"Völkerschauen" in öffentlicher Kritik

Menschenzoos

Im Zuge der auch hierzulande um sich greifenden "Black-Lives-Matter"-Proteste gegen all die Rassismen und Demütigungen des Alltags, denen Menschen äußerlicher Merkmale wegen ausgesetzt sind, geraten zunehmend auch die sogenannten "Völkerschauen" in öffentliche Kritik, die bis in die 1930er Jahre in vielen Zoos veranstaltet wurden.

Bis heute hat die Mehrzahl dieser Zoos – vorneweg Münster, Stuttgart, Frankfurt, Hannover, Wuppertal, Dresden oder Köln – noch nicht einmal begonnen, diesen besonders finsteren Teil der eigenen Geschichte seriös aufzuarbeiten. In den Annalen dieser Zoos kommen die "Völkerschauen" entweder gar nicht vor oder werden in einer Fußnote abgehandelt.

Ihren Anfang nahmen die in Zoos veranstalteten "Völkerschauen" bei dem Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck, der in seinem 1874 eröffneten "Thierpark" an eine bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichende Jahrmarkt- und Volksfesttradition anknüpfte, dem zahlenden Publikum neben "exotischen" Tieren auch "exotische" Menschen zu präsentieren. Zu diesem Zweck importierte er "wilde Menschen" aus allen Teilen der Welt, bevorzugt aus Äthiopien, Somalia, dem Sudan, Birma, Ceylon und anderen als "rückständig" geltenden Ländern und Kulturen, die er, oft unter irreführenden und falschen Versprechungen, von Agenten anwerben und nach Hamburg verschiffen ließ.

Kölner Zoo: "Tellerlippennegerin" aus der heutigen Republik Tschad, Foto: Archiv GAP
Kölner Zoo: "Tellerlippennegerin" aus der heutigen Republik Tschad, Foto: Archiv GAP

Meist waren die Gruppen eine ganze Saison lang bei Hagenbeck zu besichtigen, dann wurden sie von anderen abgelöst. Letztlich fanden mehr als sechzig derart kulturchauvinistischer "Völkerschauen" in Hamburg statt, mithin wurden "Kaffern" (aus dem östlichen Südafrika, 1886), "Ashanti" (aus dem heutigen Ghana, 1898) oder "Indische Zigeuner" (aus dem heutigen Kerala, 1900) vorgeführt. Auch wenn immer wieder nord- oder osteuropäische Gruppen auftraten, war doch die ganze Präsentation "wilder Menschen" darauf angelegt, die Überlegenheit des zivilisierten und christianisierten "weißen Mannes" herauszustellen. Vor allem die Schauen mit dunkelhäutigen Menschen waren offen rassistisch.

Nach ihren Auftritten in Hamburg wurden die "Völkerschauen" auf Tourneen quer durch Europa weitervermarktet, reihum traten sie in zahlreichen anderen Zoos und Kolonialausstellungen auf. Nicht wenige der "Wilden" sahen ihre Heimaten nie wieder: sie fielen Infektionskrankheiten zum Opfer, gegen die sie keine Abwehrkräfte hatten.

Rassist und NS-Ideologe Ludwig Heck

Als erster der seinerzeitigen Veranstalter von "Völkerschauen" hat sich der Berliner Zoo vor ein paar Jahren dazu durchgerungen – keineswegs allerdings aus eigenem Antrieb, vielmehr erst auf massiven Druck von außen hin –, über eine Dauerausstellung im historischen Antilopenhaus etwas Licht auf die eigene Vergangenheit zu werfen. Bis dahin war der langjährige Zoodirektor Ludwig Heck (1860–1951), unter dessen Ägide zahlreiche "Völkerschauen" nach Hagenbeck'schem Vorbild stattgefunden hatten, völlig unkommentiert mit einer Bronzebüste auf dem Zoogelände geehrt worden. Überhaupt war Ludwig Heck bis in die jüngste Berliner Vergangenheit hinein mit größter Ehrerbietung behandelt worden. Nach seinem Tod hatte man gar eine Grundschule nach dem ausgewiesenen Rassisten und NS-Ideologen benannt, der über seine Tätigkeit im Zoo hinaus maßgeblich an der Entwicklung der NS-Rassenlehre und des sogenannten Sozialdarwinismus des NS-Staates beteiligt gewesen war. Die Heck-Schule wurde erst 2018 umbenannt.

Rassistische Kontinuitäten

Speerschwingender "Wilder" bei Hagenbeck, Foto: Archiv GAP
Speerschwingender "Wilder" auf dem historischen Eingangstor des Tierparks Hagenbeck, Foto: Archiv GAP

Seit geraumer Zeit steht auch der Zoo Leipzig in massiver Kritik. Und auch hier geht es um die unverhohlen rassistischen "Völkerschauen", die Zoogründer Ernst Pinkert (1844–1909) über Jahre und Jahrzehnte hinweg in seinem Zoo veranstaltet hatte. Pinkert erfährt bis heute ungeteilte öffentliche Ehrung in Leipzig. Erst vor wenigen Jahren hatte die Ratsversammlung der Stadt beschlossen, eine öffentliche Grundschule nach ihm zu benennen. Anlässlich seines 100. Todestages war kurz davor bereits ein Straßenstück in "Ernst-Pinkert-Straße" umbenannt worden. Im Zoo selbst findet sich seit je – und völlig unkommentiert – ein Gedenk- und Ehrenmal für Pinkert.

