Deniz Yücel:

In der Türkei verurteilt, in Deutschland bedroht

Deniz Yücel war von Februar 2017 bis Februar 2018 in der Türkei wegen seiner journalistischen Arbeit inhaftiert. Nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft verließ er die Türkei und kehrte nach Deutschland zurück. Am 16. Juli 2020 wurde der Journalist in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Die Erdoğan-hörigen Richter sahen es als erwiesen an, dass Deniz Yücel "Propaganda" für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gemacht hätte, indem er seinen Beruf ausübte. Das Gericht hat sich damit über ein Urteil des türkischen Verfassungsgerichts hinweggesetzt, das 2019 die einjährige Untersuchungshaft für rechtswidrig erklärte.

In einem Interview mit der ZEIT sagte Yücel über das Urteil: "Das Gericht hat […] gleich zwei neue Skandale produziert. Zum einen den Verfassungsbruch, sich über ein Urteil des Verfassungsgerichts hinwegzusetzen. Der zweite Skandal ist, dass sie auch wegen meiner schriftlichen Einlassung, also meiner Verteidigung vor Gericht, ein neues Strafverfahren wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Dingsbums gegen mich eingeleitet haben. Die Verteidigung eines Angeklagten ist eigentlich unantastbar. Das selbst die kriminalisiert wird: Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet."

Zuvor hatte Yücel in der WELT geschrieben, dass er "nichts bereue" und "dass die Richter entschieden haben, lieber das Verfassungsgericht bloßzustellen als den Staatspräsidenten […] zeigt einmal mehr, wie es um die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land bestellt ist: erbärmlich". Dem stimmt auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) zu. In einer Presseerklärung dazu heißt es: "Das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit ist nicht verhandelbar. Die dju […] steht an der Seite Deniz Yücels sowie aller weiteren Journalistinnen und Journalisten, die in der Türkei zu Unrecht unter Anklage stehen."

Im oben erwähnten ZEIT-Interview gibt Yücel zudem kund, dass er gewillt sei, gegen das Urteil Berufung einzulegen und nötigenfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu klagen.

Noch während der Solidaritätsbekundungen für den Journalisten wurde bekannt, dass auch an ihn ein Drohbrief adressiert ist, der mit "NSU 2.0" unterzeichnet ist. Dabei haben sich "weder die hessische Polizei noch die Polizei Berlins […] bislang mit ihm in Verbindung gesetzt". Nach eigener Aussage hat Yücel erst durch die Recherchen seiner Kollegen bei der WELT von diesem Drohschreiben erfahren.

Nachdem nicht nur Yücel, sondern auch Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU), die Politikerin Janine Wissler (LINKE), die Politikerin Anne Helm (LINKE), die Anwältin Seda Basay-Yildiz, die Politikerin Martina Renner (LINKE) sowie die Kabarettistin Idil Baydar solche Briefe erhielten, wird der Ruf lauter, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlung übernehmen soll. Einer Polizei, von deren Computern aus Datenbanken abgefragt wurden, könne hier nicht mehr vertraut werden.

"Die Staatsanwaltschaft ermittelt in Deutschland bereits wegen mehrerer Fälle von rechtsextremen Drohschreiben", heißt es bei SPIEGEL Online. "Einige der Mails waren mit 'NSU 2.0' unterzeichnet. In mindestens drei Fällen waren zuvor persönliche Daten der Betroffenen von hessischen Polizeicomputern abgefragt worden." Inzwischen schließt selbst der hessische Innenminister nicht mehr aus, dass es ein rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei geben könnte.

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