BERLIN. (hpd) Immer stärker werden die Stimmen aus der muslimischen Community in Deutschland, die sich kritisch gegen die konservativ-orthodoxen Islamverbände richten. Die Verbände befürchten unterdessen, um den Anerkennungslohn ihrer langjährigen Lobbyarbeit gebracht zu werden; sie wollen alleinige Ansprechpartner für den Staat in Sachen Religionsunterricht und Anerkennung als Körperschaften sein und diffamieren ihre innerinslamischen Kritiker.
Es geht, das zeigt sich immer klarer, um Deutungshoheit darüber, was Islam in Deutschland bedeutet, und wer "die islamische Autorität" in Deutschland sein wird. Von dem Ausgang dieser Auseinandersetzung hängt vieles für die Mehrheits- und die Minderheitsgesellschaft ab, führt Dr. Abdel-Hakim Ourghi in einer Exklusivstellungnahme für den hpd aus.
Er warnt vor einer (konservativ-islamischen) Parallelgesellschaft und hält der deutschen Politik Verfehlungen vor, die eine Weiterentwicklung des Islams zu einem modernen humanistischen und säkularen Islam verhinderten. Die bisherige Politik des Hofierens der orthodox-konservativen Verbände muss korrigiert werden. Nicht auf eine Minderheit, sondern auf die Mehrheit der Muslime in Deutschland ist Orientierung geboten. (W.O.)
Eine unheilige Allianz mit desaströsen Folgen
Auf der zweiten Sitzung der Deutschen Islamkonferenz teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit, “dass die muslimischen Verbände Brückenbauer für die neuen Flüchtlinge in Deutschland” seien. Gerade die Moscheen bzw. Hinterhofmoscheen könnten über die inzwischen sehr umstrittenen islamischen Verbände (DITIB, Zentralrat der Muslime, Islamrat und Verband der Islamischen Kulturzentren) bei der Integration von Flüchtlingen aus islamischen Ländern einen zentralen Beitrag leisten. Dabei liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, dass die von der Türkei und Saudi-Arabien gesteuerten konservativen Dachverbände “Vorbild für die Integration” von derzeit unzähligen muslimischen Asylsuchenden in Deutschland sein sollen.
Konservative islamische Dachverbände stehen für Segregation
Denn aus dieser “unheiligen Allianz”, zwischen den politischen Entscheidungsträgern und den Dachverbänden, werden gewiss nur die konservativen Wortführer der muslimischen Glaubensgemeinschaften Nutzen ziehen, die dadurch die ersehnte Anerkennung als offizielle Ansprechpartner des Staates ernten, obwohl sie weniger als 20 Prozent der ca. 4,3 Millionen hier lebenden Muslime vertreten. Basierend auf Meinungsfreiheit und Demokratie, möchten die Dachverbände als Sprach- und Kulturdolmetscher bei der Unterstützung der Flüchtlinge fungieren – das wäre ein fataler Fehler mit unvorhersehbaren Folgen, dessen Strategie keine Probleme löst, etwa den hier bereits etablierten konservativen Islam und die Radikalisierung von Jugendlichen, sondern diese vielmehr auf ungewisse Zeit verlängert. Unter dem Deckmantel der politischen Partizipation und der sozialen Integration wird im Namen der Politik eine Segregation auf hohem Niveau betrieben.
