Der heutige Tag war eine historische Zäsur und markierte den Beginn unserer heutigen von Frieden und Wohlstand geprägten Epoche. Dennoch ist er nach wie vor kein Feiertag, auch eine einmalige bundesweite Regelung zum 75. Jubiläum fand keine Mehrheit. Ein Skandal, wenn man bedenkt, dass dies zum Reformationsjubiläum möglich war, aber nicht zur Feier des Kriegsendes. Ein Kommentar.
Heute jährt sich zum 75. Mal der "Tag der Befreiung". Der Befreiung vom Weltkrieg und vom Nationalsozialismus. Ein bedeutender Tag, markiert er doch den Beginn einer zuvor nie dagewesenen Phase des Friedens in Europa. Die Länder, die sich bis zu diesem Tag vor 75 Jahren immer wieder gegenseitig die Köpfe einschlugen, haben sich seitdem in einer Gemeinschaft zusammengefunden, die zusammen Politik macht und einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bildet. Ja, man kann viel an ihr kritisieren, sie könnte einiges besser machen. Sie wird durch die aktuelle Lage wieder einmal auf die Probe gestellt und gibt dabei kein besonders geeintes Bild ab. Und dennoch: Was ist der Streit über Corona-Bonds verglichen mit einer kriegerischen Auseinandersetzung?
Der 8. Mai ist ein Datum, der den Beginn einer neuen Epoche markiert, unserer Epoche, in der man über Wohlstandsproblemchen und Wutbürgertum manchmal den Blick dafür verliert, was für ein Glück wir eigentlich haben, dass wir die Muße haben, uns über Tempolimit und die nicht zu Potte kommende Digitalisierung aufzuregen, weil die existenziellen Fragen geklärt sind. Was echte Probleme sind, darin erteilt uns gerade die Corona-Pandemie eine Lehrstunde.
Trotz aller Bedeutung des Tages, einer Online-Petition mit fast 100.000 Unterzeichnern und des offenen Briefes der Vorsitzenden des Auschwitz-Komitees konnte man sich nicht dazu durchringen, wenigstens zum 75. Jubiläum einmalig einen bundesweiten Feiertag am 8. Mai auszurufen. Lediglich ein einzelnes Bundesland, Berlin, erweist dem Datum in diesem Jahr die Ehre. Während andere Länder diesen Tag groß feiern (ob man dies mit Militärparaden tun muss, sei dahingestellt), wird er bei uns eher verschämt zur Kenntnis genommen.
Sicher haben die Besiegten wohl damals anders empfunden, aber mittlerweile dürfte ja allen klar sein, dass diese Niederlage ein Grund zum Feiern ist. Aber nein: Während ein entsprechender Antrag der Linkspartei von allen Fraktionen außer den Grünen abgelehnt wurde, zeigte die AfD einmal mehr, wes Geistes Kind sie ist: "Für die KZ-Insassen ist er ein Tag der Befreiung gewesen. Aber es war auch ein Tag der absoluten Niederlage, ein Tag des Verlustes von großen Teilen Deutschlands und des Verlustes von Gestaltungsmöglichkeit", zitiert das Redaktionsnetzwerk Deutschland Bundestags-Fraktionschef Alexander Gauland – was immer dieser mit dem "Verlust von Gestaltungsmöglichkeit" auch gemeint haben mag.
War es 2017 möglich, anlässlich des Lutherjahres aus dem Reformationstag am 31. Oktober einen bundesweiten Feiertag zu machen, war das beim 8. Mai offenbar nicht der Fall. Ein Hassprediger, der mit seinen judenfeinlichen Schriften die geistige Saat ausbrachte, die knapp 400 Jahre später im Holocaust erblühte, kann also bundesweit gefeiert werden, während die Befreiung davon es nicht verdient? Welcher Logik folgt diese Entscheidung? Was sagt das über Deutschland aus? Und was über den Einfluss der evangelischen Kirche im Vergleich zu den Vertretern der Erinnerungskultur? Warum die Reform einer Glaubensinstitution vor einem halben Jahrhundert für die Gegenwart bedeutsamer sein sollte als das Ende eines beispiellosen Vernichtungskrieges und einer menschenverachtenden Ideologie, steht noch auf einem ganz anderen Blatt.
Es bleibt zu hoffen, dass man es wenigstens in Zukunft schafft, hier die richtigen Signale zu senden. In München war es in diesem Jahr erstmals möglich, öffentlichkeitswirksam ein Zeichen durch gehisste weiße Fahnen in der ganzen Stadt zu setzen. Es wäre zu begrüßen, wenn diese Aktion auch in anderen Orten Nachahmer fände. Sollte es daran scheitern, dass man keinen zusätzlichen Feiertag will, könnte man dafür einen der kirchlichen Feiertage abschaffen, deren Bedeutung – abgesehen davon, dass man frei hat – sowieso niemanden in unserer bald überwiegend konfessionsfreien Bevölkerung interessiert.
