BfG München fordert Verzicht der Kirchen auf historische Staatsleistungen

Der Bund für Geistesfreiheit München (bfg München) fordert die katholische und evangelische Kirche auf, von sich aus auf die sogenannten historischen Staatsleistungen zu verzichten. "Es kann doch nicht sein, dass die beiden großen Kirchen auch in Zeiten der Corona-Krise weiterhin für den Verlust ihrer Besitztümer und Kirchengüter zur Zeit der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts die Hand aufhalten", sagt Assunta Tammelleo, stellvertretende Vorsitzende des bfg München.

Angesichts einer enormen Staatsverschuldung aufgrund der zahlreichen staatlichen Corona-Rettungsschirme ist es für Tammelleo nicht weiter zumutbar, "dass die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik immer noch dafür zahlen sollen, was vor 200 Jahren 'Thron und Altar' unter sich ausgemacht haben. Eine Ablösung der Staatsleistungen beziehungsweise ein Ende der Zahlungen ist dringend geboten. Selbst wenn man die Meinung vertritt, dass es sich bei den Staatsleistungen um Entschädigungszahlungen aufgrund der Inbesitznahme geistlicher Territorien und der Einziehung von Kirchengütern handelt, nach über 200 Jahren sind diese Verpflichtungen längst und um ein Mehrfaches abgegolten. Es stünde den Kirchen gut zu Gesicht, freiwillig auf eine weitere Auszahlung auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu verzichten und so einen Beitrag zur Krisenbekämpfung zu leisten. Die Kirchen aber halten bisher weiter ungeniert die Hand auf, während derzeit Unternehmen um das wirtschaftliche Überleben kämpfen und die Arbeitslosigkeit massiv steigt", so die stellvertretende Vorsitzende des bfg München.

2020 zahlt der Freistaat Bayern an die katholische und evangelische Kirche circa 100 Millionen Euro, für ganz Deutschland belaufen sich die staatlichen Zuwendungen auf 570 Millionen Euro. Seit 1949 haben die Kirchen circa 19 Milliarden Euro an historischen Staatsleistungen erhalten, in Bayern sind es ungefähr vier Milliarden Euro. Das belegen die Recherchen der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union. Welche Summen zwischen 1803 und 1949 geflossen sind, darüber gibt es keine genauen Zahlen.

Bei den historischen Staatsleistungen geht es nicht um Zahlungen des Staates, die zum Beispiel für den Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen an Caritas oder Diakonie geleistet werden, sondern sie stehen den Kirchen ohne Zweckbindung zur freien Verfügung. So verwendet beispielsweise die katholische Kirche in Bayern einen Großteil der Gelder für das Personal der bayerischen Erzdiözesen – einschließlich der Jahresrenten für Erzbischöfe und Bischöfe –, für die Besoldung der Seelsorgegeistlichen sowie für Pensionen. Bezahlt wird dies von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, auch von den konfessionsfreien, obwohl die katholische und evangelische Kirche im Jahr 2018 in Deutschland allein über die Kirchensteuer ein Rekordergebnis von 12,4 Milliarden Euro erzielt haben. Für 2019 liegen noch keine öffentlichen Zahlen vor, vermutlich wird das Resultat nicht viel anders sein. Dazu kommt das Vermögen der Kirchen in Deutschland, das auf mehrere hundert Milliarden Euro geschätzt wird.

Die historischen Staatsleistungen gehen auf die Säkularisation zur Zeit der napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Durch den "Reichsdeputationshauptschluss" von 1803 wurden die geistlichen Territorien und Kirchengüter des "Heiligen Römischen Reichs" säkularisiert, das heißt, sie wurden der Hoheit der größeren weltlichen Landesfürsten unterstellt. Neben Preußen, Württemberg oder Baden profitierte davon vor allem auch das damalige Kurfürstentum Bayern. So hatte sich dessen Staatsgebiet bis 1815 unter anderem um geistliche Territorien wie die Fürstbistümer Passau, Eichstätt, Augsburg, Freising, Bamberg und Würzburg erweitert. Bayern hatte aber nicht nur territoriale Zugewinne, auch innerhalb des Kurfürstentums wurden fast alle Klöster aufgelöst und der Grundbesitz auf den Staat übertragen.

