"Symposium Kortizes" findet online statt

"Wo sitzt der Geist?": Debatten im virtuellen Raum

Seit Gründung des Instituts Kortizes 2017 gehört das jährliche Symposium zu den Highlights im Programm. Das Konzept: Ein langes Wochenende mit hochkarätigen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Forschung, die über Themen der Kognitions- und Neurowissenschaften diskutieren. Am übernächsten Wochenende, 13. bis 15. November, ist es wieder soweit – diesmal online.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können die gesamte Veranstaltung live via Zoom verfolgen und mitdiskutieren. Im Mittelpunkt stehen Forschungen und Überlegungen zum Verhältnis von Körper und Seele, Geist und Gehirn, Mensch und künstlicher Intelligenz. Der Titel: "Wo sitzt der Geist? Von Leib und Seele zur erweiterten Kognition".

Ursprünglich war das Symposium bereits für März geplant, damals noch als Präsenzveranstaltung. "Als wir es wegen der herannahenden Pandemie mit großem Aufwand unter Einbeziehung aller Referenten auf November verlegten, hatten wir nicht geahnt, dass Corona uns auch dann noch beziehungsweise wieder im Griff hält", sagt Institutsleiter Dr. Rainer Rosenzweig rückblickend. Das Symposium nun einfach noch einmal zu verlegen, war für den Veranstalter jedoch keine Option, wie Rosenzweig erläutert: "Gerade in einer kulturellen Saure-Gurken-Zeit, die uns im November bevorsteht, soll das 'Symposium Kortizes' nun ein kleiner Lichtblick sein. Die Inhalte sind online die gleichen, der reale Austausch wird fehlen, zweifellos, aber wir machen das Beste daraus und sind dankbar für jede und jeden, der oder die uns auf diesem Weg begleitet und durch die eigene Teilnahme unterstützt."

Freitag

Im Eröffnungsvortrag am Freitag, 13. November, stimmen zwei hochkarätige Wissenschaftler am Beispiel moderner "Gedankenlese"-Methoden auf die vielschichtige Thematik ein. Der Psychologe und Neurowissenschaftler Prof. John-Dylan Haynes und Prof. Wolf Singer, emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt, diskutieren Möglichkeiten und Grenzen dieser Hirnscan-Technik, die noch in den Kinderschuhen steckt, doch gleichwohl bereits vermarktet wird – in Form von Angeboten wie Lügendetektion und Neuromarketing.

Samstag

Der Samstag, 14. November, beginnt mit Prof. Lars Muckli, der an der Universität von Glasgow erforscht, wie das Gehirn Vorhersagen trifft und sich bei neuen Informationen anpasst oder bisherige verwirft. Er berichtet von eigenen Studien, in denen Versuchspersonen in virtuellen Welten agierten.

Mit einem gänzlich anderen, jedoch ebenso bedeutenden Faktor für die Funktionsweise unseres Denkorgans befasst sich der nächste Referent, der Mediziner Prof. André Gessner. Als Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Regensburg untersucht er, wie das Mikrobiom des Darms das Gehirn beeinflusst und zur Entstehung von Erkrankungen wie ADHS, Autismus, Depressionen und Parkinson beitragen kann.

Die wohl vertrauteste Verbindung zwischen Empfindung und Körper, der Schmerz, steht anschießend im Mittelpunkt von Prof. Herta Flors Beitrag. Als wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Neuropsychologie und Klinische Psychologie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim befasst sie sich auch mit dem Phantomschmerz, also Schmerzen in Körperregionen, die nach einem Unfall oder einer Amputation nicht mehr vorhanden sind. Für diese Beschwerden gibt es spezielle Behandlungsmethoden, darunter das Training in einer virtuellen Realität.  

All diese Forschungen vermitteln faszinierende Einblicke in die Informationsprozesse beim Menschen. Dass gegenwärtig dennoch viele Fragen offen sind, erläutert anschließend Wolf Singer, der bereits als Einführungsreferent zu erleben war. So weist er zum Abschluss des Vormittagsprogramms darauf hin, wie sehr sich die Verarbeitungsprinzipien in natürlichen Systemen – also uns allen – von Künstlicher Intelligenz (KI) unterscheiden.

