Strömungen des Islam gleich, "um alle gleich zu behandeln." Das jedoch verkennt die Strukturen dieser Religion, die so anders sei als das Christentum.
Insbesondere die Zusammenarbeit der Politik mit den vier großen Islamverbänden griff er scharf an und erklärte, wer sich hinter den 4 Islamverbänden verbirgt bzw. wer diese finanziert.
In der später sich anschließenden Diskussion sprach sich Ghadban dann jedoch auch für einen islamischen Religionsunterricht an Schulen aus - was bei der vorher ausgesprochenen Kritik an den Verbänden (die den Islamunterricht theoretisch vorbereiten) inkonsequent zu sein scheint. Frau Akgün machte an einem Beispiel deutlich, dass nicht nur die Politiker, sondern auch ein Großteil der Bevölkerung viel zu wenig über die Religion "Islam" wissen. Ein Religionsunterricht, der nicht bekenntnisorientiert ist, sondern die Religionen vorstellt und auch in ihrem historischen Kontext beschreibt, könnte dem Unwissen abhelfen.
Auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht angesprochen, sagte Frau Zeynelabidin "Das Kopftuch spaltet die Frauen in zwei Klassen - es ist das Zeichen der 'besseren' Muslimin." Denn es wird innerhalb der islamischen Community als Gradmesser des Glaubens wahrgenommen. Deshalb hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts den liberalen Muslimen einen Bärendienst erwiesen.
In den zweieinhalb Stunden der Veranstaltung konnten selbstverständlich nicht alle Fragen besprochen und geklärt werden. Doch kann das Fazit gezogen werden, dass es überaus wichtig ist, auch und insbesondere mit liberalen Muslimen ins Gespräch zu kommen. Denn diese werden von der Gesellschaft und der Politik viel zu selten wahrgenommen. Dabei sind sie es, die den Islam reformieren können.
6 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Die Mehrheitsgesellschaft, so Jarasch, "muss ertragen, dass manches seltsam anmutet", was Riten und die Ausübung betrifft."
Zitatende.
Natürlich muss die Mehrheitsgesellschaft auch seltsame Riten ertragen. Schließlich darf selbst der verrückteste Glauben nicht verboten werden. Allerdings gibt es Einschränkungen: Wenn ich meinem Kind Angst machen würde, in dem ich ihm erzähle, unter seinem Bett wohne ein böser Kobold, wäre eine Grenze überschritten. Wenn ich ihm erzähle, auf einem unerreichbaren Alpha Centauri-Planeten gäbe es kleine Elfen, die im Schein dreier Sonnen mit Wassertropfen Fangen spielen, dann ist das eine harmlose Phantasie.
Die Grenze definiert also regelmäßig der Schaden, den ich mit meiner Phantasie anrichten kann. Selbstverständlich fallen darunter körperverändernde Maßnahmen und andere, äußerliche Ausgrenzungsmerkmale. Kinder müssen vor Bekenntnisunterricht mit Falschaussagen ("Koran ist die Wahrheit") - was einen u.U. lebenslangen Kampf gegen diese Irreleitung bedeuten kann - geschützt werden. Die "seltsame Anmutung" ist hierbei nicht das Kriterium. Manch biederem Zeitgenossen mögen karnevalistische Umtriebe auch seltsam erscheinen und die Vorstellung homosexueller Praktiken mögen den einen oder anderen eingefleischten Hetero sogar anekeln. Doch dies muss eine Gesellschaft insgesamt ertragen. Der Zwang zum Faschingsball oder zum Sex mit einem gleichgeschlechtlichen Partner wäre indes eine unerträgliche Grenzüberschreitung, die nirgends - auch nicht in der Religion - hingenommen werden darf.
Dass Politiker noch immer aus dem Faktum, dass Religion eben Religion sei, ableiten, hier Ausnahmeregelungen verordnen zu dürfen, um den Zwang zu dem, "was Riten und die Ausübung betrifft" auch gegen Kinder zu erlauben, ist für eine offene Gesellschaft inakzeptabel.
