Bundestagsdebatte

"Blut ist nicht schwul oder hetero"

Am Mittwochabend diskutierte der Bundestag über die Abschaffung des De-Facto-Blutspende-Verbots für homo- und bisexuelle Männer sowie transgeschlechtliche Menschen. Derzeit gilt für sie eine Sperrfrist von zwölf Monaten nach dem letzten Geschlechtsverkehr. Grüne und FDP haben Anträge zur Abschaffung dieser Regelung gestellt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der das erst kürzlich beschlossene Verbot von Konversionstherapien vorangetrieben hatte, lehnt eine Änderung beim Transfusionsgesetz ab.

Jens Brandenburg (FDP) wies als erster Redner zunächst auf die immer knapper werdenden Blutkonserven hin, da in Corona-Zeiten kaum Blutspende-Aktionen stattfänden. Das Blutspende-Verbot für homo- und bisexuelle Männer sei daher "nicht nur diskriminierend, sondern grob fahrlässig" und gehöre endlich abgeschafft. Dass Männer, die Sex mit Männern haben, danach ein Jahr lang kein Blut spenden dürfen, sei "lebensfremd und medizinisch völlig überzogen", da jede einzelne Spende getestet würde und Aids-Viren bereits nach sechs Wochen im Blut zuverlässig nachweisbar seien. Die Annahme der Bundesärztekammer, transgeschlechtliche Menschen würden sich überdurchschnittlich oft prostituieren – ein Argument für ihre Einstufung als Risikogruppe –, berufe sich auf Inserate einer Erotikwebsite als Quelle, "eine unglaubliche Unterstellung". Männer generell hätten einen höheren Anteil HIV-Infizierter, seien aber nicht pauschal von der Blutspende ausgeschlossen. Studien aus anderen Ländern zeigten, dass eine Lockerung des Verbots nicht zu einem erhöhten Infektionsrisiko führe. "Blut ist nicht schwul oder hetero. Kein Patient soll sterben müssen, weil der mögliche Blutspender der deutschen Richtlinie zu schwul war. Nicht die sexuelle Identität, sondern das persönliche Risikoverhalten eines Menschen ist entscheidend." Dies veranschaulichte sein Parteikollege Ulrich Lechte später im Rahmen einer Kurzintervention mit dem Beispiel, dass weibliche Prostituierte zwar von der Möglichkeit zur Blutspende ausgenommen seien, nicht aber die heterosexuellen Männer, die ihre Dienste in Anspruch nähmen. Es gehe um das Sexualverhalten und nicht um die Sexualität.

Rudolf Henke aus der Unionsfraktion hielt dagegen: Wer zur Spende zugelassen würde, könne nicht politisch entschieden werden, da es eine wissenschaftliche, medizinische beziehungsweise epidemiologische Frage sei. Er verwies auf die Experten und wies den Vorwurf der Diskriminierung zurück. Seine Parteikollegin Emmi Zeulner ergänzte später, dass auf Männer, die Sex mit Männern haben, nach objektiven medizinischen Daten jährlich 70 Prozent der HIV-Neudiagnosen entfielen. Eine solche empfundene Ungerechtigkeit sei im Rahmen der Interessenabwägung gerechtfertigt. Solange es keine Methode zur weiteren Differenzierung innerhalb der Risikogruppen gebe, bleibe die bestehende Einschränkung die praktikable Lösung.

Ähnlich argumentierte Detlev Spangenberg von der AfD: "Es gilt allein die Sicherheit der Blutkonservenempfänger und nicht spenden zu dürfen ist keine Diskriminierung." Einen empörten Zwischenruf kommentierte er mit: "Vielleicht können Sie mal die Klappe halten, wie letztes Mal, da haben Sie auch rumgebrüllt, wir haben nichts mehr gehört." Beide Anträge hätten einen falschen Ansatz, da es kein Verbot für die genannten Gruppen gebe, es gehe immer um einzelne Personen mit sexuellem Risikoverhalten.

Die bestehenden Richtlinien seien völlig aus der Zeit gefallen, fand hingegen Hilde Mattheis (SPD), auch Wissenschaft und Medizin dürften dazugelernt haben. Sie rief dazu auf, nicht nur die Blutspende-Sperrfristen für bestimmte sexuelle Orientierungen und Identitäten zu hinterfragen, sondern auch jene für Häftlinge und Menschen, die sich tätowieren ließen oder die in Risiko-Länder reisten. Sie plädierte für eine Aufforderung zur generellen Überarbeitung durch Bundesärztekammer und Wissenschaftler für eine aktuelle medizinische Grundlage zur politischen Entscheidung.

Dass transgeschlechtliche Personen gesundheitlich immer mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten seien, nannte Linken-Politikerin Doris Achelwilm "völlig absurd" und sprach von "recht fragwürdigen Grundlagen". "Nochmal zur Erinnerung: Eine Person mit sexuellem Risikoverhalten ist bereits durch bestehende Ausführungen von der Blutspende ausgeschlossen, eine doppelte Markierung schafft nicht automatisch mehr Sicherheit, aber bestätigt definitiv Vorurteile auf Kosten der so markierten Menschen." Stattdessen solle der erstgenannte Grundsatz gestärkt werden.

Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen) verdeutlichte seine Meinung über die derzeitige Blutspende-Regelung, indem er einen Comedian zitierte, der sie in sein Bühnenprogramm integriert hat. "Damit wird einer Gruppe – und doch, es geht um Gruppen von Menschen – deutlich signalisiert, dass ihre Blutspende eigentlich nicht erwünscht ist. Und dass sie, völlig egal, wie sie leben, pauschal eine potentielle Gefahr darstellen. (…) Da hofft man, dass diese alten Bilder aus den 80er Jahren endlich raus sind aus den Köpfen und dann zeigt sich, sie finden sich sogar noch immer in Richtlinien der Bundesärztekammer wieder." Die werde sich nicht von alleine bewegen, der Bundestag als Gesetzgeber müsse hier aktiv werden. Dass der Bundesgesundheitsminister für eine automatische Organspende plädiert hatte, wobei besagte Personengruppen nicht ausgeschlossen gewesen wären, zeige die gesamte Willkür. Die Grünen fordern eine jährliche Überprüfung durch die Bundesärztekammer, ob ein Ausschluss von bestimmten Personengruppen noch wissenschaftlich begründet ist sowie ein Diskriminierungsverbot im Transfusionsgesetz.

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