Kortizes und bfg Fürth

Esoterik- und Religionskritik über den Dächern von Fürth

In der Reihe "Geist in Fürth 2019" stellten Burger Voss, André Sebastiani und Michael Schmidt-Salomon ihre neuen Bücher vor, in denen es um den gesellschaftlichen Wert von Atheisten, haarsträubende Aspekte der Anthroposophie und hilfreiche Erkenntnisse für den richtigen Umgang mit sich selbst geht.

Im Café Terrazza im 4. Obergeschoss der Volksbücherei Fürth mit seinem spektakulären Blick über die Innenstadt lasen die Autoren an drei aufeinanderfolgenden Dienstagabenden Ende Mai bis Anfang Juni aus ihren neuen Büchern. Veranstaltet wurde die Reihe "Geist in Fürth 2019" vom Bund für Geistesfreiheit (bfg) Fürth in Kooperation mit dem Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes.

Ausgeglaubt! Warum Atheisten für die Gesellschaft wertvoll sind

Den Anfang machte am 21. Mai Burger Voss, der vor etwa 50 Interessierten sein 2018 bei Tectum erschienenes Buch "Ausgeglaubt! Warum Atheisten für die Gesellschaft wertvoll sind" vorstellte. Es ist das zweite Buch des Lebensmittelchemikers mit dem Hamburger Zungenschlag, der bei Youtube unter dem Namen "Ze German Scientist" firmiert. Beim ersten Buch mit dem Titel "Vom Anfang und Ende aller Dinge: Eine Entdeckungsreise durch die Geschichte der Wissenschaften" (2015) hatte noch die Wissenschaft im Zentrum gestanden und der Atheismus bekam ein Kapitel. Im neuen Buch ist es nun umgekehrt.

Die Wissenschaft bezeichnete Voss als das "Beste, was wir haben", um Denkfehler von Einzelnen zu eliminieren und räumte dabei mit einer Fehlvorstellung auf: "Wissenschaftler sind außerhalb ihrer Fachgebiete genauso religiös und esoterisch wie ihre Zeitgenossen", erklärte er. Der Wert der Wissenschaft stützt sich daher nicht auf den Guru-Status Einzelner, sondern auf die Methode des Erkenntnisgewinns. Individuelle Forscher seien keine Rationalitätsmaschinen, die Wissenschaft als Ganzes schon. Deswegen sei es auch – anders als Gläubige oft denken – völlig ohne Belang, was Einstein oder Heisenberg über Gott gesagt haben.

Burger Voss, Foto: Hansjörg Albrecht
Burger Voss, Foto: Hansjörg Albrecht

Hauptanliegen von Voss war die Vermittlung der Erkenntnis, dass die weitverbreitete Indifferenz im Umgang mit Religion gesellschaftlich nicht reicht, um religiös verursachten Fehlentwicklungen zu begegnen. Es brauche einen atheistischen Aktivismus. Gemeint sei damit explizit kein Atheismus "von oben" wie in China oder Nordkorea, sondern im Gegenteil eine offene Debatte ohne Vorgaben oder Tabus. "Jeder hat das Recht auf Bullshit im Leben", betonte er. Dieser darf jedoch im Umgang miteinander nicht unantastbar bleiben. Religiöser Argumentation müsse etwas entgegengesetzt werden.

Die Notwendigkeit dafür zeigt sich für Voss etwa im Tod schwangerer Frauen, die nur deswegen sterben, weil Ärzte sich aus religiösen Gründen gegen medizinisch eigentlich indizierte Abtreibungen entschieden, wie das unter christlich-fundamentalistischem Einfluss passiere. Weil es so etwas gebe, dürften Religionen nicht vor Kritik geschützt sein. Umso bedenklicher findet Voss, dass Linke sich bei Religionskritik vor den Islam werfen, weil sie notwendige Kritik an religiösen Ideen und Vorstellungen nicht von der selbstverständlich abzulehnenden pauschalen und undifferenzierten Muslimenfeindlichkeit unterscheiden.

Für Voss haben Atheisten die wichtige gesellschaftliche Aufgabe, religiöse Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Oft genug stellten sich diese sogar nur als scheinbare Selbstverständlichkeiten heraus, die die Mehrheit eigentlich ablehnt. Dies sei jedoch niemandem bewusst, weil Menschen sich nicht trauten öffentlich darüber zu reden, wenn alle eine Norm für allgemein akzeptiert hielten. Die Funktion von Atheisten bestehe etwa in der Aufdeckung solcher sogenannter pluralistischer Ignoranz. Ihr öffentlicher Widerspruch habe auf das Phänomen die gleiche Wirkung wie ein kleiner Ruck auf metastabiles Wasser, verdeutlichte Voss. Manchmal bleibt nämlich Wasser trotz Minusgraden flüssig. Doch eine Erschütterung reicht, um es in Gänze zu Eis erstarren zu lassen.