In der Selbstdarstellung des Leipziger Zoos gibt es kaum Hinweise auf Pinkerts "Völkerschauen", insofern findet sich auch keine kritische Einordnung oder gar eine Distanzierung davon. Die fortdauernde Ehrung Pinkerts, so die Leipziger Politikwissenschaftlerin Hanne Tijmann, "reproduziert koloniale Machtverhältnisse und ist Ausdruck rassistischer Kontinuitäten". Sie sei ein "Schlag ins Gesicht der Opfer von Rassismus". Tijmann fordert von der Stadt, sich offensiv gegen Rassismus zu positionieren, etwa mit der Umbenennung der nach Ernst Pinkert benannten Schule und Straße. Selbstredend sollte auch der Zoo selbst verpflichtet werden, das Gedenk- und Ehrenmal Pinkerts mit einer entsprechenden Aufklärungstafel zu versehen. Das Gleiche gilt für Pinkerts Nachfolger Johannes Gebbing, der den Zoo von 1909 bis 1934 leitete; auch unter seiner Ägide fanden rassistische "Völkerschauen" statt. Und auch für ihn findet sich – im Aquarium des Zoos, das er 1910 begründete – eine unkommentierte Gedenk- und Ehrentafel.

"Hottentottenweiber gucken", Foto: Archiv GAP
"Hottentottenweiber gucken", Foto: Archiv GAP

Tier- und Menschenhändler Hagenbeck

Auch in Hamburg werden Stimmen laut, die einen kritischeren Umgang mit den von Zoobegründer Carl Hagenbeck (1844–1913) veranstalteten "Völkerschauen" fordern. Auch wenn der Zoo in einem Jubiläumsbildband von 2007 dem Thema "Hagenbecks Völkerschauen" ein eigenes Kapitel einräumt, findet sich darin nicht die Spur (selbst-)kritischer Reflexion: "Wie bei der Präsentation der Tiere setzte Hagenbeck auch und gerade bei den Völkerschauen auf die Schaffung 'malerischer' Bilder. (…) Es waren bis ins Einzelne durchorganisierte Shows, die virtuos mit den Erwartungen des Publikums spielten. Man knüpfte an vorhandene Stereotype an und bot den Besuchern einen 'touristischen' Blick auf Land, Menschen und Kultur." (Hagenbeck: Ein zoologisches Paradies. Hamburg 2007, S.71 f.) Auf der aktuellen Website des Zoos findet sich unter dem Stichwort "Völkerschauen" überhaupt nichts. Kein Wort. Im Zoo selbst hingegen lassen sich bis heute, selbstredend gänzlich unkommentiert, zahlreiche Hinweise auf die "Völkerschauen" des Carl Hagenbeck entdecken, nicht zuletzt die Statue eines speerschwingenden "Wilden" mit Lendenschurz auf dem historischen Eingangstor oder die als Kulissen der Birma-Schau von 1913 genutzten "Tempelruinen". Das zooeigene Restaurant ist, auch hier völlig unkommentiert, mit Plakaten der seinerzeitigen "Völkerschauen" dekoriert. Und selbstredend steht ein überlebensgroßes Denkmal für den "Impresario" auf dem Zoogelände herum.

Menschenzoo in Stuttgart, 1920, Foto: Archiv GAP
Menschenzoo in Stuttgart, 1920, Foto: Archiv GAP

Vor ein paar Wochen wurde eine Online-Petition gestartet, die die "Entfernung der Carl-Hagenbeck-Gedenkstatue am historischen Eingang des Tierparks Hagenbeck in Hamburg" fordert, desgleichen die "Umbenennung der 'Carl-Hagenbeck-Straße' in Stendal" (Sachsen-Anhalt). Zudem die "Schaffung eines Denkmals für die Betroffenen der 'Völkerschauen' am Zoo Hagenbeck in Hamburg". Zur Begründung der Petition heißt es: "Carl Hagenbeck und seine Menschenzoos haben sehr maßgeblich zur Erschaffung und Verfestigung rassistischer Haltungen beigetragen – die noch heute bestehen. Die Verherrlichung und Glorifizierung von rassistischen historischen Figuren wie Carl Hagenbeck muss aufhören." Andere Kritiker fordern nicht die Entfernung des Denkmals, sondern einen an prominenter Stelle anzubringenden Hinweis auf den vielfach unverhohlen rassistischen Gehalt der Hagenbeckschen "Völkerschauen". In Berlin im Übrigen gibt es eine öffentliche Schule, die bis heute nach dem Tier- und Menschenhändler Carl Hagenbeck benannt ist und in offizieller Partnerschaft mit dem von seinen Nachfahren betriebenen Hamburger Tierpark steht.

Nur zeitgeistige Folklore?

In anderen Zoos herrscht bis heute Stillschweigen zu diesem unseligen Bestandteil der eigenen Geschichte. Bezeichnend ist insofern die Haltung des Kölner Zoodirektors und Zooverbandsfunktionärs Theo Pagel – seit 2019 firmiert Pagel als Präsident des Weltzooverbandes WAZA –, der die rassistischen und menschenverachtenden "Völkerschauen" in den Zoos quer durch Europa allenfalls für eine Art zeitgeistiger Folkloredarbietungen hält: "Uns steht es heute nicht zu", so Pagel, "diese Schauen von damals zu verdammen. Klar würden wir das heute nicht mehr so machen. Doch wir wissen auch von Teilnehmern, die das rückblickend ganz entspannt als Broterwerb sahen. Und ich frage Sie: Was ist heute der Unterschied zu einer Trachtengruppe?"

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Literaturempfehlung:

Pascal Blanchard, Nicolas Bancel et al.: "MenschenZoos: Schaufenster der Unmenschlichkeit", Les Editions du Crieur Public, Hamburg, 2012