Corona hat etwas Phänomenales geschafft: Eine Kirche wurde zum Studiersaal. Um den wegen der Pandemie herrschenden Platzmangel auszugleichen, wurde die Votivkirche kurzerhand umfunktioniert. Eine gute Idee, zumal ja die Kirchen mit Steuergeldern erhalten werden.
Die neben der Universität Wien gelegene Kirche sieht wie eine vollendete Stephanskirche aus (mit zwei gotischen Türmen statt nur einem), ist aber neugotisch und daher bloß 140 Jahre alt, was in Wien häufig mit einem Naserümpfen quittiert wird. "Echte" Gotik hat eben 500 bis 800 Jahre auf dem Quasimodo-Buckel zu haben.
Um Studierenden aus der Universität, wo wegen Corona Platzmangel herrscht, einen Sitzplatz mit Dach über dem Kopf anzubieten, kamen die Verantwortlichen überein, bei der Votivkirche anzufragen, ob sie dort sitzen dürften, auch ohne einen Betenden markieren zu müssen, quasi offiziell, mit Büchern und Laptop. Der aufgeschlossene Pfarrer der Votivkirche, Dr. Joseph Farrugia, war bereit, seine Kirche probeweise dem guten Zweck zur Verfügung zu stellen. Immerhin führte man die Kirche schon seit Jahrzehnten immer wieder allen möglichen Verwendungszwecken zu, von Konzerten über Ausstellungen bis hin zu Flüchtlingsquartieren.
Das ist äußerst löblich und scheint auf den ersten Blick nur logisch, da die Kirche an einem der prominentesten Plätze der Stadt liegt, direkt an der Ringstraße. Auf den zweiten Blick eröffnen sich aber doch einige knifflige Fragen, die aber dennoch nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Fragen, die damit zu tun haben, dass Kirchen mit hohen Summen an Steuergeld erhalten werden müssen. Kein Mensch weiß wirklich, wieviel öffentliche Gelder da hineinfließen, denn alle Projekte sind immer von Bund, Land, Gemeinde und meist zum kleineren Teil auch durch die Kirche finanziert. Von wegen Transparenz! Der Rechnungshof ist im Bereich der Kirche ausgeschaltet, obwohl jedes Jahr einige Milliarden von diesem "schwarzen Loch" aufgesogen werden.
Endlich wieder mehr Sinn
Bei der Votivkirche gibt es über die Erhaltenswürdigkeit keine Debatte. Bei anderen Kirchen aber sehr wohl, vor allem angesichts des massiven Besucherschwunds. Die Leere der Votivkirche hat nun sogar einen gewissen Druck erzeugt und vielleicht ist Pfarrer Farrugia angesichts der leeren Bänke gar nicht so böse, den einen oder anderen Gast in der Kirchenbank zu sehen, der sich sonst nie und nimmer in die Kirche verirren würde. Vielleicht ist Farrugia aber auch froh, dass das Gebäude, das seit Jahrzehnten jedes Jahr über eine Million Euro für Reparaturen verschlingt (das sind rund 500 Euro pro Gläubigem der Pfarre), endlich wieder mehr Sinn bekommt und nicht nur als Dauer-Riesenplakatwand am Ring oder als Disney-World-Ausgabe des Stephansdoms sein vom Leitha-Kalk gezeichnetes, zerbröselndes Leben fristet.
Ist es das quirlige Genie des Tourismus, das Pfarrer Farrugias, der Gewissensdruck des Kirchenerhalters oder ist es einfach so passiert? Jedenfalls haftet der Studier-Idee in der Kirche nicht nur Originalität an, sondern auch eine gehörige Portion Beispielwirkung für andere leere Kirchen. Manche sind ohnehin schon so leer gewesen, dass man sie verschenkt hat. Zum Beispiel die wuchtige Kirche "Maria vom Siege" des Rathauserbauers Friedrich von Schmidt oder die Kirche in der Neulerchenfelder Straße, eine ansehnliche Kubatur, die der Serbisch-Orthodoxen Kirche übergeben wurde.