Anthroposophie. Eine kurze Kritik

Am 28. Mai stellte der Bremer Grundschullehrer und Skeptiker André Sebastiani vor einem Publikum von etwa 30 Interessierten sein Buch "Anthroposophie. Eine kurze Kritik" vor, das Anfang des Jahres bei Alibri erschienen ist. Das GWUP-Mitglied hatte schon 2011 in der Verbandszeitschrift "Skeptiker" einen vielbeachteten Beitrag mit dem Titel "Versteinerte Erziehung" geschrieben. Im Buch gibt er nun einen vertieften Einblick in Rudolf Steiners Lehre, ihre Geschichte und ihre Auswirkungen in der Praxis.

Wie Sebastiani im Vortrag erläuterte, bleiben die kruden Vorstellungen des Anthroposophie-Begründers nämlich keineswegs auf die Theorie beschränkt, sondern haben reale Auswirkungen für das alltägliche Handeln in Waldorfpädagogik, biologisch-dynamischer Landwirtschaft und anthroposophischer Medizin.

So folgen für die Pädagogik aus der Anthroposophie sehr genaue Vorgaben, wann welche Inhalte im Lehrplan zu vermitteln sind. In Waldorfschulen gelten solche Regeln wie: Kein Schriftspracherwerb vor dem Zahnwechsel! Und: Ab der Bildung des "Astralleibes" in der Pubertät darf zwar Wissenschaftliches vermittelt werden, aber noch keine Kulturkritik! Während man so etwas vielleicht noch als schrullig abtun könnte, ist die Absage an kritisches Denken bedenklicher. Denn die aus Sicht der Anthroposophie wünschenswerte Haltung des Schülers gegenüber dem Lehrer sei heilige Scheu und Ehrfurcht. Anzustreben ist in der Waldorfpädagogik ein Verhältnis zur Lehrkraft, in dem Opposition nicht vorkommt und die Kinder der Autorität stets folgen – und zwar "aus Liebe" und nicht etwa, weil gute Argumente vorgebracht wurden, so Sebastiani.

André Sebastiani, Foto: Hansjörg Albrecht
André Sebastiani, Foto: Hansjörg Albrecht

Noch gruseliger wird es in der anthroposophischen Medizin. Im Umgang mit Infektionskrankheiten etwa werde vermittelt, dass die "Bergtour" einer Krankheit bei Kindern stets das Immunsystem stärke und einen Entwicklungsschub auslöse – obwohl empirische Evidenz etwa bei Masern genau das Gegenteil zeigt. Keine Verantwortung werde für Kinder übernommen, die diese "Bergtour" nicht überstehen. Sebastiani berichtete hier von erschütternder Gleichgültigkeit gegenüber Todesfällen.

Eine Ursache dafür sei der anthroposophische Glaube an Reinkarnation und Karma. Er führe dazu, dass Kranken und Behinderten die Schuld an ihrem Zustand zugeschrieben werden kann, wie Sebastiani darlegte. Denn alle Leiden sind aus Steiners Sicht durch falsches Verhalten der Menschen in früheren Leben verursacht, etwa durch Lügen. Das gelte auch für die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten. Wer stirbt, ist also selbst schuld, hat aber ja im nächsten Leben eine neue Chance zum Wachstum und zur Überwindung seiner Fehler, so das zynische Denken.

Entspannt euch! Eine Philosophie der Gelassenheit

Zum Abschluss der Reihe am 4. Juni stellte gbs-Vorstandssprecher Dr. Michael Schmidt-Salomon vor einem vollbesetzten Auditorium von etwa 80 Gästen sein neues Buch vor. "Entspannt euch! Eine Philosophie der Gelassenheit" ist im Frühjahr bei Piper erschienen. Auf der Grundlage des evolutionären Humanismus ergründet der Philosoph darin, welche Erkenntnisse und Überzeugungen Menschen zu einem möglichst guten Umgang mit sich selbst und anderen verhelfen.

