Einen Tag nach dem Urteil, das den "Sterbehilfeverhinderungsparagraphen" 217 für nichtig erklärt hatte, fällte das Bundesverfassungsgericht gestern eine weitere Entscheidung im Sinne der weltanschaulichen Neutralität: Das Kopftuchverbot für juristische Referendarinnen ist verfassungsgemäß, bestätigten die Karlsruher Richter – mit einer Gegenstimme.
Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass man sich im Rechtsreferendariat weltanschaulich-religiös neutral zu verhalten habe, sei zu respektieren, hieß es in einer Pressemitteilung des Gerichts. Der Eingriff in die Glaubensfreiheit sei an dieser Stelle gerechtfertigt. "Als rechtfertigende Verfassungsgüter kommen die Grundsätze der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sowie die negative Religionsfreiheit Dritter in Betracht."
Geklagt hatte eine hessische Rechtsreferendarin muslimischen Glaubens, der es untersagt worden war, während bestimmter dienstlicher Tätigkeiten ihrer Ausbildung ein Kopftuch zu tragen. Konkret handelt es sich dabei um die Leitung einer Sitzung, die Durchführung einer Beweisaufnahme, die staatsanwaltliche Sitzungsvertretung sowie die Sitzungsleitung in einem verwaltungsrechtlichen Anhörungsausschuss.
Bereits bevor die Beschwerdeführerin ihr Referendariat angetreten hatte, hatte ihr das Oberlandesgericht ein Hinweisblatt zukommen lassen, das sie darüber belehrte, dass sich Referendare im juristischen Vorbereitungsdienst "gegenüber Bürgerinnen und Bürgern religiös neutral zu verhalten hätten und sie daher mit Kopftuch keine Tätigkeiten ausüben dürfe, bei denen sie als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden könnte". Rechtsreferendare hätten "die Werte, die das Grundgesetz der Justiz zuschreibt, zu verkörpern".
In der Urteilsbegründung unterschieden die Richter zwischen der Situation vor Gericht und der in der Schule: "Anders als im Bereich der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, in der sich gerade die religiös-pluralistische Gesellschaft widerspiegeln soll, tritt der Staat dem Bürger in der Justiz klassisch-hoheitlich und daher mit größerer Beeinträchtigungswirkung gegenüber." Bundesweit ist das Tragen eines Kopftuchs im Jura-Referendariat nicht geregelt, die Bundesländer haben eigene oder noch keine Regelungen dazu.
Der Verfassungsrichter Ulrich Maidowski vertrat eine andere Auffassung als seine Kollegen im Zweiten Senat: Er stimmte gegen das Urteil, da er einen "gewichtigen Eingriff sowohl in die Ausbildungsfreiheit als auch in die Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerin" sah, der verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sei. Er argumentierte, dass die Ausbildungssituation der Klägerin für die Öffentlichkeit klar erkennbar sei. Die Klägerin dürfe deshalb nicht uneingeschränkt an den gleichen Maßstäben gemessen werden. Um ihre juristische Ausbildung abzuschließen, sei sie gezwungen, "den beim Staat monopolisierten Vorbereitungsdienst zu durchlaufen".
Die hessische Justizministerin von der CDU, Eva Kühne-Hörmann, begrüßte das höchstrichterliche Urteil als "wichtiges Signal zugunsten der weltanschaulichen Neutralität staatlicher Institutionen", schreibt der Tagesspiegel. Walter Otte, Sprecher der Säkularen Grünen ließ verlauten: "Ich halte das Urteil für sehr erfreulich, bestätigt es doch den Gesichtspunkt staatlicher Neutralität im öffentlichen Dienst."
Auch das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) zeigte sich hocherfreut: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts stelle klar, "dass die Religionsfreiheit keinen höheren Stellenwert beanspruchen kann als das staatliche Neutralitätsgebot (...)." Die hohe Bedeutung des Vertrauens in die weltanschauliche Neutralität von Richtern und Staatsanwälten sei gestärkt worden. "Dem Gesetzgeber ist die Möglichkeit eingeräumt worden, grundgesetzkonform das Tragen religiöser Symbole wie eines Kopftuches wirksam zu untersagen. Das erhöht gerade im Bereich der Justiz das Vertrauen rechtssuchender Bürger in die weltanschauliche Neutralität von Richtern – vor allem, wenn sie selbst keiner Religion angehören. Es bleibt zu hoffen, dass nun in allen Bundesländern entsprechende Gesetze erlassen werden. Anderenfalls droht zukünftig ein 'religiöser Gemischtwarenladen' in den Gerichtsälen, wenn Richter und Staatsanwälte neben ihrer Amtstracht Kopftücher, Ordenstrachten und Kreuze deutlich sichtbar präsentieren dürfen", sagte Direktoriumsmitglied Winfried Rath dem hpd.