Konservative Verbände streben Dominanz der Islamdeutung an
Die bereits existierende Parallelgesellschaft der Muslime in einigen deutschen Städten wird durch die Einbindung der systematischen Lobbyarbeit der Dachverbände verharmlost. Und die Betreuung der Flüchtlinge unter ihrer Obhut wird diese Gegengesellschaft vergrößern. Freilich geht es den Wortführern der muslimischen Glaubensgemeinschaft nicht um die Interessen der Muslime, sondern eher um die Macht ihrer konservativen Autorität bei der Islamdeutung und deren funktionaler Etablierung in der Öffentlichkeit. Inzwischen verstärkt sich die Konkurrenz zwischen den muslimischen Dachverbänden durch die Anwerbung der neuen muslimischen Ankömmlinge ihre Mitgliederzahl zu vergrößern. Verlierer werden gewiss die türkischen Dachverbände sein – erstens wegen der zwielichtigen, islamisierenden Politik der Türkei und zweitens, weil sich die Syrer nicht durch Türken vertreten lassen wollen. Besonders den muslimischen Dachverbänden kann man gravierende Integrationsdefizite vorwerfen vorweisen, denn erstmal sollten sie sich um die Integration ihrer Mitglieder kümmern, etwa die DITIB-Sympathisanten des Islamischen Staats (IS) in Dinslaken. Ihr ständiger Absolutheitsanspruch des Islams gegenüber anderen Religionen und die manipulativ zum Ausdruck gebrachte weinerliche Opferhaltung werden gewiss keinen Beitrag zur Integration der Flüchtlinge leisten. Bedenklich ist auch, dass die Integrationspolitik wieder über die Religionszugehörigkeit konzipiert wird. Dies wird, meiner Überzeugung nach, gewiss nicht von Erfolg gekrönt sein.
Flüchtlinge nicht durch konservativen Islam bevormunden lassen
Der Minderheits- wie auch der Mehrheitsgesellschaft wird damit keinen Gefallen getan. Was die Flüchtlinge brauchen, ist sicherlich nicht die Bevormundung durch Wortführer des konservativen Islams, sondern eine verantwortungsvolle Politik und Engagement bei der Lösung der politischen Situation vor Ort in Syrien, im Irak und in Afghanistan. Die Opfer der Kriege in diesen Krisenländern fliehen nicht nur vor den politischen Diktaturen der muslimischen Despoten, sondern auch vor dem Islam in seinen archaischen und althergebrachten Formen. Deshalb darf ihr Schicksal nicht vom konservativen Islam mitentschieden werden. Sie haben es, meiner Meinung nach, nicht verdient, auch hier wieder von konservativen muslimischen Kräften, wie den Dachverbänden, im Namen der Integration bevormundet zu werden.
12 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ja, in dem Kommentar von Prof. Dr. Ourghi steht viel Wahres. Vor allem die fatale Rolle der konservativen Islamverbände und ihre Strategie hat er treffend charakterisiert.
Nur - und jetzt kommt wieder mein "nur" - konnte mir bis heute niemand erklären, was denn ein Islam ohne politische Macht sein soll. Sinnstiftend? Natürlich kann der Glaube an einen "Gott" ein Leben mit Sinn erfüllen. Zumindest, wenn man dafür bezahlt wird. Ansonsten hat jedes Leben genau den Sinn, dem man ihm selbst verleiht.
Das Christentum geht daran zugrunde - und dieser Prozess ist unaufhaltsam -, weil es eben in den meisten Industrienationen keine staatstragende Funktion mehr hat. Die Glaubensinhalte haben sich als leer herausgestellt, weshalb sich Kirchen mehr und mehr zu Insolvenzverwaltern ihrer Bauten und Strukturen wandeln. Ja, selbst Gläubige wenden sich mehr und mehr von der Amtskirche ab, weil sie lieber ihre Privatversion von "Gott" oder Jesus leben wollen.
Dieses Schicksal droht natürlich auch den Islamverbänden und sie haben den Niedergang der christlichen Kirchen als abschreckendes Beispiel vor Augen. Eine humanistische Religion an sich ist ein Paradoxon, weil sich Religionen durch ihre Hinwendung zu "Gott" auszeichnen und nicht durch ihr zentrales Interesse am Menschen.
Da, wo christliche Kirchen Letzteres beherzigen, verlieren sie zunehmend ihre Mitglieder, weil Menschendienst - im Gegensatz zu Gottesdienst - von jedem, auch von Atheisten oder echten Humanisten, geleistet werden kann.
Ich teile also die politischen Konsequenzen, die Prof. Ourghi fordert, voll und ganz. Seine Warnung ist richtig. Ich bleibe nur skeptisch, woraus der dann übrig bleibende "Glaube", der angeblich humanistisch sein soll, bestehen soll.
