Immer wieder kommt es vor, dass Kirchensteuern über lange Zeiträume hin rückwirkend erhoben werden sollen. Manche Betroffene wehren sich jedoch juristisch. Ein solcher Fall wird am kommenden Donnerstag in Berlin verhandelt.
Der hpd berichtete bereits wiederholt über die Problematik der Rasterfahndung der beiden Großkirchen nach Kirchenmitgliedern in Berlin. Auch Der SPIEGEL 29/2019 griff kürzlich einen Fall zur Kirchensteuer-Rasterfahndung bis tief in die DDR-Zeit auf. Unter der Überschrift "Denen geht es um nichts anderes als Geld" (Online, Paywall) und "In der Seelenkartei" (Print, S. 40–41) schreibt SPIEGEL-Korrespondent Dietmar Hipp über den Fall, in dem eine Frau ihr Leben lang als Konfessionslose lebt und dann mit 58 Jahren erfährt, dass sie als Säugling in der DDR getauft wurde und Kirchensteuer nachzahlen soll.
Dieser vom Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) betreute Prozess läuft seit 2015. Nun endlich, nach vier Jahren, hat das Verwaltungsgericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt.
Interessierte und Betroffene können am kommenden Donnerstag, 12. Dezember um 12 Uhr, an der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin teilnehmen. Den Sitzungssaal entnehmen Sie bitte am Sitzungstag dem Terminaushang im Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes. (Aktenzeichen VG 27 K 292.15 | Frau X gegen Evangelische Kirche)
Auch ifw-Direktoriumsmitglied und der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) Michael Schmidt-Salomon wird an der Verhandlung teilnehmen. Schmidt-Salomon: "Ich bin schon sehr gespannt auf den Prozess. Der Fall veranschaulicht, welch absurde juristische Sachverhalte entstehen, wenn für die staatliche Anerkennung von Kirchenmitgliedschaften allein auf eine Taufe unmündiger Säuglinge abgestellt wird. Die jeweilige Person müsste im religionsmündigen Alter schriftlich bestätigen, dass sie Mitglied der Kirche (und der damit gegebenenfalls verbundenen Steuergemeinschaft) sein möchte! Die Anzahl der Kirchenmitglieder würde hierdurch auf ein Niveau fallen, das der tatsächlichen Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft entspricht. Die geltenden staatlichen Austrittsregelungen tragen dem Willen und dem Selbstbestimmungsrecht des Kirchenmitglieds nicht hinreichend Rechnung, wenn sie die Nichtteilnahme an der Firmung oder der Konfirmation ignorieren."
Diese Fragen werden am Donnerstag vom Gericht erörtert werden. Ziel des Verfahrens ist es darüber hinaus, die Rasterfahndung der Kirchen erstmalig als Verstoß gegen die nationalen und europäischen Datenschutzgesetze zu qualifizieren und die in Berlin gängige Praxis der Ansiedlung der Kirchensteuerstellen in den Finanzämtern als verfassungswidrigen Verstoß gegen das Trennungsgebot zu beenden. Überdies geht es um die Frage, ob die Übersendung des Fragebogens zur Feststellung der Kirchenzugehörigkeit in der praktizierten Form als Amtsanmaßung der Kirche strafrechtlich relevant ist. Denn die Kirche stützt sich insofern auf die Abgabenordnung. Nach der Abgabenordnung und der Verfassung ist jedoch lediglich die staatliche "Finanzbehörde" berechtigt, den Sachverhalt zu ermitteln.
Parallel zu den juristischen Auseinandersetzungen wird sich das ifw auch rechtspolitisch weiter für eine Reform des staatlichen Kirchensteuerrechts einsetzen. Rückenwind erhält es womöglich durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts am Donnerstag.
Siehe dazu auch:
14 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Na hoffentlich werden da mal Nägel mit Köpfen gemacht damit die Habgier der Kirchen mal einen Dämpfer bekommt.
Thomas B. Reichert am Permanenter Link
Wie bitte? Da möchte eine kriminelle Vereinigung Geld von einem Bürger und da er diese nicht zahlen möchte wird er verklagt? Der Bürger sollte den Spies umdrehen und das blutige Geld seiner Ahnen zurückverlangen.
M. Landau am Permanenter Link
»Kirchensteuer«, das ist irgendwie finsteres Mittelalter in der Gegenwart.
Thomas R. am Permanenter Link
"Schätzungsweise 14 Millionen Tote haben wir diesem religiösen Irrsinn zu »verdanken«."