Anders fiel die Reaktion bei den Linken aus: Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz schrieb in einer Presserklärung: "Ich bedaure das Urteil. Karlsruhe hat eine Chance verpasst, die Diskriminierung von kopftuchtragenden muslimischen Rechtsreferendarinnen zu beenden." Die religiöse Neutralität des Staats werde gewährleistet durch die Neutralität der Institution, die religiöse und weltanschauliche Vielfalt der Beschäftigten widerspreche der Neutralität des Staates nicht. "Die Kruzifixe in bayrischen Gerichten und Amtsstuben stellen die Neutralität in Frage, nicht das Kopftuch einer Rechtsreferendarin."
Auch vom Zentralrat der Muslime kam erwartungsgemäß Kritik: "Die Entscheidung enttäuscht auf ganzer Linie. Sie ist nicht nur ein Rückschritt im Verhältnis zu dem freiheitlichen Verständnis anderer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Kopftuch, sondern zementiert damit vor allem, dass kopftuchtragende Rechtsreferendarinnen letztlich als Referendarinnen zweiter Klasse behandelt werden", so die stellvertretende Vorsitzende und Rechtsanwältin Nurhan Soykan.
Das ausführliche Gerichtsdokument kann hier eingesehen werden.
9 Kommentare
Kommentare
Christian M. am Permanenter Link
"Die religiöse Neutralität des Staats werde gewährleistet durch die Neutralität der Institution, die religiöse und weltanschauliche Vielfalt der Beschäftigten widerspreche der Neutralität des Staates nicht.
Wäre für Frau Buchholz von der Linken also die Neutralität des Staates gewährleistet, wenn ein bayerischer Richter das Kruzifix von der Wand nehmen müsste, es sich aber stattdessen um den Hals hinge?
Glücklicherweise sind auch CSU wählende Richter rationaler veranlagt als Frau Buchholz mit ihrer logikbefreiten Argumentation.
Dass Kruzifixe in deutschen Gerichtssälen im Sinne einer weltanschaulichen Neutralität des Staates keine Daseinsberechtigung haben, steht auf einem anderen Blatt.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Eines verstehe ich nicht: es ist doch längst bewiesen, dass es keine religiöse Pflicht ist , ein Kopftuch oder eine andere Körperverhüllung zu tragen. Im Koran steht nichts davon.
M. Landau am Permanenter Link
Endlich Gerechtigkeit für alle! Das Urteil gilt nicht nur für Frauen. Es gilt für alle.
Das Kopftuchverbot für Männern hatte sich ja schon lange durchgesetzt. Wie man seit langem weltweit beobachten kann, ist die Akzeptanz bei Männern weit höher als bei Frauen. Vermutlich lag die hohe Akzeptanz des Verbots, vor allem bei religiösen Kerls, an der beliebten Alternative, die man ihnen angeboten hat. Diese süßen Häckelmützchen etwa, erfreuen sich größter Beliebtheit, Zudem bieten manch gestandenem Mannsbild einen dezenten wie sinnlichen Kontrast zu Glatze und Stiernacken.
Der Enttäuschung des Zentralrats der Muslime ist durchaus verständlich, denn schließlich bleibt ja auch die Frage, ob das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland überhaupt schariakonform ist, nach wie vor ungeklärt.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Mal wieder das Thema Kopftuchverbot.
Genauso wenig zufällig ist es, dass Polizeiangehörige eine Uniform tragen müssen, früher einheitlich in grün.
Nun zur Religionsfreiheit: Dieses Grundrecht garantiert die freie Ausübung der Religion, das bedeutet, es kann niemand deswegen verhaftet und gefoltert werden wie es in der Zeit zwischen 1933-8.Mai 1945 geschehen konnte! Aber das Untersagen der Religionsausübung während der Dienstzeit ist keine Einschränkung dieser Freiheit. Sowie sie nicht mehr für den Staat dienstlich tätig ist, kann und soll sie ungestört selbstverständlich ihrer Religion nachgehen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Ich bin kein Jurist, aber ich denke im Jura Studium lernt man doch die Ideen und Gedanken, die hinter den Gesetzen stehen kennen" - das Problem dabei scheint mir zu sein, dass man im Studium (bzw.