Es wird sicher Leute geben, die an diesem Kommentar etwas auszusetzen haben werden. Dass in der Friedensphase seit 1945 dennoch der Vietnam- und der Jugoslawienkrieg stattgefunden haben, 9/11 und seine Folgen. Dass es auf der Welt immer noch Armut gibt, Ausbeutung und Ungleichheit. Dass es noch immer Antisemitismus gibt. Aber dennoch müssen auch diese Kritiker zugeben, dass es trotz aller Unzulänglichkeiten insgesamt betrachtet keine friedlichere, sicherere und von Wohlstand geprägtere Phase in der Menschheitsgeschichte gegeben hat als die letzten 75 Jahre. Und deshalb sollte der 8. Mai ein Feiertag sein.
16 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Es ist eine riesige Schande für die Mitglieder in unserem Bundestag und alle Politiker im Lande, bis zu den Bürgermeistern in den kleinsten Gemeinden, dass die Schandtaten er NS
Martin Luther hat Adolf Hitler die Rechtfertigung für den Holocaust geliefert und wird heute bei uns in der BRD, auf Kosten der Steuerzahler, 10 Jahre lang gefeiert wie ein Held.
Diese Tatsachen sollten sich unsere Damen und Herren von der Legislative einmal durch den Kopf gehen lassen, wenn darin noch Platz für rationales logisches Denken ist.
mio27 am Permanenter Link
Einspruch. Nicht der 8. Mai 1945 ist feiertagswürdig. Wenn überhaupt, dann ist es der Tag, an dem das GG in Kraft trat. (24.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hallo mio 27, das klingt ja alles schön und gut, leider wird das GG heute noch von unseren Politikern ignoriert, obwohl darin seit 1949 der Auftrag an die Regierenden lautet, die Staatsleistungen an die Kirchen abzusc
freien Verfügung der Kirchen von unseren erarbeiteten Steueraufkommen an die Kirchen verschwendet. Auch deren Institutionalisierten Einrichtungen, wie Caritas und Diakonie, über welche die Kirchen bestimmen werden mit 98,8 % von unseren Steuern unterhalten.
Des Weiteren steht der Befehl, die Staatsleistungen an die Kirchen abzuschaffen, bereits schon in der Weimarer Verfassung von 1919 und wird seitdem nicht umgesetzt, es wird höchst Zeit, dass unsere Politik sich an ihren Verfassungsauftrag hält und diese Leistungen ersatzlos streicht, damit in dieser Richtung endlich Friede einkehrt und der Zwiespalt zwischen Gläubigen und Gesetzestreuen Bürgern ein Ende hat.
Nur so kann unser Parlament seine Glaubwürdigkeit, wenn auch spät, wieder zurückgewinnen.
Ansonsten steht das Fundament, wie Sie schreiben, für Frieden, Sicherheit und Wohlstand im Lande, sowie unsere Demokratie auf wackligen Füßen und selbst in unserem Parlament wird von der AfD fleißig am Stuhl der Demokratie gesägt.
Wolfgang Graff am Permanenter Link
Kompliment! Der Vergleich mit dem Jubiläum zur Reformation ist durchaus zutreffend.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Ja zum 8.Mai als Feiertag!
Wenn man die Reden der Vertreter der verschiedenen Verfassungsorgane ernst nimmt, sollte man nicht, sondern muss man den 8. Mai bundesweit als gesetzlichen Feiertag einführen! Die heutige Rede des Bundespräsidenten machte nochmal klar, dass der 8. Mai beides ist, ein Tag der Trauer wegen der millionenfachen Opfer durch die Gewaltherrschaft, die zusätzlich der zweite Weltkrieg durch Deutschland über Europa gebracht hat, und andererseits ein Tag der Erleichterung wegen der Beendigung der Shoa. Ich will nicht die heute gesagten, passenden, klugen Worten des Präsidenten wiederholen, vielmehr vielleicht einfach nur eine Ergänzung vortragen: Gerade weil wir die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit allen Schwierigkeiten, auch Fehlern, ständig aufbereiten und in ihren verschiedenen Aspekten vertiefen, sorgt der pointierte Gedenktag 8.Mai auf jeden Fall für eine dauerhafte Wachsamkeit gegenüber der fremdenfeindlichen Gewalt, auch der manchmal auftretenden Gewalt eines Staates gegenüber seinen Bürgern.