Wenn alle Weltanschauung dies dürften, dann sähe die Welt anders aus, denn streng genommen müssten dann auch alle politischen Weltanschauungen toleriert und sogar in Schulen unterrichtet werden - unabhängig ihres Wahrheitsgehalts oder ihrer Sozialverträglichkeit. Mit welchem Recht sollte ich politischen Rassismus verwerfen, während der kulturelle (teilweise ethnozentrische) Rassismus aller monotheistischen Religionen sogar Kindern unterrichtet wird?
Ob hier die Reform des Islams oder der Muslime eine Lösung bietet, bleibt für mich mehr als fraglich. Da es keine faktische Basis für geistergläubige Religion gibt, existiert keine objektive Notwendigkeit für Religion. Sie ist also einem Privathobby gleichzustellen. Wohin sollte sich eine solche Reform also bewegen? Dahin, dass der Geisterglauben aufgegeben wird? Wohl kaum, da dies das essentielle Zentrum jeden Glaubens ist. Doch aus dem Geisterglauben werden ja die seltsamen Riten abgeleitet, die "die Mehrheitsgesellschaft ertragen" muss.
Da ich diese nicht verbieten will, müssen lediglich Dritte (zu denen Kinder zählen) vor Zwangseinvernahme geschützt werden. Der freiwillige Beitritt ab dem 14. Lebensjahr und freiwillige irreversible Körperveränderungen ab dem 18. Lebensjahr können den Nachwuchs derartiger Organisationen ausreichend sichern.
Doch eine wirklich freie Entscheidung auf Seiten des Nachwuchses kann nur erfolgen, wenn es wirklich keinen Druck innerhalb der Familien gibt. Warum z.B. sollten unter 14-jährige Musliminnen Kopftücher tragen? Dies wäre sogar mit koranischem Recht vereinbar, falls wir dem in Deutschland eine Stimme gestatten wollen. Fakt ist, dass jedoch bereits kleine Mädchen teilweise schon in Kindergärten Kopftücher tragen müssen, obwohl dies erst ab Eintritt der Geschlechtsreife (bis zur Menopause) religiös vorgeschrieben ist.
Allerdings sollten alle diese "seltsam anmutenden Riten" nie mit Zwang oder familiärem Diktat/Druck ausgeführt werden. Wie dies allerdings mit der aktuellen Politik gewährleistet werden soll, bleibt mir so schleierhaft, wie ein Saudi-arabischer Niqab...
Elfi Globisch am Permanenter Link
Die Gesellschaft erträgt gerne Riten der verschiedensten Religionen solange sie nicht wesentlich in ihren eigenen Werten verletzt wird.
valtental am Permanenter Link
"Frau Akgün machte an einem Beispiel deutlich, dass nicht nur die Politiker, sondern auch ein Großteil der Bevölkerung viel zu wenig über die Religion "Islam" wissen.
Sollte Frau Akgüns Position in diesen Zeilen richtig wiedergegeben worden sein, muss man sie fragen, ob sie denn nicht über die Rechtslage informiert ist? Alle ihre oben aufgezählten Wünsche an einen Reli-Unterricht stehen dieser diametral entgegen. Dies stellte erst vor einem Jahr (16.4.2014) das BVG wieder klar, in dem es die schon über Jahrzehnte bestehnde Defintion von Reli-Unterricht wortwörtlich bestätigte:
"Demgegenüber handelt es sich beim Religionsunterricht, wie ihn Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG normiert, um eine Veranstaltung zur Glaubensunterweisung. In ihm sind die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft als bestehende Wahrheit zu vermitteln. Der Religionsunterricht ist in konfessioneller Positivität und Gebundenheit zu erteilen. Er zielt nicht auf eine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, ist nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte (BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1987 - 1 BvR 47/84 - BVerfGE 74, 244..." (http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=160414U6C11.13.0)
Theodor Ebert am Permanenter Link
Warum werden die von Ralph Ghadban kritisierten vier großen Islamverbände nicht namentlich erwähnt?
Hans Trutnau am Permanenter Link
"so Akgün, führe an der theologischen Diskussion über und um den Islam kein Weg vorbei."
Theologisch? Was soll dabei Anderes herauskommen?
Oder vielleicht philosophisch?
Gebe zu, der letztgenannte Weg ist am schwierigsten.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Gebe zu, der letztgenannte Weg ist am schwierigsten."
Aber letztlich der einzig wirklich gangbare und zielführende. Alles andere ist Herumgeeiere und künstliche Verlängerung der sinnlosen Qual.