Düsseldorf hat einen Evolutionsweg

Evolution für alle

4,6 Milliarden Jahre Evolutionsgeschichte auf 460 Metern. In Düsseldorf können Interessierte jetzt die Entwicklung unseres Planeten abschreiten.

Vor 375 Millionen Jahren kroch ein Tier aus dem Wasser, das den Lauf der Dinge verändern sollte. Bald darauf bildeten sich neue Arten, manche verbuddelten sich im Erdboden, ein paar kletterten auf Bäume, andere eroberten den Himmel und einige kehrten ins Wasser zurück. Heute gibt es geschätzt über 5.000 Säugetierarten, 10.000 Vogelarten und mehr als eine Million Insektenarten.

Alte Bakterien und junge Saurier

Im Düsseldorfer Nordpark wurde nun ein Weg eröffnet, der die Geschichte der Erde nachzeichnet. Zwanzig Schautafeln sind aufgestellt, umsäumt von Bäumen und Wiese. Die Schilder erklären in Bild und Schrift die Entstehung des Sonnensystems vor 4,6 Milliarden Jahren, also lange bevor ein wagemutiges Tier aus dem Wasser krabbelte. Die ersten Spuren des Lebens finden sich bereits vor vier Milliarden Jahren auf der Erde, so liest es der Spaziergänger auf der zweiten Schautafel, und auf dem dritten Schild tummeln sich schon Cyanobakterien. Ihnen gelingt es, die Energie des Sonnenlichts einzufangen. Auf der nächsten Tafel entwickelt sich dann die Photosynthese, und der Sauerstoff kommt in die Atmosphäre. Ein paar Meter weiter entstehen die ersten Wirbeltiere. Eines von ihnen wird sich später an Land trauen, nachdem die Pflanzen sich dort längst ausgebreitet haben. Danach folgt die Entwicklung des Neocortex bei Säugetieren, und schließlich betritt auf der vorletzten Schautafel der Homo sapiens die Weltbühne. Das ist erst 200.000 Jahre her.

So weit, so interessant, und doch birgt der Düsseldorfer Evolutionsweg eine Besonderheit, denn wer den Lehrpfad abläuft, legt mit jedem Millimeter genau 10.000 Jahre zurück. Dadurch wird der Weg plastisch, quasi erlebbar. Die ersten Bakterien sind also 3,5 Milliarden Jahre alt oder 350 Meter von heute entfernt. Dagegen wirken die Dinosaurier wie junge Hüpfer, nehmen sie gerade mal die letzten zwanzig Meter des 460 Meter langen Weges ein.

Zwar sind die Abstände zwischen den Schildern anfangs noch groß, doch "das bedeutet nicht, dass da nix passiert. Wir wissen es bloß nicht", sagt Ricarda Hinz, Mitgründerin des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes und Initiatorin des Evolutionswegs.

Ricarda Hinz
Ricarda Hinz

Ein Frevel gegenüber Kindern

Die Idee für den Pfad haben die evolutionären Humanisten des Aufklärungsdienstes von der gbs-Regionalgruppe Rhein-Neckar übernommen. Dort stehen entlang einer Wanderroute schon seit einiger Zeit Schautafeln zur Evolutionsgeschichte.

Tolle Sache, befanden die Düsseldorfer und planten ein Jahr an ihrem Weg, bis er endlich am 12. Juni samt Lokalprominenz offiziell eröffnet werden konnte.

"Nichts ergibt Sinn, außer im Licht der Evolution. Und wenn nichts Sinn ergibt, dann ist der Evolutionsweg der sinnvollste aller Lehrpfade", sagt Ricarda Hinz und lächelt. Unterstützung erhalten die Aufklärungsdienstler vom Aquazoo-Löbecke-Museum, das ebenfalls im Nordpark beheimatet ist. Direktor Jochen Reiter war sogleich von der Idee begeistert, denn Biodiversität und Evolution sind die Hauptthemen seines Naturkundemuseums. Er wünscht sich zudem mehr Einsatz von den Schulen und beklagt die stiefmütterliche Behandlung wissenschaftlicher Stoffe im Unterricht. "Der gesunde Menschenverstand würde annehmen, dass die Evolution bereits in der Grundschule präsent sei, dabei wird sie erst in den höheren Klassen behandelt. Ein Frevel gegenüber den heranwachsenden Kindern."

Der neue Evolutionsweg in Düsseldorf sei daher eine wunderbare Gelegenheit, Kindern und Erwachsenen die Evolutionstheorie anschaulich näherzubringen, meint Reiter. Evolution für alle eben.