Im Reichsdeputationshauptschluss wurde auch festgestellt, dass fortan die neuen Landesherren Aufgaben der Kirchen zu übernehmen beziehungsweise zu bezahlen haben, zum Beispiel die Gehälter der Bischöfe, Vikare, Pfarrer etc., Verwaltungs- und Unterrichtskosten, aber auch die Pensionen für die ehemaligen geistlichen Landesherren, die ihrer Ämter verlustig gegangen waren. Genauer ausgeführt wurden die Leistungen dann durch Verträge beziehungsweise Konkordate zwischen den Kirchen und den deutschen Einzelstaaten, in Bayern zum Beispiel 1817 und 1924.

Schon 1803 war die Möglichkeit der Ablösung der jährlichen Zahlungen durch eine Einmalzahlung angeführt. Seit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (WRV) am 11. August 1919 besteht in Artikel 138 sogar ein Verfassungsauftrag zur endgültigen Beendigung sämtlicher historischer Staatsleistungen durch eine einmalige Ablösung. Dieses Ablösegebot in Artikel 138 WRV wurde im Grundgesetz vom 23. Mai 1949 mit Artikel 140 übernommen. Dort heißt es: "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."

Hohe Ablösesumme beim Gesetzentwurf der Oppositionsparteien

Die Erfüllung dieses Verfassungsauftrags steht nunmehr seit über 100 Jahren aus. Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke haben am 13. März 2020 einen gemeinsamen "Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen" vorgestellt. Der Gesetzentwurf sieht die Abschaffung der an die Kirchen gezahlten Staatsleistungen gegen eine Ablösesumme von gut zehn Milliarden Euro vor. "Beim Vorschlag der Oppositionsparteien sollen jedoch bis zur endgültigen Ablösung die jährlichen Beträge in voller Höhe weiter gezahlt werden. Die endgültige Ablösung soll sich in einem Zeitraum von 20 Jahren vollziehen. Das hieße dann, die Kirchen bekämen 20 Jahre lang jedes Jahr doppelt Geld, einmal die jährlichen Staatsleistungen sowie den jährlichen Beitrag zur Ablösesumme – schätzungsweise insgesamt 22 bis 25 Milliarden Euro. Das kann ja wohl nicht ernsthaft der Plan sein, den Kirchen über 20 Jahre noch mehr Geld ohne jegliche Zweckbindung zu überweisen", kritisiert Tammelleo, die sich für eine entschädigungslose Abschaffung der Zahlungen ausspricht.

Jedoch sah sich bisher keine Bundesregierung seit 1949 veranlasst, das in Artikel 140 GG beziehungsweise Artikel 138 WRV geforderte "Grundsätzegesetz" auf den Weg zu bringen, auf dessen Basis die Länder dann die Staatsleistungen endgültig ablösen können. "Man kann das nur als eklatanten Verfassungsbruch zugunsten der Kirchen bezeichnen. Zudem macht es die Tatenlosigkeit der Bundesregierung den Landesregierungen leicht, die Verantwortung dafür Berlin zuzuschieben. Doch auch die Länder könnten beispielsweise über den Bundesrat einen Gesetzentwurf für ein Bundesgesetz einbringen", so die stellvertretende Vorsitzende des bfg München.

"Generell ist es mehr als fraglich, ob die Kirchen aufgrund der Säkularisation vor 200 Jahren überhaupt einen Anspruch auf Zahlungen haben. Haben sie doch ihre Besitztümer und Territorien in feudalen Zeiten erworben und unter Ausbeutung ihrer ansässigen Untertanen die Gewinne eingestrichen. Nicht selten waren sie zudem Nutznießer von 'Hexen'-Verfolgungen, Pogromen gegen Juden oder Andersgläubige und haben sich die Besitztümer der Vertriebenen und Getöteten einverleibt. Wurden die Opfer, ihre Angehörigen oder Nachkommen jemals entschädigt?", will Tammelleo wissen.

Der bfg München ist Mitglied im bundesweiten BAStA-Bündnis (Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen).

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