Dieses quasi _perpetuum mobile_ zu überwinden, ist m.E. eine der größten Herausforderungen.
Roland Fakler am Permanenter Link
Das Urteil ist auf jeden Fall zu begrüßen!
Welcher aufgeklärte Mensch möchte vor einer Richterin stehen, die ihn allein schon wegen seiner Gottlosigkeit in die Hölle wünscht?
In unseren Gerichtssälen haben weder religiöse Kleidung noch religiöse Symbole einen Platz. Das Eine ist so falsch wie das Andere. Ich will die Freiheit des Individuums verteidigen, die immer von totalitären Herrschaftssystemen, wie Religionen, ob Katholizismus oder Evangelikalismus, Islam, Faschismus, Kommunismus, Scientology….in Frage gestellt werden.
Um es nochmal klar zu machen: der Papst und seine Priester, ein Imam oder eine Frau mit Kopftuch können in unserem säkularen Rechtssystem nicht als Richter auftreten, weil sie schon mit ihrer Kleidung signalisieren, dass sie nicht dem Grundgesetz, sondern ihrem religiösen Gesetz verpflichtet sind. Da gibt es nämlich Widersprüche auf den Gebieten Ehe, Sexualität, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit….
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Das Urteil ist auf jeden Fall zu begrüßen" - völlig d'accord, Roland!
Insbesondere dein letzter Absatz kann in "unserem säkularen Rechtssystem" nicht häufig genug betont werden.
A.S. am Permanenter Link
Wann endlich findet der deutsche Stat den Mut, den Menchen klar zu sagen, dass ihnen Gott nur eingeredet wird?
Es ist doch in unserer Mulikulti-Gesellschaft offensichtlich, dass die verschiedenen religiösen Vorstellungen nicht alle gleichzeitig richtig sein können. Die einizige logische Erklärung für dieses Phänomen ist, dass
- Gott uns kulturabhängig eingeredet wird
- die verschiedenen Gottheiten, Himmel und Hölle nur Hirngespinste sind.
Warum glauben Menschen? Weil man ihnen Gott in der Kindheit eingeredet und Angst vor Gott gemacht hat. Wie reagieren Kinder auf solch psychologischen Druck? Mit "Im Zweifel lieber glauben als ewiger Verdammnis anheim fallen." Und von dieser systematisch erzeugten Gottesfurcht kommen viele ihr Leben lang nicht wieder weg.
Wem nutzt das ganze? Den Religions- bzw. Sektenführern.
Ulf am Permanenter Link
Das Kopftuch im Dienste des Staates, in Kindergärten, in Schulen, in Universitäten, in Gerichten, am Arbeitsplatz ist ständig in den Schlagzeilen.
Warum wohl?
Weil wir in Europa die persönliche Freiheit nicht achten, das private (!) Bekenntnis?
Weil wir ausländerfeindlich oder gar rassistisch sind?
Nein, nichts von alledem!
Das Kopftuch oder gar der Niqab, der Hidschab, der Chimar, die Burka, der Tschador als religiöses Kennzeichen, als Symbol wird geradezu missionarisch immer und immer wieder in den Staatsdienst eingeklagt. Häufig genug werden sie offensichtlich vorgeschickt, die strenggläubigen Damen, die auf unbeschränkte Religionsfreiheit pochen, obwohl gerade deren Absenz ein wesentliches Merkmal islamischer Mehrheitsgesellschaften ist. Finanziert werden die Klagen häufig genug von erzislamischen Institutionen.
Die Religionsfreiheit garantiert unsere Verfassung, sie ist gegeben in unserem Land.
Sie muss aber auch Grenzen finden. Eine dieser Grenzen ist, dass in einem freien Staate der Staat eine strikte Neutralitätspflicht im Sinne von Symboliken privater Ideologie haben muss.
Die Begründung in Kürze ist aus meiner Sicht zwingende Ratio, Vernunft pur.
Der Staat ist eben nichts Abstraktes, der Staat sind in seinem Namen handelnde Bürger. Immer dann, wenn die übrigen Bürger durch ihre vielfältigen, auch erzwungenen Kontakte zum Staat nicht die Möglichkeit haben, sich einer Konfrontation mit den Symboliken privater Ideologien zu entziehen, haben diese zu unterbleiben. Mir ist klar, dass es auch Verfassungsrichter gab und gibt, die dies anders sehen. Man denke nur an die vielfältigen Urteile zum Kreuz in Schulen.
