USA: Beichtgeheimnis als Täterschutz

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Kirche in Manhattan
Kirche in Manhattan

Die Beichte gilt gemeinhin als Raum, in dem Täter über begangene Verbrechen sprechen können, ohne Polizei oder Staatsanwaltschaft zu fürchten. Wenn das Gesetz Priester nicht verpflichtet, die Behörden über derartige Geständnisse zu informieren, bleiben Taten wie sexueller Kindesmissbrauch lange unentdeckt. Deshalb versuchen US-amerikanische Politikerinnen und Politiker seit Jahren, neue Gesetze einzuführen, um diesem impliziten Täterschutz einen Riegel vorzuschieben. Derzeit müssen nur Berufsgruppen wie Ärztinnen und Ärzte, Lehrkräfte und in der Kinderbetreuung Tätige entsprechende Verdachtsfälle melden.

Ein solcher Gesetzentwurf ist der "Child Abuse Report Expansion (CARE) Act", der derzeit im Bundesstaat New York diskutiert wird. Er sieht vor, Geistliche gesetzlich zu verpflichten, der Kinderschutzbehörde jeden Missbrauchsverdacht zu melden. Bislang ist das Gesetz nicht verabschiedet, obgleich es bereits zweimal in den Senat eingebracht wurde. Doch die Zahl der Fürsprecher steigt. Bei einer Konferenz im St. Lawrence County Ende Oktober sprachen sich Kirchenvertreter für die Einführung des CARE-Gesetzes aus, und die Dachorganisation New York State Council of Churches beklagte auf Twitter, dass der Bundesstaat in dieser Frage hinter anderen, progressiven Staaten zurückbleibe: "In Illinois wurden Geistliche in den 1990ern zur Mitteilung verpflichtet, in Massachusetts Anfang der 2000er." Das CARE-Gesetz sei das erste, das 2023 verabschiedet werden müsse.

Einer der Befürworter ist Pfarrer James Galasinski von der Unitarian Universalist Church in der Stadt Canton. Auf einer Pressekonferenz sagte er: "Missbrauch sollte niemals geheim bleiben, denn wir wissen, dass er wahrscheinlich wieder passieren wird." Ihm zufolge wird der Gesetzentwurf von den unitarischen Geistlichen in New York unterstützt.

Ein interessanter Aspekt ist, dass der diskutierte Gesetzentwurf trotz der progressiven Stoßrichtung dennoch an veralteten Privilegien festhält. So sieht er vor, dass Geistliche den mutmaßlichen Missbrauch nicht melden müssen, wenn sie davon nur in der Beichte erfahren haben. Eine Pastorin namens Judith Van Kennan begrüßte diese Regelung, weil sie Geistliche davon entbinde, "ein ihnen als geistlicher Berater entgegengebrachtes Vertrauen preiszugeben." Andererseits sind sie verpflichtet, die Behörden zu informieren, wenn der Verdacht aus irgend einem anderen Grund besteht.

Organisiert wurde die Pressekonferenz von der Initiative CFC Too, die dem Leiter einer örtlichen Kirche vorwirft, in der Vergangenheit von mutmaßlichem sexuellem Kindesmissbrauch gewusst, aber von einer Meldung an die Behörden abgesehen zu haben.

Gesetzentwürfe durch religiöse Lobbygruppen abgeschmettert

Wie New York gehört auch Utah zu den 33 US-Bundesstaaten, in denen Geistliche von der Meldepflicht von mutmaßlichem sexuellem Missbrauch ausgenommen sind. Dort hat die Debatte um eine ähnliche Gesetzesänderung für Wirbel gesorgt, die jedoch die Beichte mit einbezog. Es waren vor allem Katholiken und Mormonen, die gegen den Gesetzentwurf mit der Bezeichnung "HB90" protestierten. Sie fürchteten einen unangemessenen Eingriff in die Religionsfreiheit, sahen die "heilige Privatheit der Beichte" bedroht. Die katholische Diözese Utah will im Jahr 2020 nach eigenen Angaben 9.000 Unterschriften gegen den Gesetzentwurf gesammelt haben.

Ungleich höheres Gewicht bei der Gesetzgebung kommt den Religionsvertretern mit Sitz in den legislativen Gremien zu. Hier sind vor allem Mormonen zu nennen, die dort fast 90 Prozent der Sitze haben, ferner Katholiken und Zeugen Jehovas. Die Nachrichtenagentur Associated Press geht von über 130 Fällen in den letzten 20 Jahren aus, bei denen entsprechende Gesetzentwürfe durch Lobbygruppen abgeschmettert wurden, darunter auch HB90.

In Maryland wurde die Änderung durch die Kampagne eines katholischen Kardinals verhindert, der später des Amts enthoben wurde – wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und erwachsenen Seminaristen.

Auch in Kalifornien, Missouri und New Mexico gab es Initiativen gegen Gesetzesänderungen. David Finkelthor, Chef des Crimes Against Children Research Center an der Universität von New Hampshire, beobachtet derartige Aktivitäten verschiedener religiöser Gruppen kritisch: "Sie glauben, dass sie sich auf einer göttlichen Mission befinden, die es rechtfertigt, den Namen und den Ruf ihrer Institution unberührt zu lassen. Deshalb hat die Führung eine hohe Hemmschwelle, Behörden, Polizei oder Kinderschutzbeauftragte einzuschalten."

Mitunter mit schrecklichen Folgen, wie im August ein Fall aus Arizona zeigte. Dort hielt ein Mormonen-Bischof die Aussage eines Gemeindemitglieds geheim, das den Missbrauch seiner fünfjährigen Tochter gestanden hatte. Die Vergewaltigungen setzten sich weitere sieben Jahre fort. Der Täter wurde erst verhaftet, als Behörden Videoaufnahmen im Internet entdeckten.

Auch in Deutschland keine Meldepflicht

Einige Stimmen sehen die Verschwiegenheitspflicht von Geistlichen durch das "First Amendment", den Ersten Zusatzartikel der US-Verfassung, gedeckt. Dieser verbietet die Verabschiedung von Gesetzen, die die Religionsfreiheit einschränken. Doch es gibt auch widersprechende Einschätzungen. Laut Michael Cassidy, Professor an der Boston College Law School und früherer Staatsanwalt, gibt es keinen eindeutigen Präzedenzfall, dass das Privileg für Geistliche in der Verfassung vorgeschrieben sei.

Indes kommt es immer wieder zu Einschüchterungskampagnen gegen Politikerinnen und Politiker, die sich für ein Ende des Privilegs einsetzen. Die demokratische Abgeordnete Angela Romero aus Utah, selbst Katholikin, machte sich für den Gesetzentwurf HB90 stark. Das brachte ihr Drohungen per E-Mail und in Sprachnachrichten ein, Familienmitglieder hätten sogar den Kontakt zu ihr abgebrochen.

Auch in Deutschland sind Geistliche nicht verpflichtet, anzuzeigen, was ihnen im Rahmen der Beichte anvertraut wurde. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gehe es dabei nicht etwa um ein Kirchenprivileg, sondern um das Recht des Menschen auf einen Ort der Privatheit. Auch bei schweren Verbrechen wie sexuellem Kindesmissbrauch.

Selbst wenn sich der deutsche Gesetzgeber zu einer Aufhebung dieser Vorschrift durchringen und den Schutz des Beichtgeheimnisses bei derartigen Taten aufheben würde – für katholische Priester bliebe alles beim Alten, wie der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier erklärt: Sie müssten dann die Strafe in Kauf nehmen. Sonst drohe die Exkommunikation.

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