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M. Landau am Permanenter Link
>>Wie kommen Sie denn auf diese mickrige Zahl?
Gilt oder galt mal, soweit mir bekannt ist, als "offizielle Größe" - dieses berühmt-berüchtigte "historisch gesichert", wie es heißt. Mir geht es allerdings ähnlich wie Ihnen, diese Zahl erscheint auch mir bis bis aufs Äußerste geschönt. Inwiefern die Protagonisten der heiligen mörderischen Mission am Zustandekommen der Opferzahl beteiligt waren, werden wir sowenig erfahren wie die bestialische "Dunkelziffer" dahinter. Was Sie da vorschlagen mutet auf den ersten Blick zwar grotesk an - Milliarden, das hat etwas inflationäres an sich - aber, mit etwas Abstand, genauerer Betrachtung und Überlegung (einfaches Kopfrechnen reicht hier schon) und unter Berücksichtigung von Zeit (1600-1700 Jahre) und Raum (insgesamt weltweit), sind Sie näher dran als die famosen "offiziellen" Zahlen (stammen noch aus meiner Studentenzeit; ist 'ne Weile her). Die Ethiklosigkeit dieser Gestalten ist dort Programm. Religiöse Protagonisten waren zu allen Zeiten frei von jedem Skrupel und sind das noch. Absolut jedes Mittel ist ihnen Recht und das setzen sie, ohne jede Hemmung, rücksichtslos durch. Die "heiligen Schrift" ist deren Freibrief für alle Zeit und überall. Amen.
Jana Steinhaus am Permanenter Link
Es ist zu befürchten, dass das Gericht hier keine Gerechtigkeit walten lassen, sondern gemäß seiner Aufgabe Recht sprechen wird.
Hier wird dann - wie der Artikel beschreibt - die eigentliche Aufgabe beginnen, nämlich wie bei §§217, 218, 219 den gesellschaftlichen und schließlich politischen Prozess anzustoßen und voranzutreiben, diesem Recht ein Ende zu setzen. Gut, dass es das ifw gibt.
(Traurig-wütende Randbemerkung: Im Gegensatz zu den Sterbehilfeanträgen haben wir hier immerhin Fälle, deren Atem lang genug ist.)
Theo am Permanenter Link
Ich empfehle jedem der nach Deutschland zieht ungeschickt der Lage am Tag der Anmeldung bei der Stadt/Gemeinde auch eine Kirchenaustritterklärung abzugeben auch wenn man sich sicher ist das bereits getan zu haben in d
Ab Kirchenaustritterklärung kann keine Kirchensteuer rückwirkend mehr verlangt werden.
M. S. am Permanenter Link
Da müsste man doch eine Datenbank ähnlich der Robinson-Liste anlegen.
Stefan Dewald am Permanenter Link
Siehe auch diesen Artikel und den treffsicheren Kommentar: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2019/12/kirchensteuer-nach-saeuglingstaufe-rechtsstreit-berlin-brandenburg-schlesische-oberlausitz-verwaltungsgericht.ht
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Im 3. Reich (Carsten Frerk) wurde der Einzug der Kirchensteuer durch Staat und Arbeitgeber eingeführt. - Kein Wunder, dass der katholische Führer und Reichskanzler und größte Feldherr aller Zeiten Adolf H.
Marek Nowakowski am Permanenter Link
Die Klage der Frau Gabriele V. gegen die Evangelische Kirche wurde abgewiesen:
https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2019/pressemitteilung.875163.php
Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gestellt werden.
Ralph Sunseth am Permanenter Link
Na ist denn schon wieder der erste April ???
Das kann sich doch nur um einen Aprilscherz handeln.
Und dazu noch um einen der schlechten Sorte !!!
Habgierig bis zum abwinken und "bigott" dazu....
Ich bin froh, das ich seit den frühen 80er Jahren schon
nicht mehr dazu gehöre.
Edgar Schwer am Permanenter Link
Kinder sind nicht geschäftsfähig. Ohne die Zustimmung der Erziehungsberechtigten, sind geschlossene Verträge mit minderjährigen Kindern unwirksam.
Andreas Kyriacou am Permanenter Link
Das Berliner Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Betroffene sollte nun jeden Sonntag in einen Gottesdienst gehen und lautstark auf ihren Fall aufmerksam machen. Vielleicht würden die Gerichte so ab dem 10. Hausverbot anerkennen, dass sie nicht Kirchenmitglied ist.