Hier nun ein Aspekt, der mir wichtig erscheint. Die Bevölkerung der Bundesrepublik setzt sich aus etlichen Ethnien, jede mit ihrer eigenen Geschichte, zusammen. Ich könnte mir denken, dass viele dieser Menschen es begrüßen, wie wir mit dem furchtbarsten Teil unserer Geschichte umgehen, die Verbrechen der Diktatur werden nicht verschwiegen oder gar gerechtfertigt. Kürzlich zeigte zum Beispiel die Türkei, wie man im Falle der Massaker in Armenien, die zwar hundert Jahre zurückliegen, nicht mit der eigenen Geschichte umgehen sollte. Dabei könnte ich mir vorstellen, dass viele der in Deutschland lebenden Türken es als gut und sehr hilfreich empfänden, wenn ihre staatlichen Verantwortungsträger ebenso offen und ehrlich mit der Vergangenheit ihres Landes umgingen. Der ehrliche und offene sowie offensive Umgang bereitet ein solides Fundament für die Zukunft eines Staates, nebenbei sorgt er auch für eine politische, sogar ethische, Richtschnur. Wichtig erscheint mir auch, dass allen Jugendlichen, vor allem auch denen mit einem Migrationshintergrund, die Hintergründe für einen zu etablierenden Gedenktag 8. Mai zu vermitteln sind. Vielleicht können zukünftig gerade solche Attentate wie in Hanau, Erfurt, Chemnitz und etlichen anderen Orten verhindert werden.
Ich glaube, das meinte Frank Walter Steinmeier etwas verklausuliert auch in seiner heutigen Rede.
korev am Permanenter Link
Der 8. Mai war schon einmal Feiertag, und zwar in der DDR.
Peter Müller am Permanenter Link
In der antifaschistischen DDR war der 8.Mai natürlich ein Feiertag und hieß auch "Tag der Befreiung". Im Westen hat man den Tag wohl eher als Tag der Niederlage gesehen.
Thomas Brandenburg am Permanenter Link
Erfreulicher Kommentar! Vor allem, weil er nicht kuscht vor den „Verstehern“ des Rechtspopulismus. Die haben es ja leider bis in die Reihen der Humanisten geschafft.
Man darf sich nicht täuschen lassen: Als die Hamburger Bürgerschaft über die Einführung eines weiteren christlichen Feiertags, eben des Reformationstags, zu entscheiden hatte, war die AfD-Fraktion gespalten. Während die Bürgerschaftsmehrheit (vor allem von SPD und Grünen) zugunsten des Reformationstags stimmte, machte sich ein AfD-Abgeordneter (wie auch einer von der SPD) für den Tag des Grundgesetzes (23. Mai) stark. Mit einer erstaunlich säkularen Rede.
Es gibt also durchaus auch verfassungskonforme und säkulare Rechtspopulisten. Na und?
Tom Brandenburg, Hamburg
Kathi am Permanenter Link
Alleine schon um der Opfer des nationalsozialistischen Systems zu gedenken, der Verstorbenen und auch der Überlebenden dieses grausamen Systems, sollte dieser Feiertag begangen werden.
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin,
in der Tat sollte der 8. Mai ein bundesweiter Feiertag sein!
Kriege werden nur durch dumme Politiker vorbereitet und diesbezüglich
von menschenverachtenden Organisationen unterstützt und letztlich
durchgeführt!
Alle gefallenen Soldaten sind umsonst gestorben, weil andere Möglichkeiten
nicht genutzt wurden.
Solche menschenverachtenden, jeden Krieg überlebenden Organisationen gehören aufgelöst und dumme Politiker abgewählt, wenn der Terror ein Ende
haben soll.
Den Kindern sollte im Geschichtsunterricht eine andere Sicht auf
machtgeile dumme Politiker vermittelt werden!
Viele Grüße
Arno Gebauer
M. Landau am Permanenter Link
Es muss ja kein zusätzlicher zu den bereits vorhandenen Feiertag sein. Man könnte den 8. Mai und den 11. November gegen zwei religiöse Feiertage eintauschen.
Sascha Larch am Permanenter Link
Warum der 11. November? Was war da?
M. Landau am Permanenter Link
Der Waffenstillstand am 11. November 1918
https://de.wikipedia.org/wiki/Waffenstillstand_von_Compiègne_(1918)
Sascha Larch am Permanenter Link
Danke, das Datum hatte ich nicht mehr auf dem Schirm...
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Feiertage wegen Freiheit und Frieden, für alle Menschen?
Martin am Permanenter Link
Nein, kein "bundesweiter Feiertag", sondern ein europäischer Feiertag!
Vielleicht gründet jemand eine entsprechende "EBI" (Europäische Bürgerinitiative)?