Trotz aller Unterschiede speiste sich die KI-Technologie von Beginn an aus Inspirationen der Neurowissenschaft. Noch immer sind die Systeme unzulänglich und ineffizient, beklagt Prof. Moritz Hemstaedter, Direktor des Frankfurter Max-Planck-Instituts für Hirnforschung. Dennoch blickt er optimistisch in die Zukunft. Zum Start in den zweiten Vortrags-Slot erläuter er, warum innovative Methoden der Netzwerkanalyse ("Connectomics") neue Impulse für die Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz liefern können.

Anschließend greift die Bremer Strafrechtsprofessorin Prof. Grischa Merkel das Eröffnungsthema "Gedankenlesen" noch einmal auf, diesmal aus ethischer Sicht. So sei es zu begrüßen, wenn man durch eine Übersetzung von Gedanken in Sprache Gelähmten hilft, mit anderen zu kommunizieren. Doch wo bleibe das Private, wenn die Gedanken restlos entschlüsselt und dargelegt werden können? 

Von solchen Fragen ist es nicht weit zu grundsätzlichen philosophischen Betrachtungen, wie sie Gegenstand der beiden abschließenden Beiträge dieses Veranstaltungstages sind. So steuert Achim Stephan, Professor für Philosophie der Kognition an der Universität Bremen, eine Neubetrachtung des Verhältnisses von kognitiven und affektiven Vorgängen bei.

Und Beate Krickel, Professorin für Philosophie der Kognition an der Technischen Universität Berlin, diskutiert den Stellenwert von unbewussten Wahrnehmungen für eine zeitgemäße Betrachtung philosophischer Probleme.

Sonntag

Den Abschlusstag des Symposiums, Sonntag, 15. November, eröffnet Prof. Claus-Christian Carbon, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Bamberg. In seinem Vortrag skizziert er den Weg vom überkommenen Leib-Seele-Dualismus zu einem zeitgemäßen Modell, das psychische und körperliche Phänomene hinreichend beschreiben kann.

Einer ganz direkten Verbindung von "Leib" und "Geist", den Auswirkungen der Körperwahrnehmung auf Emotionen, Lernen und Verstehen sowie das soziale Verhalten, widmet sich anschließend Prof. Bigna Lenggenhager, die an der Universität Zürich die Forschungsgruppe "Kognitive Neuropsychologie: Körper, Selbst und Plastizität" leitet.

Doch lassen sich kognitive Prozesse überhaupt auf den Körper begrenzen? Verschiedene Thesen des erweiterten Geistes ("extended mind") gehen davon aus, dass sich kognitive Prozesse über den Körper hinaus in die Umgebung erstrecken, etwa bis auf Hilfsmittel wie ein Notizbuch. Seit zwei Jahrzehnten werden diese Ansätze international intensiv diskutiert. Zu den Pionieren in Deutschland gehört Holger Lyre, Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Magdeburg, der das Symposiums-Publikum in die komplexe Debatte einführt.

Noch Fragen? Davon ist auszugehen. Den Abschluss des Symposiums bildet eine Podiumsdiskussion mit Bigna Lenggenhager, Holger Lyre, Claus-Christian Carbon und Grischa Merkel, moderiert von Kortizes-Referent Helmut Fink. Im Zentrum stehen die Konsequenzen der aktuellen Forschungen und Thesen für unser Verständnis von Körper und Geist sowie der Einbezug von Künstlicher Intelligenz und sozialer Umwelt auf Konzepte der Neurowissenschaften. Nicht zuletzt wird es um die Frage gehen, welche Herausforderungen die möglichen Folgen der Hirnforschung an die Akzeptanz in der Gesellschaft stellen.

Anmeldung und weitere Informationen auf der Kortizes-Webseite.

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