Vor allem: Kann ein humanistischer, toleranter, pluralistischer Islam mit dem einzigen Koran, den die Welt bis heute kennt, überhaupt realisiert werden? Kenner der Materie, wie Hamed Abdel-Samad, sagen dazu ganz klar Nein! Dem schließe ich mich an.
johann zirkowitsch am Permanenter Link
Das entspricht vollkommen der österreichischen Situation.
David am Permanenter Link
Eine Stimme der Vernunft. Herzlich Willkommen. Ich wūnschte, man wūrde mehr von Herrn Ourghi hören/lesen.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Eine Lösungsmöglichkeit, die ich bevorzuge, ist die Rücknahme der Privilegien der christlichen Großkirchen wie Körperschaftsstatus, Mitgliedsbeitragsinkasso durch Arbeitgeber / Finanzamt und Recht zur Indoktrination a
Walter Otte am Permanenter Link
Stimme Ihrer "Lösungsmöglichkeit" vollständig zu, aber dafür brauchen wir politische Mehrheiten, für die wir eintreten sollten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"ein moderner und humanistischer Islam" - aha?
Wie sieht der aus? Was bleibt dann von 'dem' Islam übrig?
Ich bleibe dabei - Religion ist Privatsache.
hans schulze am Permanenter Link
Herr Trutnau, Sie sind vermutlich kein Muslim. Also überlassen Sie doch Ihre Wahrsagung / Befürchtung, was vom Islam übrig bleiben könnte, einfach den Muslimen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"... überlassen Sie doch Ihre Wahrsagung / Befürchtung, was vom Islam übrig bleiben könnte, einfach den Muslimen."
Ihre Position wäre nachvollziehbar, wenn der Islam für alle Muslime bereits Privatsache wäre - privat auf das Individuum bezogen.
Ihre Position wäre gerade noch nachvollziehbar, wenn Muslime ausschließlich in islamischen Ländern wohnen würden.
Doch beides ist nicht der Fall. Der Islam wird nicht als Privatsache behandelt, sondern höchst öffentlich. So wirkt er außerhalb der islamischen Gemeinden und innerhalb der Gemeinden. Nach außen ist eine große Bandbreite des Verhaltens der westlichen Gesellschaft gegenüber zu beobachten. Von westlich angepasst bis muslimisch (also rechtgläubig im Sinne des Islams, basierend auf dem Koran und evtl. der Sunna)
Nach innen gibt es Einwirkungen islamisch Gläubiger auf Dritte, z.B. auf Familienangehörige: Bekleidungs- und Speisekontrolle für Kinder (auch volljährige), genitale Verstümmelung für Knaben (seltener auch Mädchen), Verhaltenskontrolle für alle Familienmitglieder, die die grundgesetzliche Selbstbestimmung des Menschen, evtl. sogar seine Würde verletzen. Auch dies gibt es in unterschiedlich intensiven Formen, jedoch würde ich einen Familienvater, der seine Jungs nicht beschneiden und seine Töchter ohne Kopftuch und lange Mäntel herumlaufen lässt, der nicht den Umgang jugendlicher Kinder auf eine bestimmte Ethnie und Religionszugehörigkeit begrenzt, der seiner Frau als gleichberechtig wahrnimmt, nicht unbedingt als strenggläubigen Moslem bezeichnen.
So, wie viele Christen inzwischen auch nicht mehr viel darauf geben, wenn der Papst ihnen rät, die eigenen Kinder würdevoll zu schlagen oder keine Kondome zu benutzen. Diese an die Moderne angepassten Muslime - sicher die Mehrheit - brauchen keine Reform des Islams, die brauchen gar keinen mehr (höchstens als Lippenbekenntnis, um nicht anzuecken).