Eröffnung
Eröffnung

Die Evolution lässt sich nicht leugnen

Dass in dem Begriff "Evolutionstheorie" das Wort "Theorie" steckt, mag zwar irritieren, doch eine Theorie ist keine Hypothese. Diese Unterscheidung ist wichtig, werden die beiden Termini im Volksmund häufig verwechselt. Die Evolution ist aber keine unbewiesene Vermutung, wie beispielsweise Kreationisten behaupten. Eine Theorie deshalb als nichtig zu erklären, weil sie "nur" eine Theorie ist, zeugt von einem Unverständnis der Wissenschaft gegenüber. Denn nur wenige Grundannahmen lassen sich so exakt beweisen wie ein mathematisches Gesetz. Eine wissenschaftliche Theorie ist unzählige Male überprüft worden, so dass sie demzufolge als anerkannt und valide gelten kann. Und die Evolution lässt sich nicht leugnen. Umso erstaunlicher, dass der Evolutionstheorie selbst heute noch Gegenwind entgegen bläst und ihre Kritiker scheinbar an Macht gewinnen. Unter ihnen befinden sich Lehrer, Studenten und manche Kreationisten sitzen sogar in Regierungen. Ein neues Phänomen ist das nicht. Es gab in der Vergangenheit regelmäßig christlich-fundamentalistische Wellen, besonders in den USA, meistens im Zusammenhang mit Umbrüchen. Momentan finden evangelikale Bewegungen wieder Zulauf, nicht nur in Nordamerika, sondern ebenso in Europa. Der Düsseldorfer Aufklärungsdienst betrachtet diese Entwicklung mit Sorge. Auch deshalb wurde der Lehrpfad errichtet; um Wissenschaft populärer zu machen. Kreationisten hingegen glauben wortwörtlich an die heiligen Schriften und dass die Erde bloß 6.000 Jahre jung sei. Sie bemühen sich um sozialpolitisches Mitspracherecht und bestreiten vehement die Erkenntnisse aus der Paläontologie, Geologie, Anthropologie, Chemie, Biologie, Astronomie und Geschichtswissenschaft. Im US-Bundesstaat Kentucky wurde 2007 ein riesiges Creation Museum eröffnet, ein Themenpark samt Arche Noah. Adam und Eva geistern als elektronisch gesteuerte Puppen herum.

Umso wichtiger ist es also, die Bevölkerung für Wissenschaft zu begeistern, findet Aquazoo-Direktor Jochen Reiter. Auch hier in Deutschland gebe es Nachholbedarf. "Wer die Grundprinzipien der Evolution leugnet, disqualifiziert sich selbst", sagt Reiter. Für ihn passt die Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Aufklärungsdienst deshalb "wie die Faust aufs Auge", denn die Vermittlung von Bildung ist sein Beruf. "Ich komme aus Bayern, bin katholisch erzogen worden, aber ich bin auch promovierter Biologe. Und das Thema Evolution gehört von Anfang an in die Schulen."

Schild
Schild

Das Tier und das Bier

Obwohl sich der Evolutionsweg mit der erdgeschichtlichen Vergangenheit beschäftigt, wird dem Spaziergänger auf seiner kleinen Reise durch die Jahrmillionen schmerzlich die Gegenwart gewahr. Der Weg macht geradezu körperlich deutlich, wie kurz der Mensch bisher auf der Erde weilt und wie massiv seine Auswirkungen auf sie sind. Nicht umsonst erhoffen sich die Aufklärungsdienstler, dass der Lehrpfad auch das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Klimaschutz schärft. "Was sich in hundert Millionen Jahren an fossilen Stoffen in der Erde angesammelt hat, verbrennen wir in einem Jahrhundert", sagt Ricarda Hinz und schüttelt den Kopf, "das ist beschämend".

Die Zukunft der Menschheit bleibt selbstredend ungewiss, denn sicher ist, dass nichts sicher ist. Hinz bekräftigt: "Wenn uns die Evolution etwas lehrt, dann, dass alles im Wandel begriffen ist. Wir werden eines Tages die Neandertaler von morgen sein."

In Düsseldorf spielt sich unsere Kulturgeschichte nur auf dem letzten Millimeter des 460 Meter langen Weges ab. Und ausgerechnet dort musste vor der offiziellen Eröffnung noch rasch aufgeräumt werden: Unter dem Schild des Menschen lag eine zerbrochene Bierflasche.

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