Doch bleibt es meiner festen juristischen Überzeugung nach in einer modernen, säkularen Gesellschaft zwingend, dass sich Gläubige (und natürlich auch Ungläubige) dann ihrer Symbolik enthalten, wenn sie in offizieller Funktion und im Dienste des Staates unterwegs sind.
Zu Recht wären viele empört, trüge ein Richter bei der Verhandlung ein Abzeichen der AfD, würde ein Lehrer in einem T-Shirt von Bündnis90/Grüne unterrichten.
Der Islam hat eben immer auch eine keineswegs nur religiöse, sondern eine politische Komponente, denn er ist ein vollumfänglicher Gesellschaftsentwurf inklusive Rechtsprechung.
Bei islamischer Symbolik, wie dem Kopftuch möchte ich in dieser Frage noch zwei weitere Punkte aufführen.
1.) Die Angst streng gläubiger männlicher Muslime, dass ihre jungen Ehefrauen und Töchter verwestlichen, islamische Moralvorschriften oder die s.g. Familienehre verletzen, führen zu einer ständigen Überwachung auch der Kleidervorschriften. Mit der öffentlichen, d.h. staatlichen, quasi vor unserem GG erfolgten, Legitimierung des Kopftuches im Staatsdienst (sie können getrost annehmen, dass dann die anderen Spielarten der Verschleierung peu a peu folgen würden) zementieren wir dieses bei weitem nicht immer friedliche Patriarchat und hintertreiben Integration und die freie Entwicklung junger Freigeister.
Wir schaffen ein erzkonservatives unfreies Umfeld an staatlichen Einrichtungen, eine Parallelwelt. Denken sie hierbei an den Fall des 14 jährigen algerisch stämmigen Mädchens Naima*, die wegen ihrer unislamischen Kleidung an einem Collége in Marseille des 21.Jhd. von den überwiegend islamischen Jungen ihrer Schule erst verprügelt und anschließend in eine Mülltonne gestoßen wurde, gefolgt von brennenden Zigarettenkippen. Gerettet und den Vorgang angezeigt hat ein mutiger Lehrer. Dafür wurde er von dem Bruder des Mädchens angegriffen!
Nun versetzen sie sich in ein solches Kind, wenn die LehrerInnen auch noch islamische Symboliken tragen. Sie werden geistig erstickt.
*Quelle
https://www.nytimes.com/2003/04/09/world/a-maze-of-identities-for-the-muslims-of-france.html
Punkt 2)
Ich verweise auf das einstimmig gefällte Urteil des EuGH 2004, der Freiheit verpflichtet. Es lehnte die Klage einer türkischen Studentin vs Türkei ab:
Zitat Zusammenfassung:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Kopftuchverbot gebilligt. Es verstoße nicht gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit. "An Universitäten lassen sich Maßnahmen rechtfertigen, die bestimmte fundamentalistische religiöse Bewegungen davon abhalten, Druck auf Studenten auszuüben, die diese Religion nicht praktizieren oder einer anderen Religion angehören", heißt es im einstimmigen Urteil der sieben Straßburger Richter. Der Gerichtshof räumte zwar ein, dass die muslimische Studentin daran gehindert werde, ihre Religiosität zu zeigen. Das Recht der öffentlichen Ordnung und der Freiheit Dritter müsse aber höher bewertet werden. Zudem ist das Kopftuchverbot nach Auffassung der Richter verfassungskonform und dient dem Schutz des demokratisch-weltlichen Systems sowie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Sie berücksichtigten, dass es extreme politische Strömungen gebe, die "der gesamten Gesellschaft ihre religiösen Symbole und ihr Ideal einer auf Religionsregeln basierenden Gesellschaft aufzudrängen versuchen...Zitatende
*Quellen
https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/urteil-zum-kopftuchverbot-tuerkei-darf-sich-gegen-fundamentalisten-wehren-a-306346.html
https://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-70956%22]}
u.a.Punkt 10 unter A. Freedom of religion
Randnotiz 115
Die Freiheit und ja, gerade auch die Toleranz (sie ist nämlich keine Einbahnstraße) unterliegen täglich den Angriffen ihrer Gegner. Bleiben wir wachsam!
Danke Karlsruhe.
Grüße
Ulf