Eine Reform bräuchten ausgerechnet die, die definitiv keine Reform wollen. Und solange diese Gläubigen in negativer Weise auf Dritte in unserem Land einwirken (ich würde dies sogar auf Menschen im Ausland beziehen - alles andere ist für mich unterlassene Hilfeleistung), sind wir verpflichtet, im Rahmen unserer Möglichkeiten, die der Rechtsstaat definiert, hier auf Reformen zu drängen.
Menschen, die in ideologischen Systemen feststecken, haben oft genug nicht genügend Abstand zur Materie, um zu erkennen, was notwendig ist. Und wenn dann unsere amtierende Politik die konservativen Islam-Verbände hofiert und stark macht, wird das falsche Signal an die muslimischen Gemeinden gesendet. So wird es jedenfalls nie eine Reform geben und gerade die Menschen innerhalb der Gemeinden leiden unter dieser archaisch-patriarchalen Lebensweise. Eine Flucht ist wegen drohender Ausgrenzung praktisch ausgeschlossen, unter Umständen sogar lebensgefährlich. Wie gesagt: Ich meine nicht die liberalen und angepassten "Muslime".
Es geht also nicht um Intelligenz, es geht um Hilfestellung von außen. Aber wir können gerne Prof. Khorchide tatenlos beim Scheitern seines "humanistischen Islams" zusehen, so wie Sven Kalischs Versuch vorher scheiterte. Wenn das irgendwie weiterhilft...
Hans Trutnau am Permanenter Link
Werter hans schulze, welche Wahrsagung denn?
Ich habe neben meiner Ansicht über die Privatsache, ausgehend von einer Aussage des Artikels, nur Fragen gestellt.
valtental am Permanenter Link
Wenn Herr Ourghi vor den Konservativen warnt (wobei man nur zustimmen kann), kämpft er sicher auch um seine staatlich alimentierte Existenz am Lehrstuhl in Freiburg.
Die Befürworter von islamischen Lehrstühlen an dt. Unis stecken in einer verfassungsrechtlichen Zwickmühle: Ohne anerkannte Religionsgemeinschaft sind die bisher eingerichteten Stellen streng gesehen illegal und werden vorerst nur über Hilfsgremien scheinlegitimert (s. NRW). Allerdings kann man so noch bestimmen, wer dort auf Staatskosten zu Gottes ewigen Ratschlüssen "forschen" darf. Zur Beendigung dieser eigentlich verfassungswidrigen Praxis brauchte man islam. Religionsgemeinschaften, bei denen der Staat aber dann genauso keinen Einfluss mehr auf die Besetzung hätte, wie bei den Theologielehrstühlen der Christen.
Eigentlich beantwortet die Wissenschaft diese Frage grundsätzlich: Wer die Existenz seines Forschungsgegenstandes auf Dauer nicht nachweisen kann, hat an Universitäten nichts zu suchen, und betreibt Pseudoforschung. Alles Religiöse jenseits von vergleichender Religionswissenschaft sollte daher vom Staat auch nicht mehr bezahlt werden.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Bemerkenswert ist, dass sich mehr und mehr insbesondere »Insider« zu Wort melden, Menschen, die aus intimer Kenntnis des Islam berichten und von den Ländern, in denen der Islam zeigt, was ein Gottesstaat nach den Norm
Abdel-Hakim Ourghi hat Recht, die Kirchen schließen um des Selbsterhalts willen Bündnisse mit dem Islam, zuvörderst mit den erzkonservativen Verbänden. Sie hoffen auf diese Weise, die angeblich lebenswichtige Rolle von Glauben und Religion wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen zu heben und die Phalanx gegen die verhassten Säkularen, Atheisten und Humanisten zu stärken. Und unsere regierenden Politiker wollen diese unheilig Allianz offenbar bewusst, sind sie doch in ihrer Mehrheit der verlängerte Arm der Kirchen und haben kräftig mitgewirkt an der Etablierung der »Kirchenrepublik Deutschland«.
Ulrich Hundertmark am Permanenter Link
Die "konservativ- islamische Parallelgesellschaft ist doch -zumindest in den Großstädten- schon seit mindestens 15 Jahren Fakt. Aber was ja nicht sein darf -kann nicht sein! ...