Um solche Praktiken nicht zum Alltag werden zu lassen, hat die Kirche den Ausdruck "Entweihung" erfunden. Damit ist alles gemeint, was säkularen Zwecken dient und wenn es noch so gemeinnützige, karitative oder kulturell hochwertige Ziele sind. Umgekehrt müssten dann alle Immobilien, die jemals geweiht wurden, auf Ewigkeit sakral genutzt werden. Kann das sein? Wir alle kennen die Bilder aus England, der Schweiz oder auch aus Teilen Deutschlands, auf denen aus Kirchen schicke Tanzlokale, Autowerkstätten und Museen wurden. Bei der Hagia Sophia ist man als Österreicher für ein Museum, bei österreichischen Kirchen ist Säkularisierung tabu.
Teilweise wird die Säkularisierung von der Kirche selbst betrieben, indem die Kirchen – oder Teile davon – säkularen Tätigkeiten gewidmet werden. Ob es Wohnungen, Wirtschaftsräume, Versammlungsräume für Gemeinden oder einfach nur Reserveräume sind, die zum Beispiel Flüchtlinge aufnehmen können – all das sind Beispiele aus der Praxis, die nicht unbedingt mit der ursprünglichen Widmung der Kirche und ihren Nebenräumen zu tun haben.
Warum sollten die Kirchen nicht adaptiert werden können und einem weiteren Kreis von Personen zugänglich gemacht werden, die nicht unbedingt der Kirche zugutekommen? Die Frage wird unter den Teppich gekehrt, brennt aber Personen, Vereinen und anderen Gemeinschaften, die keine Gemeinschaftsräume wie die Kirche besitzen, unter den Fingernägeln. Schließlich haben ja auch ihre Vorfahren bei der Finanzierung solcher sakralen Gemeinschaftsgebäude mitgeholfen und mitgezahlt, als in Österreich noch fast alle katholisch waren.
Eine weitere Subventionierung der Kirche ist gar nicht vonnöten
Es kann nicht sein, dass bei fortschreitender Säkularisierung das ganze riesige Immobilienarsenal der Kirche von deren verbleibenden Mitgliedern vereinnahmt wird. Zum Schluss verwenden wenige Prozente der Bevölkerung den ganzen Besitz der Kirche; die Gebäude werden immer weniger benutzt, müssen aber dennoch erhalten bleiben. Da das Vermögen der Kirche ja auch eine Menge säkularer Immobilien (Zinshäuser und dergleichen in bester Lage) umfasst, ist eine weitere Subventionierung der Kirche gar nicht vonnöten. Sie könnte von ihrer Substanz leben. Zumindest hat dies der frühere St. Pöltener Bischof Klaus Küng in einem Interview mit der Zeitschrift News vor einigen Jahren gesagt. Er meinte, die Kirche sei so reich, wenn sie ab morgen keinen Kirchenbeitrag mehr bekomme, könne sie dennoch gut überleben.
Aber alle zahlen mit, also auch die seit Jahren Ausgetretenen oder die ideologisch gefestigten Atheisten und säkularen Humanisten. Ob sie wollen oder nicht. In Demokratien wird eine Mitzahlpflicht meist mit einem Mitspracherecht verbunden.
Das wahre Problem besteht in einer Besserstellung der Kirche mit einer ganzen Reihe von Privilegien, die kein Mensch versteht. So kommt es zu diesen aberwitzigen Regelungen, die im Falle der Votivkirche dazu führt, dass sie seit fast 50 Jahren eingerüstet ist und als schäbige Plakatwand dient. Das Gleiche gilt für die Kirche "Maria vom Siege".
Als Advocatus Diaboli versuche ich also zu mutmaßen: Hunderte Kirchen werden erhalten, in die immer weniger Menschen gehen, daran knüpfen sich Gebäude, die keiner mehr braucht. Finanzlöcher im Vatikan werden gestopft, es werden sogar neue Kirchen gebaut aus Prestigegründen, aus demselben Grund wird mit Hunderttausenden von Steuergeldern ein altes, rostiges Papstkreuz aufpoliert, das kein Mensch mehr anschaut, Religionslehrer werden künstlich im "Beruf" gehalten, obwohl 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung den "Ethikunterricht für alle" sinnvoller finden.