Sowohl übermäßige Scham als auch übermäßiger Stolz etwa relativierten sich, wenn wir uns bewusst machten, dass wir unser Leben viel weniger kontrollierten als wir meinen, so Schmidt-Salomon. Es sei hilfreich sich klarzumachen, dass sowohl unsere Erfolge als auch unsere Misserfolge Produkte der Umstände und des jeweils aktuellen Zustands unseres Gehirns seien. Beides sei für den Moment gegeben und nicht beeinflussbar. Denn – wie Schopenhauer sagte – Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will.

Dr. Michael Schmidt-Salomon, Foto: Karin Becker
Dr. Michael Schmidt-Salomon, Foto: Karin Becker

Wie Schmidt-Salomon herausstellte, betrifft das Nicht-Vorhandensein eines freien Willens jedoch nur die Gegenwart. Zwar könnten wir in jedem Moment nur so fühlen, denken und handeln, wie wir es eben tun. Durch neue Informationen und Einflüsse kann der Zustand unseres Gehirns jedoch eine Minute später schon anders aussehen und andere Bewertungen, Entscheidungen und Handlungen verursachen. Neuronale Programme seien zwar deterministisch, aber ja von Sekunde zu Sekunde umprogrammierbar. Aus dem Nicht-Vorhandensein eines freien Willens kann also keineswegs ein fatalistischer Glaube an Schicksal und Vorbestimmung gefolgert werden.

Dass es keinen freien Willen gibt, sei zwar Kränkung, aber auch Befreiung, argumentierte Schmidt-Salomon. Die Einsicht darin könne Grundlage sein für eine nachsichtige, bescheidene und humorvolle Haltung zum Leben, wie sie etwa auch Einstein aus der deterministischen Weltsicht entwickelte. Schmidt-Salomon ist überzeugt, dass diese Erkenntnis Menschen hilft, Balance zu halten, Selbstüberschätzung genauso zu vermeiden wie übertriebene Versagensängste, sich unabhängig zu machen von der Meinung der Masse, aber trotzdem offen zu bleiben für berechtigte Kritik.

Von zentraler Bedeutung für einen guten Umgang mit sich und anderen ist aus Schmidt-Salomons Sicht zudem die Kunst, sich und anderen zu verzeihen sowie das Widerstehen der Versuchung, das Böse nur im Gegenüber zu sehen und ihn zum Sündenbock zu machen. Schmidt-Salomon warnte vor einem Moralisieren, das unser Urteilsvermögen trübt, und vor Realitätsverzerrungen im dem Sinne, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sei nicht Empörung in kindlicher Naivität gefragt, sondern vielmehr "brennende Geduld", um Verbesserungen langfristig voranzutreiben.


Mit dieser Reihe setzte der bfg Fürth seine Vortragsaktivitäten fort, die er im letzten Jahr mit der gut besuchten Buchvorstellung von Philipp Möller begonnen hat.

Informationen zum bfg Fürth – wie etwa die Termine des monatlich stattfindenden Stammtisches – sind unter bfg-fuerth.de verfügbar.

In Kooperation mit dem Planetarium Nürnberg und den Nürnberger Nachrichten bietet Mitveranstalter Kortizes bis zur Sommerpause noch drei Vorträge mit dem Schwerpunkt Verschwörungstheorien an.

Am kommenden Dienstag, 2. Juli 2019, spricht in der Reihe "Vom Reiz des Übersinnlichen" der Astronom und Wissenschaftsvermittler Dr. Florian Freistetter zum Thema 50 Jahre Mondlandung – 50 Jahre Lüge?.

In der Woche darauf, am 9. Juli, wird der Virologe Prof. Dr. Klaus Überla den Impfmythen evidenzbasierte Analysen entgegensetzen.

Am 16. Juli stellt der Skeptiker Bernd Harder Ursachen und mögliche Strategien im Umgang mit der "Postfaktokalypse" vor.

Im September findet dann das Physik-Symposium statt. Das Thema: "Unbestimmt und relativ? Das Weltbild der modernen Physik". Für die Veranstaltung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg kooperieren die Heisenberg-Gesellschaft und die Arbeitsgruppe Philosophie der Physik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) mit dem Institut für populärwissenschaftlichem Diskurs Kortizes. Helmut Fink hat dafür ein hochkarätig besetztes Programm für physikalisch und philosophisch interessierte Menschen zusammengestellt. Expertinnen und Experten aus Physik und Philosophie erklären Grundbegriffe und Erkenntnisfortschritte zu Raum, Zeit und Materie. Information und Anmeldung unter physik-symposium.de/.