Es werden sinnlose Internetseiten subventioniert, die Religionsunterricht auf primitivstem Niveau geben – und das nach 600 Stunden Religionsunterricht in den Volks- und Mittelschulen. Es werden sogenannte religiöse Bildungseinrichtungen finanziell unterstützt, die nie auf Fundamentalismus untersucht werden, obwohl das bei der Qualität der österreichischen Bischöfe in den letzten Jahren mehr als angebracht gewesen wäre. Die Devise heißt also: Mehr Transparenz und Kritik, auch im kirchlichen, religionspolitischen und religiösen Bereich!
6 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Die Hirten sind so reich geworden, dass sie sich nicht mehr um irgendwelche Schafe kümmern müssten, denn auch das Scheren besorgt der Staat für sie.
Roland Weber am Permanenter Link
Eine Möglichkeit wäre ja, alle öffentlichen Gelder, die zum Erhalt derartiger Gebäude vom allgemeinen Steuerzahler aufgebracht werden, einfach zu streichen.
Mit der Streichung allgemeiner Steuermittel ergäbe sich ein Zwang für die Kirche(n), sich zu entscheiden, ob sie an einem Gebäude festhalten, d.h. es behalten will, oder an den Staat (oder auch private Investoren) veräußert. Da sie auch sonst weltlichen Dingen durchaus zugewandt ist, dürften ihr Marktkonformität, Marktstrategie oder Rentabilitätsüberlegung durchaus bekannt sein.
Wem dieser einfache Schritt zu weit ginge, der könnte auch jegliche öffentliche Förderung einfach von der Besucherzahl abhängig machen. Für einige wenige alte Mütterchen, die sich noch zu sogenannten Gottesdiensten einfinden, ist der finanzielle Aufwand von insgesamt mehreren Millionen Euro (allein Kölner Dom mit jährlich rund 1 Mio € an Steuermitteln!) wohl nicht mehr verhältnismäßig - auch wenn man aus historischem und kulturellem Bewusstsein durchaus einige Kirchen als "öffentliches Gemeingut" im Bestand schützen, d.h. finanziell sichern könnte.
Heute erreichte u.a. auch mich ein Bettelbrief mit einem Foto des Herrn Bergolio mit dem Spendenaufruf "Kirche in Not". In Not sind gewiss viele, aber gewiss nicht die katholische Kirche. Sie ist immer noch der größte Immobilienbesitzer (nicht nur Kirchengebäude) der westlichen Welt und sollte sich damit den Anforderungen auch stellen. Sie geht nie an ihren Immobilien- oder Aktienbestand, sondern gibt bestenfalls das von Gläubigen Gespendete (nach Abzug von Verwaltungsgebühren?), wie bei den sogenannten "Sternsingern", einfach nur weiter.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wahre Worte Herr Dr. Engelmayer, es bleibt abzuwarten ob diese in die Ohren der Kirchen gelangen und dort Ergebnisse bewirken.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Wenn diese vielen Gotteshäuser, die Gott weder gebaut hat noch bewohnt, endlich Menschenhäuser werden würden - das wäre doch klasse! Weiter so!
Unechter Pole am Permanenter Link
In Leipzig ist vor ein paar Jahren de facto leider etwas komplett umgekehrtes geschehen.
Gegen die grundlegende Idee, (entbehrliche) kirchliche Immobilien als Hörsäle zu nutzen, ist nichts einzuwenden. Insbesondere von der architektonischen Typologie her wird es noch eher passen, als eine Wohnnutzung oder Ähnliches. Jedoch ist die Konstellation ziemlich problematisch, solange die Kirche die Eigentümerin bleibt. Es öffnet sich nämlich eine weitere Schnittstelle zwischen der Kirche und dem öffentlichen (hier: akademischen) Bereich. In solchen Fällen wittert die Kirche sofort ihre Chancen und versucht sich mit einer schleichenden "Evangelisierung", die als Gastfreundschaft verkauft wird, aber ein Unterwerfen der Nutzer den kirchlichen Umgangsformen verlangt. Die Nutzung als Hörsäle funktioniert dann also nur als Nachnutzung nach entsprechender Übereignung, was auch der Artikel eigentlich zum Thema hat.
Andreas am Permanenter Link
Nur einem "ideologisch gefestigten Atheisten" wie Dr. Gerhard Engelmayer fällt ein, die Hilfsbereitschaft eines Pfarrers für einen Angriff zu missbrauchen.